Wilde Streiks für höhere Löhne

In Ägypten halten die Proteste von Arbeitern gegen die schlechte Bezahlung in den staatlichen Betrieben an. Vor allem die Textilfabrik Mahalla im Nildelta hat sich zum Zentrum der Streikbewegung entwickelt. Von Frederik Richter aus Kairo

In Ägypten halten die Proteste von Arbeitern gegen die schlechte Bezahlung in den staatlichen Betrieben des Landes an. Vor allem die Textilfabrik Mahalla im Nildelta hat sich zum Zentrum der Streikbewegung entwickelt. Aus Kairo informiert Frederik Richter.

Leere Wahllokale, keine nennenswerten Demonstrationen. Das Referendum, mit dem Ägyptens Präsident Hosni Mubarak im letzten März seine Verfassungsänderung absegnen ließ, übertraf alle bisherigen Beispiele dafür, dass die Ägypter mit dem politischen Prozess ihres Landes nicht viel zu tun haben. Obwohl wichtige Themen zur Abstimmung standen, blieben sie zu Hause.

Das heißt aber nicht, dass es in Ägypten niemanden gibt, der sich gegen gefälschte Wahlen, Korruption und öffentliche Missstände wehrt. Man muss nur genauer hinschauen.

Im Herbst protestierten Studenten gegen Wahlen zur Studentenvertretung, bei der nur Regierungs-Sympathisanten zugelassen waren. Deshalb hielten sie kurzerhand ihre eigenen, informell organisierten Wahlen ab.

Aufbegehren gegen Mubaraks autokratische Herrschaft

Auch die ägyptischen Richter, von vielen als die "letzte Bastion" im Kampf gegen den Autoritarismus Mubaraks betrachtet, haben sich lange gegen ihre Ausschaltung bei der Überwachung von Wahlen gewehrt. Wenn auch vergeblich, denn in der jüngsten Verfassungsänderung wurden auch sie endgültig ausgebootet.

Die einzigen, die in den letzten Jahren mit Protesten gegen das Regime Erfolg hatten, sind die ägyptischen Arbeiter. In wilden Streiks haben sie es in den vergangenen Monaten zu Zehntausenden geschafft, die Auszahlung versprochener Gehälter und höherer Boni durchzusetzen.

Nach mehreren Streiks gab die Regierung schließlich nach: Am 3. März erhöhte Premierminister Ahmed Nazif die Jahres-Boni von umgerechnet 14 Euro auf zwei Monatsgehälter. Zuletzt waren sie 1984 aufgestockt worden. Das Gremium, das die Löhne der Arbeiter in den Staatsbetrieben regelmäßig an die Lebenshaltungskosten anpassen soll, hat das letzte Mal in den 1980er Jahren getagt.

Gemeinsam gegen "gelbe Gewerkschaften"

Am militantesten sind die Arbeiter der im Nildelta gelegenen Textilfabrik Mahalla. Vor kurzem schickten sie eine Delegation nach Kairo, um bei ihrem Gewerkschaftsverband die Annullierung ihrer Betriebsratswahlen zu erwirken. Etwa 12.000 Unterschriften brachten sie mit und drohten mit der Gründung einer neuen unabhängigen Gewerkschaft.

Das wäre ein Novum in Ägypten, wo alle Gewerkschaften von der Regierung gesteuert werden. "Nein, wir haben keine Angst", sagt selbstbewusst Mohammed el Attar, einer ihrer Anführer. Die offiziellen ägyptischen Gewerkschaften werden von Apparatschiks geleitet, die immer auf Seiten der Regierung stehen.

Als sich im Dezember die Arbeiter von Mahalla die Auszahlung ihrer Zulagen erstreikten, vertrat der Betriebsrat die Position der Regierung. Vor allem aber ließ er sich tagelang nicht blicken.

Doch dieses Mal sitzt der Frust der Arbeiter zu tief: "Vor meinem Arbeitsunfall habe ich im Monat 35 Euro verdient, jetzt beschäftigen sie mich noch als Müllsammler, und ich verdiene nur noch 15 Euro", sagt Zayn el Zaky, einer der Arbeiter, und zeigt zwei fehlende Fingerkuppen.

Die rebellischen Arbeiter von Mahalla, die schon in den 1920er und 40er Jahren bahnbrechende Streiks anführten, sind nur die Spitze der Bewegung. Auch die Fahrer der ägyptischen Eisenbahn und die Arbeiter der Zementfabriken im Süden Kairos veranstalteten in den vergangenen Wochen wilde Streiks. Überall geht es um höhere Löhne, Auszahlungen versprochener Zulagen sowie um das Thema Korruption im Management.

Im Belagerungszustand

"Wir erleben Veränderungen, die Menschen haben jetzt die Möglichkeit, ihre Meinung auf legale Weise auszudrücken, was keine politische Instabilität bedeutet. Die Regierung hat kein Problem, damit umzugehen", sagte Investment-Minister Mahmoud Mohieddin der staatlichen Presse in einem Interview.

Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Weltfremdheit des Ministers ist aber insofern verständlich, zumal dieser vermutlich selbst kaum Einblicke in den ägyptischen Sicherheitsapparat haben dürfte.

Die Polizei schickte zwei der fünf Busse, mit denen die Arbeiter von Mahalla nach Kairo kamen, an die Stadtgrenze zurück. Zuvor wurden einige von ihnen per Telefon eingeschüchtert. Die Fabrikgelände mit den Streikenden waren wochenlang von Tausenden Polizisten umzingelt.

Ihrem Fabrik-Direktor fiel nicht viel mehr als eine abgegriffene Verschwörungstheorie ein: Die Muslimbruderschaft stecke hinter den Streiks.

Umfassende politische Ziele haben die Arbeiter nicht. Eine Privatisierung ihrer Betriebe lehnen sie ab. Ironischerweise war es gerade die Verstaatlichungspolitik unter Gamal Abdel Nasser, die sie in die jetzige Lage gebracht hatten.

Jahrzehntelanges Missmanagement, Korruption und fehlende Investitionen haben zudem dafür gesorgt, dass die Textilfabriken in der ägyptischen Industrie am schlechtesten dastehen.

Streiks aus wirtschaftlicher Not

"Die Fabrik in Kafr Al-Dawar hat nichts, was einen Käufer anziehen könnte, und Mahalla ist mit seinen 28.000 Arbeitern viel zu groß für einen Investor, um das zu managen", sagte Mohieddien. Er versucht also gar nicht erst, diese Fabriken zu verkaufen. Warum die Arbeiter trotzdem streiken, kann er nicht verstehen.

Erst einmal haben sie andere Sorgen. Während der hitzigen Besprechung mit dem Gewerkschaftsverband in Kairo steht einer der Arbeiter auf. "Seht Euch meine Kleidung an", ruft er. "Wir haben Arbeit, aber gehören trotzdem zu den Ärmsten in Ägypten!"

Er bekommt lauten Applaus von seinen Kollegen. Es geht den Arbeitern um nicht viel mehr als das eigene und das Überleben ihrer Familien. Doch mit den massenhaften Austritten aus dem nationalen Gewerkschaftsverband, den das Regime immer wieder genutzt hat, um Wähler zwangsweise zu rekrutieren, haben sie unbewusst eine Grenze überschritten.

Die Textilfabrik von Mahalla war als nationale Vorzeigefabrik die erste, die von Nasser nationalisiert wurde. Vielleicht sind ihre Arbeiter dieses Mal die ersten, die endlich dauerhaft Mitbestimmung erkämpfen.

Frederik Richter

© Qantara.de 2007

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