An den Ufern des Annemarie-Schimmel-Kanals

Seit 1992 organisiert der Rafi Peer Theatre Workshop das Internationale Theater- und Tanzfestival Lahore. Rafi Peer hatte einst das moderne Theater von Deutschland in seine Heimat geholt. Ein Bericht von Elisabeth Einecke-Klövekorn

Foto: Rafi Peer Theatre Workshop
Rafi Peer (Rafi Peerzada), Begründer des Modernen Theaters auf dem Subkontinent

​​Wenn sich Ende November dichter Nebel über Lahore ausbreitet, der alten Hauptstadt des Punjab und wichtigsten Kulturstadt Pakistans, kann es dort empfindlich kühl werden. Unter der feuchten Dunstglocke sammeln sich die Abgase der vielen tausend Dreiradrikscha-Motoren – diese liebevoll bemalten Gefährte sind das billigste und schnellste Fortbewegungsmittel im Ohren und Nasen betäubenden turbulenten Straßenverkehr der Millionenstadt – zu einem Gemisch, das das einschlägig berüchtigte Bangkok geradezu als Luftkurort durchgehen ließe.

Dass eine Hauptstraße am Ufer des Lahore durchziehenden, schmalen Kanals den Namen der Bonner Islam-Forscherin Annemarie Schimmel trägt und direkt gegenüber der Goethe-Kay liegt, beweist, wie wichtig man im fernen Mittelasien die deutschen west-östlichen Vermittler nimmt.

Ausländer als Attraktion

Touristen haben aktuell in Pakistan Seltenheitswert, beim Besuch des alten Lahore-Forts oder der großen Badshahi-Moschee wird ein westlicher Ausländer für die vielen fröhlichen Schulklassen schnell zur Hauptsehenswürdigkeit.

Auf dem Gelände des "Lahore World Performing Arts Festivals 2004" patroullieren rund um die Uhr etwa im Dreimeter-Abstand gut bewaffnete Polizisten. Bei dem international besuchten Festival will man kein Risiko eingehen.

Das riesige Kulturareal, auf dem das Festival stattfindet, trägt den Namen Alhamra (der Name erinnert an die große Zeit des Islam in Spanien). Dort befinden sich ein populäres Stadttheater, ein Museum für moderne Kunst und eine kolossales Kricket-Stadion, das nach dem libyschen Präsidenten Gaddafi benannt ist, der dort mal eine seiner legendären Reden hielt.

Ein Mann aus Lahore im Max Reinhardt Ensemble

Rafi Peer, den Namensgeber des internationalen Theaterfestivals von Lahore, kennen eher wenige, obwohl riesige Plakatwände und Massen von Bannern überall in der Stadt auf das Ereignis hinweisen. Peer, der vor einem Dreivierteljahrhundert in Berlin studierte, dort das europäische Theater kennen lernte und in Max Reinhardts Ensemble mitspielte, ist der Vater der modernen Dramatik auf dem indischen Subkontinent.

Seine Kinder, die alle in künstlerischen Berufen tätig sind, haben nach seinem Tod 1974 den "Rafi Peer Theatre Workshop" gegründet, der auch der Veranstalter des Festivals in Lahore ist. Eigentlich ist es eine Privatinitiative, die aber auf öffentliche Unterstützung zählen kann, seit sie 1992 zum ersten Mal Theaterleute aus aller Welt nach Pakistan lockte.

18 internationale Treffen weist die stolze Bilanz inzwischen aus: Puppentheater, Musik, Tanz, Sprechtheater und mehrere Jugendprojekte haben in zwölf Jahren Gäste aus 67 Ländern und laut Festival-Prospekt mehr als 2 Millionen Zuschauer angelockt.

Seit dem 11. September 2001 sei alles schwieriger geworden, geben die Zwillinge Faizan und Saadaam Peerzada zu, die das Festival 2004 zusammen mit ihren zwei Brüdern und ihrer Schwester managen.

Theatergruppen aus rund 25 Ländern

Zwischen dem 26. November – zur Eröffnung kam neben etlichen städtischen Würdenträgern und ausländischen Diplomaten auch der Ministerpräsident des Punjab – und dem 7. Dezember gab es 12 große Open-Air-Musikveranstaltungen in der Arena, 88 Vorstellungen von 44 Tanz- und Theatergruppen aus ca. 25 Ländern an neun Spielorten und noch etwa 20 Filme als Begleitprogramm.

Gut hundert Mitarbeiter hat das Organisationsteam dafür engagiert und etwa doppelt soviel Personal für die strikten Sicherheitskontrollen an jedem Eingang.

Hauptsponsor ist ein Mobilfunk-Unternehmen; richtig Geld müssen die Konzerte in der Arena bringen, bei denen lokale Popstars zu durchaus beachtlichen Eintrittspreisen locker allabendlich 3000 Fans versammeln.

Künstler aus Pakistan und Indien

Allzu viele westliche Gruppen sind 2004 nicht nach Lahore gereist, kaum eine, die nicht schon mehrfach da war. Den Löwenanteil bestreiten Künstler aus Pakistan und Indien, den Tanz bis auf ein Jugendensemble aus Usbekistan sogar ganz.

Beim Puppentheater, das seit langem einen Schwerpunkt bildet und dem die Peer-Familie vor kurzem etwas außerhalb der Stadt ein wunderschönes Museum mit eigener kleiner Freilichtbühne gewidmet hat, das auf vier Etagen Figuren aus aller Welt präsentiert, stammt immerhin über die Hälfte aller Produktionen nicht aus dem indisch-pakistanischen Kulturkreis.

Aus Deutschland ist das Berliner "Fliegende Theater" mit einem bezaubernden Kinderstück dabei. Beim Sprechtheater sind neben Indien und Pakistan nur die Schweiz und Deutschland vertreten. Das "Wall Street Theatre" (Köln/Aachen) bewies mit seiner angelsächsisch angehauchten Zwei-Mann-Artistik-Comedy-Show, dass solch skurriler Humor offenbar weltweit zum Lachen reizt.

Deutsches Ensemble spielt Rafi-Peer-Stück

In einem kleinen, warmen und trockenen Saal unter der Arena spielte das Euro Theater Central, das inzwischen schon zum fünften Mal in Lahore zu Gast war. Dass es mit seinem neuen Stück "Liebesgeflüster" ein Werk des Festival-Paten Rafi Peer aus Bonn nach Lahore brachte, fand höchste Aufmerksamkeit.

Die drei fast ausverkauften Vorstellungen fanden großen Anklang, das pakistanische Publikum hatte Vergnügen an den ironischen Volten, lachte noch mehr als die Bonner Zuschauer und blieb ausnahmsweise durchweg sitzen, um die eigens auf Englisch einstudierte, spannende Komödie zu Ende zu verfolgen. Der Gouverneur vom Punjab gab einen Extra-Empfang für diese außergewöhnliche Produktion.

Sicher, Reise- und Transportkosten mussten alle eingeladenen Gäste selbst bestreiten, Auftrittshonorare gab der schmale Festivaletat nicht her. Für ein Gastspiel in Lahore bedarf es also einiger persönlicher Überzeugung, für die der Charme und das Engagement der Kollegen vor Ort restlos entschädigen.

Stück über Vertreibungen von Hindus und Moslems

Auch wenn wir im Gegensatz zu vielen pakistanischen Zuschauern die Sprache Hindi nicht verstanden, berührte z.B. ein brillant gespieltes indisches Stück über die grausamen wechselseitigen Vertreibungen der Moslems und Hindus bei der politischen Trennung der bengalischen Randstaaten vom indischen Mutterland.

Es gibt noch eine Menge aufzuarbeiten; in Lahore gibt's dafür ein ideologisch erstaunlich offenes Forum, für das die Peer-Familie sich in mühsamer Kleinarbeit ein hochkarätiges persönliches ost-westliches Netzwerk von Norwegen bis Portugal, von Russland bis zu den USA, vom Maghreb bis zum Iran und quer durch den ganzen eigenen Subkontinent geschaffen hat.

Dass sich da gelegentlich auch ein paar abgedrehte westliche Freaks von zweifelhaftem künstlerischem Niveau tummeln, gehört zum Konzept: Gastfreundlich aufgenommen wird aktuell jeder, der den Mut und das Geld für eine Reise nach Pakistan aufbringt und mit dem Cultural Clash sensibel umgeht.

Elisabeth Einecke-Klövekorn

© Elisabeth Einecke-Klövekorn

Elisabeth Einecke-Klövekorn ist freie Journalistin, Dozentin für Theaterwissenschaften an der Universität Bonn und Vorsitzende des Landesverbandes der Theatergemeinden in Nordrhein-Westfalen.

Rafi Peer Theatre Workshop (in Englisch)