Kitsch als Waffe

Der Krieg im Irak ist noch gar nicht richtig vorbei, da hat Roberto Benigni schon eine Komödie darüber gemacht. Der italienische Komiker kann offenbar gar nicht anders, als sich immer wieder in die haarigsten Situationen zu verirren. Von Philipp Bühler

Roberto Benigni und Jean Reno bei den Dreharbeiten; Foto: Verleih
Roberto Benigni und Jean Reno bei den Dreharbeiten

​​So wie in "Das Leben ist schön" (1997), seiner umstrittenen Komödie über den Holocaust, für die er 1999 drei Oscars einheimste. Benigni ist eben der Clown im Minenfeld. Für "Der Tiger und der Schnee" darf man das sogar wörtlich nehmen.

Ein Clown im Minenfeld

Attilio heißt er diesmal, aber wie immer könnte er genauso gut Roberto heißen, denn Kunst und Leben mögen in der Wirklichkeit nicht zusammenpassen. Doch genau um die hat sich Roberto Benigni nie sonderlich geschert.

So wie Attilio, seines Zeichens armer Poet und unheilbarer Romantiker. Der denkt an nichts anderes als an seine angebetete Vittoria (erneut Nicoletta Braschi, im wahren Leben noch immer Benignis Frau). Obwohl die gar nichts von ihm wissen will.

Schon seine unerschütterlich vorgebrachten Liebeserklärungen lassen schließlich erahnen, wie anstrengend so ein Leben mit Attilio aussehen könnte. Vielleicht fährt sie auch deshalb in den Irak. Dort wird sie jedenfalls Opfer eines Attentats und fällt ins Koma.

Ohne zu zögern beteiligt sich Attilio an einem Hilfskonvoi des Roten Kreuzes und fährt hinterher. Nach Bagdad, wo täglich Bomben hochgehen, die Menschen verzweifeln und alles gebrauchen können, nur keinen italienischen Witzbold.

Der Vergleich mit "Das Leben ist schön" ergibt sich wie von selbst. Im zweiten Teil des Films sah man Benigni im Konzentrationslager Auschwitz in der Rolle des Juden Guido, der seinen kleinen Sohn als Alleinunterhalter und Märchenerzähler über den Schrecken der Situation hinwegzutäuschen versuchte. Aus dem Grauen des Todeslagers wurde das "Panzer-Spiel", eine Art Schnitzeljagd.

In "Der Tiger und der Schnee" nun redet er auf Vittoria ein, die Frau im Koma, fabuliert über eine hervorragende medizinische Versorgung und die goldene Zukunft. Gegen die grausame Realität setzt Benigni die Schummelei und das Lachen, macht aus der Tragödie eine rührende Komödie.

Es ist dieses Spiel mit dem Entsetzen, das ihm im Fall von "Das Leben ist schön" heftige Proteste eingebracht hat. Der jüdische Filmemacher Mel Brooks, selbst Produzent der Nazi-Satire "The Producers" (2005), meinte erst kürzlich: "Er zeigt die Baracken, in denen Juden wie Vieh gehalten wurden, und reißt dabei Witze. Die Philosophie des Films ist: Der Mensch kommt über alles hinweg. Nein, kommt er nicht. Nicht über das KZ."

Liebe in Zeiten des Schreckens

Man muss Benigni zugute halten, dass er in seinen kulissenhaft gestalteten Filmen eine Verwechslung mit der Wirklichkeit nicht anstrebt. Auch jetzt wieder bleibt er dem Rezept treu: Eine unmenschliche Umgebung straft er mit Missachtung. Die Not leidenden IrakerInnen – gedreht wurde in Tunesien – kommen bis auf einen traurig dreinblickenden Arzt kaum vor.

​​Es geht nicht um Krieg oder Frieden, sondern um die Liebe. Attilio will Liebe machen, so schnell und so oft wie möglich. Und der Krieg muss weg, weil er ihn daran hindert. Zunächst aber muss er der sterbenden Vittoria ein Medikament beschaffen, das nirgendwo aufzutreiben ist. Die Bedingungen im Krankenhaus sind katastrophal, die Apotheken geschlossen und dann geht seinem Moped auch noch das Benzin aus – im Irak!

In der ohne Frage witzigsten Szene des Films gerät er an einen amerikanischen Checkpoint. Am ganzen Körper mit Hilfsgütern behangen, halten ihn die völlig überforderten GIs für einen Selbstmordattentäter. Natürlich geht alles gut aus. Zumindest für Attilio und seine große Liebe.

Mit "Pinocchio" (2002), also in der Rolle des zweitberühmtesten italienischen Lügenkasperls, hat Benigni zuletzt schweren Schiffbruch erlitten. Auch diesmal scheitert er. Es liegt aber nicht an solch schwierigen ästhetischen Fragen wie der Darstellbarkeit des Unvorstellbaren, die er in "Das Leben ist schön" so grandios gemeistert hat.

Dass er Verwechslungen mit der Realität immerhin riskiert, wird man ihm diesmal ohne weiteres verzeihen. Dass die Balance von Tragödie und Komödie nicht die alte Perfektion erreicht, ist ebenfalls nicht das Problem. Es sind die Handlungsstränge und Nebenfiguren, die nicht mehr so richtig zusammenpassen wollen und gelegentlich einen Eindruck sympathischer Schlampigkeit vermitteln. Alles hängt eben an Benigni.

Worüber kann man lachen?

Selbst wenn man sein Dauerfeuer anzüglicher Witzeleien und sentimentaler Weisheiten gut leiden kann, agiert er doch recht oft im luftleeren Raum. Als er Vittoria mit den Worten "Ich habe die Massenvernichtungswaffe gefunden!" eine Fliegenklatsche bringt, ist das zwar sehr lustig.

Aber angesichts ihrer traurigen Lage – eine Koma-Patientin ist kein wirklicher Gesprächspartner – verpufft der Gag. Jean Reno als berühmter irakischer Heimatdichter mit Weltschmerz macht die Sache nicht besser.

Doch es ist dem einzigartigen Benigni nicht hoch genug anzurechnen, dass er als einer von nur sehr wenigen Filmemachern die wirklich wichtigen Fragen überhaupt noch aufwirft. Wie lässt sich, wie darf man menschliches Unglück darstellen? Worüber kann man lachen? Wann muss man lachen?

Damit steht er in der Tradition von großen Komödienregisseuren wie Charlie Chaplin und Ernst Lubitsch, die für ihre Anti-Nazi-Satiren "Der große Diktator" (1940) und "Sein oder Nichtsein" (1942) ebenfalls angegriffen wurden.

Benigni begibt sich freiwillig unter Kitschverdacht, aber in seinen besten Momenten wird bei ihm der Kitsch zur Waffe, gegen eine Welt, die so, wie sie ist, niemandem gefällt. Er lässt gar keinen Zweifel daran, dass das Leben immer noch nicht schön ist.

Aber man muss es wenigstens glauben dürfen. Denn sonst könnte man, wie er im Film einmal sagt, "diese ganze Inszenierung einer sich drehenden Welt einpacken und abtransportieren!".

Von Philipp Bühler

© Philipp Bühler

Philipp Bühler ist Filmjournalist in Berlin.

Der Artikel erschien zuerst auf fluter.de, dem Jugendmagazin der Bundeszentrale für politische Bildung.

(La tigre e la neve) Italien 2005, Regie: Roberto Benigni, Buch: Roberto Benigni, Vincenzo Cerami, mit Roberto Benigni, Nicoletta Braschi, Jean Reno, Tom Waits, Emilia Fox, Gianfranco Varetto, Giuseppe Battiston

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