Besinnung statt Gesinnungstest!

Der vom Stuttgarter Innenministerium konzipierte "Gesinnungstest" wirft ein Schlaglicht auf den durch Ängste und Vorurteile gegenüber Muslimen geprägten Zeitgeist, der die Lebensrealitäten der Migranten ignoriert, meint die Migrationsforscherin Ülger Polat.

Der vom Stuttgarter Innenministerium konzipierte "Gesinnungstest" wirft ein Schlaglicht auf den durch Ängste und Vorurteile gegenüber Muslimen geprägten Zeitgeist, der die Lebensrealitäten der betroffenen Migranten sowie deren Integrationsbemühungen ignoriert, meint die Migrationsforscherin Ülger Polat.

Antragsteller auf der Ausländerbehörde; Foto: AP
Zivilisiert genug, um deutsch werden zu können? Beim Gesinnungstest wird u.a. nach der Bereitschaft der Bewerber zu religiöser Toleranz und nach ihrer Einstellung zum Terrorismus gefragt

​​Seit Anfang dieses Jahres liegt in 44 Behörden des Landes Baden-Württemberg ein so genannter "Gesinnungstest" vor, der als Leitfaden dazu dienen soll, bei muslimischen Einwanderern zu prüfen, ob sie die Vorraussetzungen für eine Einbürgerung in Deutschland erfüllen.

Dieser durch das Innenministerium des Bundeslandes entwickelte Test besteht aus 30 Fragen, die den Bewerbern mündlich vorgetragen werden und Einblicke in ihre Einstellungen zu Demokratie und demokratischen Grundwerten verschaffen sollen.

Migranten auf dem Prüfstand

In dieser Befragung wird die Bereitschaft der Bewerber zur religiösen Toleranz und zur Toleranz etwa gegenüber anderen ethnischen Gruppen oder gegenüber gleichgeschlechtlichen Orientierungen anderer Menschen überprüft.

Darüber hinaus sollen sie über ihre Einstellungen zum religiös motivierten Terrorismus, zur sozialen und politischen Gleichstellung bzw. zur Selbstbestimmung der Frau sowie zu möglichen kulturell geprägten Ehrenkodizes, Sitten und Gebräuchen Auskunft geben.

Die Antworten der Befragten werden jeweils protokolliert und ihnen zur Gegenzeichnung vorgelegt, um die Beweiskraft der Aussagen gegebenenfalls auch nach Jahren noch sicherstellen zu können.

Aufgrund heftiger Kritik sowohl seitens der muslimischen Verbände, als auch seitens der politischen Parteien wurde nicht nur eine Modifizierung des Fragenkatalogs in Aussicht gestellt, sondern auch eine Ausweitung der Befragung auf sämtliche Migrantengruppen.

Dennoch wurde bei Einführung dieses Tests als Begründung eine ausschließlich als "muslimisch" angenommene Problematik angeführt. Dem baden-württembergischen Innenminister Rech zufolge sei die Befragung durch die Vermutung notwendig geworden, dass das Bekenntnis zur deutschen Verfassung, welches Muslime im Einbürgerungsverfahren ablegten, nicht mit "ihrer innersten Überzeugung" übereinstimme.

Diese Vermutung begründete er durch Berichte über Misshandlungen muslimischer Frauen durch ihre Ehemänner bzw. männliche Familienangehörige in Deutschland. Damit zielt sein Beitrag in das Zentrum der öffentlichen Debatten um Ehrenmorde und Zwangsheirat unter muslimischen Migranten.

Antiislamische Stimmung als Hintergrund

Es ist nicht zufällig, dass diese Diskussion ihre Wirkung nun in einem neu begründeten Einbürgerungsverfahren zeitigt, da sie sich unmittelbar aus einer europaweiten antiislamischen Stimmung ableitet.

Die Ursachen dafür sind natürlich in den terroristischen Anschlägen vom 11. September 2001 in New York sowie denen am 11. März 2004 in Madrid und am 7. Juli 2005 in London zu suchen, die den Terror nach Europa brachten. Einen Wendepunkt in der öffentlichen Wahrnehmung gegenüber muslimischen Migranten in Europa leitete insbesondere der Mord vom 2. November 2004 an dem niederländischen Filmemacher Theo van Gogh durch einen muslimischen Migranten ein.

In einem noch nicht gekannten Maße fühlen sich seitdem Angehörige der Mehrheitsgesellschaft europaweit durch Muslime bedroht, und das unmittelbar vor der eigenen Haustür. Demgegenüber war auch die Anzahl von muslimischen Migranten, die sich über Diskriminierungen und Stigmatisierungen im Alltag beklagen, nie so hoch, wie in dieser Zeit. Zu diesem Befund gelangt der Bericht der Internationalen Helsinki-Föderation für Menschenrechte (IHF) vom März 2005.

Speziell in Deutschland würden dem Bericht zufolge mehr als 80 Prozent der befragten Personen mit dem Begriff Islam "Terrorismus" und "Unterdrückung von Frauen" assoziieren.

Kulturalistische Sichtweisen

Aus dieser emotionalisierten Stimmung konnten einzelne Migrantinnen mit tränenrührigen Betroffenheitsberichten über eigene Misshandlungen durch ihre muslimischen Familienangehörige Profit schlagen, allen voran Necla Kelek, die seitdem als Beraterin u.a. im Bundesinnenministerium tätig und auch bei der Konzeption des Gesinnungstests in Baden-Württemberg federführend gewesen ist.

Es erscheint ja gerade als ein Symptom dieses angeheizten Klimas, dass die zweckgefärbten und allzu augenscheinlich auf Popularität zielenden Darlegungen Keleks eine immerhin etwa 40-jährige Tradition von Migrationsstudien in den Schatten stellen, die sich selbst nur mühsam und erst in den letzten Jahren von einer kulturalistischen Sichtweisen auf muslimische Migranten distanzieren konnten.

Auch der Gesinnungstest entspricht mehr diesem durch Ängste und Vorurteile geprägten Zeitgeist, als dass er auf einer rationalen Analyse der Lebensbedingungen der muslimischen Migranten in dem Bundesland fußt. In geradezu erschreckender Direktheit sind in diesen Test die gängigen Klischees über Muslime eingeflossen, die in der bürgerlichen Mitte der deutschen Gesellschaft und ihren Institutionen nur so denkbar zu sein scheinen.

Die muslimischen Befragten befinden sich nun in einer Situation wieder, in der sie sich gegenüber Zuschreibungen und Unterstellungen rechtfertigen müssen, die nicht nur eine persönliche Diffamierung für sie aufgrund ihrer religiösen und kulturellen Herkunft bedeuten, sondern implizit auch eine unüberbrückbare moralische Grenze zwischen den Werten der Mehrheitsgesellschaft und denen der muslimischen Minderheiten zieht.

Tendenz zur Missachtung deutscher Gesetze bei Muslimen?

In dem Gesinnungstest werden Vorstellungen von Muslimen gezeichnet, von denen sich die Befragten distanzieren müssen, wollen sie das Bewerbungsverfahren bestehen. Konfrontiert sehen sich die Befragten aber mit einem Katalog von negativen Eigenschaften und Handlungen, für die sie potentiell für fähig gehalten werden.

Darunter rangieren unter den harmlosesten Vorwürfen eine fehlende Kritikfähigkeit in religiösen Belangen und eine Tendenz zur Missachtung von deutschen Gesetzen aufgrund von ideologischer Voreingenommenheit.

Schließlich wird die Zugehörigkeit zur islamischen Glaubensgemeinschaft per se in Verbindung mit der Unterdrückung von Frauen, mit Zwangsheirat, Ehrenmorden, Polygamie, Terrorismus und Rassismus gegenüber anderen Minderheiten, insbesondere gegenüber Afrikanern und Homosexuellen, gebracht.

Dieser "Gesinnungstest" vermittelt weder "Kenntnisse über unsere Verfassung, unsere Kultur und unsere Werte", wie es die Integrationsbeauftragte des Bundes, Maria Böhmer, von einem derartigen Test erwartet, noch nimmt er auch nur im mindesten Notiz von den Lebensrealitäten der betroffenen Migranten und dem Stand ihrer Integrationsbemühungen. Im Gegenteil, muslimische Bewerber werden auf die Probe gestellt, in wie weit sie zivilisiert genug sind, um deutsch werden zu können.

Zusammenleben steht auf dem Spiel

Die Signalwirkung, die von diesem verantwortungslosen und diffamierenden Test ausgeht, könnte kaum besorgniserregender sein. Hier zeigt sich ein Klima von Missachtung und Rassismus, repräsentiert durch die staatlichen Organe selbst – ein Klima, welches den Dialog zu muslimischen Mitbürgern und Verbänden stark belastet, der nie so dringend notwendig gewesen ist wie in dieser Zeit.

Ein solcher Test erregt wieder einmal mehr das Misstrauen der muslimischen Migranten gegenüber den deutschen Institutionen, wenn nicht gar gegenüber der deutschen Gesellschaft überhaupt, und begünstigt ihre Hinwendung zu extremistischen Gruppen.

Auch in der täglichen sozialen Arbeit mit Migranten ist diese Stimmung hinderlich und erschwert die Bemühungen, ein differenziertes Bild über sie zu erlangen, ihre Probleme und Konflikte in ihrem Lebenskontext zu verstehen und gezielt nach Handlungs- und Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Es steht nicht weniger auf dem Spiel, als das friedliche Zusammenleben zwischen Deutschen und muslimischen Migranten in Deutschland!

Mittlerweile sind die wichtigsten Voraussetzungen für Integration bekannt: Bildung und Arbeit. Gerade diese Ressourcen sind bei den Migranten noch mangelhaft besetzt.

Ihr Fehlen bedingt wiederum soziale Probleme und Konflikte, wie z.B. Arbeitslosigkeit und Armut und die daraus entstehenden familiären und persönlichen Probleme. Soziale Konflikte mit Migranten müssen sachlich gelöst werden, ohne pauschale, diffamierende oder kulturalisierende Erklärungsmuster, die dem Alltagsverständnis der Betroffenen fern liegen.

Dazu bedarf es einer Integrationspolitik, die einerseits muslimische Migranten als einen Teil der Gesellschaft ansieht und andererseits konkrete Maßnahmen ergreift, um ihre schulische und berufliche Integration voranzutreiben.

Ülger Polat

© Qantara.de 2006

Dr. Ülger Polat ist Migrationsforscherin und Lehrbeauftragte für Interkulturelle Soziale Arbeit an der Fachhochschule Hamburg. Zugleich arbeitet sie als Psychologin in der Sozialarbeit mit türkischen Frauen und Mädchen.

​​Im Verlag Dr. Kovac erschien von Ülger Polat der Band Soziale und kulturelle Identität türkischer Migranten der zweiten Generation in Deutschland. Studien zur Kindheits- und Jugendforschung, Bd.14, Hamburg 1998

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