"Niemand ist bereit, für Demokratie zu sterben"

Auf dem Weltwirtschaftsforum Nahost in Ägypten wurde kontrovers über die Frage der Demokratisierung diskutiert. Der libanesische Ministerpräsident Siniora sieht die derzeitige Entwicklung in der Region positiv. Peter Philipp berichtet

Auf dem Weltwirtschaftsforum Nahost in Ägypten wurde kontrovers über die Frage der Demokratisierung der arabischen Welt diskutiert. Der libanesische Ministerpräsident Siniora sieht die derzeitige Entwicklung in der Region positiv. Aus Sharm-el-Sheikh berichtet Peter Philipp.

Fuad Siniora, Libanons Ministerpräsident, auf dem Weltwirtschaftsforum in Ägypten; Foto: AP
Kommunikation und Globalisierung haben zum Demokratisierungsprozess in der Region des Nahen Ostens beigetragen, meint Siniora

​​Die "Mutter aller Konflikte" sei auch die "Mutter aller Lösungen", meint der libanesische Ministerpräsident Fuad Siniora auf die Frage nach Demokratie in der arabischen Welt.

Auf dem Weltwirtschaftsforum Nahost im ägyptischen Sharm-el-Sheikh meint Siniora, dass der israelisch-palästinensische Konflikt seit langem die Priorität gesetzt habe und nicht die Frage nach Demokratie.

Dies habe viel Kraft und Geld gekostet und habe auch zu vielen Umstürzen geführt – in der Hoffnung auf sofortige Veränderung und ohne Geduld, den Prozess zu durchlaufen, der demokratische Abläufe bestimmt und charakterisiere.

In letzter Zeit aber sei eine deutliche Verstärkung des Demokratisierungsbestrebens zu beobachten, meint Siniora: "Ich glaube, Kommunikation und Globalisierung haben sehr zu diesem Prozess beigetragen und den Menschen immer mehr bewusst gemacht, dass ihre Teilnahme an diesem Prozess wichtig ist".

Immer häufiger könne man jetzt Wahlen erleben, und selbst wenn manche dieser Wahlen vielleicht noch eine "Art Scharade" seien, so setze sich doch langsam größeres Verständnis für Demokratie durch.

Eine wichtige Rolle spiele hierbei auch die Zivilgesellschaft und, laut Fuad Siniora, ebenso der Prozess der wirtschaftlichen Reform, der zu dem "Push" nach mehr Partizipation und dem Abbau all der verschiedenen Probleme beitrage.

Der libanesische Ministerpräsident bleibt aber dabei: Der israelisch-palästinensische Konflikt sei bisher das größte Hindernis für die Demokratisierung des Nahen Ostens gewesen. Je früher man hier einen umfassenden und gerechten Frieden finde, desto eher werde man auch echte Demokratie erlangen.

Wie wichtig ist den Arabern die Demokratie?

Abdel Monem Said Aly, Leiter des "Al Ahram Zentrums für politische und strategische Studien" kokettiert mit der Idee, einem Regierungschef zu widersprechen, aber er ist anderer Meinung:

"Ich denke, der arabisch-israelische Konflikt hat sehr wenig mit Demokratisierung in der arabischen Welt zu tun. Wenn ich dieses Argument akzeptieren würde, dann würde das doch bedeuten, dass Israel – was immer diese Gesellschaft ist – 300 Millionen Arabern definiert hat, wie sie zu leben haben. Das wäre doch wohl eine Katastrophe. Im Gegenteil: Die beiden demokratisch wohl am meisten entwickelten arabischen Gesellschaften sind die der Palästinenser und des Libanon, die dem Konflikt sehr nahe stehen und die das Brandmal dieses Konflikts während der letzten fünf Jahrzehnte getragen haben".

Das Problem sei vielmehr, dass es sehr unterschiedliche und gegensätzliche Bestrebungen in der arabischen Welt gebe und "Demokratie" keineswegs "das einzige Kind im Haus" sei: Da gebe es arabische Bürokratien der verschiedensten Couleur, die meinen, der Staat sei die höchste Autorität – auch bei der Definition des Lebens seiner Bürger.

Das Problem liegt in der arabischen Gesellschaft

Und dann gebe es natürlich auch die islamischen Fundamentalisten, die der persönlichen Freiheit keine besondere Bedeutung beimessen, die für die anderen entscheiden wollen und die nur an das Heil denken – heute oder in Zukunft.

Das Problem sei nicht durch eine Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts zu lösen, sondern nur in der arabischen Gesellschaft selbst - durch Werte, Institutionen und sozioökonomische Bedingungen.

Abdel Monem Said Aly schlussfolgert: "Werte sind hier sehr wichtig. Leider haben wir nicht viel Eiferer für die Demokratie und Demokratisierung in der arabischen Welt. Niemand ist bereit, für Demokratie zu sterben. Andere Länder haben das gehabt. Bei uns gibt es nicht viele Mandelas. Aber wir haben Leute, die bereit sind zu sterben, weil sie zum Beispiel keine Touristen mögen".

Peter Philipp

© Deutsche Welle 2006

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