Das Tempo der Veränderungen

Eine Säkularisierung der islamischen Gesellschaften sei nicht ausgeschlossen, meint Mohammad Said Bahmanpour. Nur lasse sich deren Tempo nicht durch Druck von außen beschleunigen

Ich werde versuchen, beide Fragen zugleich zu beantworten: Ich denke, es ist Islamischen Ländern bis zu einem gewissen Grad gelungen, sich den Normen der Demokratie anzupassen. Insofern halte ich es auch für möglich, dass sie sich in Zukunft den Normen des politischen Säkularismus anpassen werden.

Man muss jedoch festhalten, dass ein solcher Schritt - wenn er denn stattfinden sollte - nur aus der eigenen, natürlichen Entwicklung der Länder entstehen kann. Er kann nicht mit Hilfe von Boykotten und anderen erzieherischen Maßnahmen von außen erzwungen werden. Um einen Vergleich heranzuziehen: Viele afrikanische Gesellschaften scheinen nicht in der Lage zu sein, das westliche Modell der Demokratie umzusetzen. Stammesunterschiede oder andere Differenzen spielen noch eine zu große Rolle. Wenn man hier ein höheres Fortschrittstempo erzwingen wollte, würde das nur zu Systemen führen, die niemandem nützen.

Ich kenne das Kairoer Dokument und ich stimme mit vielen seiner Artikel nicht überein. Aber warum sollte es nicht möglich sein, manche Islamischen Standards und Ideen in unsere Version der universalen Menschenrechte einfließen zu lassen - Standards, die sich ja möglicherweise auch mit denen anderer Religionen decken?

Nehmen wir zum Beispiel die Kontroverse über die Amputation der Hände von Dieben. Diese Strafe war dazu gedacht, weiteren Raub zu verhindern. Wenn sie das de facto nicht mehr leistet, dürfen wir getrost folgern, dass diese Maßnahme zwar vielleicht einmal nützlich war, ihre Aufgabe aber nicht mehr erfüllt. Das ist keine Frage der Religion.

Ein schwierigeres Beispiel ist möglicherweise die Homosexualität. Gleichgeschlechtliche Praktiken sind für Muslime sehr anstößig, und ich kann mir nicht vostellen, dass ein Recht auf Homosexualität in irgendeiner Islamischen Definition von Menschenrechten Platz hätte. Homosexualität wird in Islamischen Gesellschaften mit dem Tode bestraft. Aber lassen Sie uns annehmen, dass es 80.000 Homosexuelle im Iran gäbe. Wie geht die Gesellschaft dann mit dem Phänomen um? Vielleicht beginnt die Einstellung dazu sich dann zu verändern: Während Homosexualität immer noch als eine soziale Krankheit angesehen wird, wird sie nicht mehr als Straftat betrachtet.

Westliche Gesellschaften versuchen gegenwärtig, das Tempo der Veränderungen in den Muslimischen Gesellschaften zu kontrollieren, statt ihnen ihren natürlichen Lauf zu lassen. Das ist gefährlich. Wenn man stattdessen eine natürliche soziale Entwicklung zulässt, würde sich meines Erachtens für viele der scheinbar unlösbaren Probleme zwischen uns eine vernünftige Lösung finden.

Einem Christen mag es leicht fallen, seinen christlichen Glauben beiseite zu lassen und säkulare soziale Regeln zu befolgen. Aber Muslime können das zurzeit einfach nicht. Deshalb müssen wir einen friedlichen Weg finden, Scharia und soziale Regeln miteinander in Einklang zu bringen. Und das wird uns nicht gelingen, solange Länder daran gehindert werden, ihre eigenen Diskussionen zu ihrer eigenen Zeit zu führen.

Teil 5: Heiner Bielefeldt und Mohammad Saeed Bahmanpour: Meinungsfreiheit und die Stimmen von außen
Die Diskussionen, die gerade im Iran stattfinden, scheinen mir sehr fruchtbar zu sein. Aber wir dürfen sie nicht politisieren oder von der Tribüne aus lärmend für die eine oder andere Seite Partei ergreifen. Lassen Sie der Debatte Zeit, sich auf ihre eigene Weise zu entwickeln. Sonst ziehen sich die Teilnehmer auf ihre dogmatischen Gewissheiten zurück, und das macht einen wirklichen Dialog unmöglich.