In der Farbe versinken

Im April 1914 unternimmt Paul Klee mit seinen Freunden August Macke und Louis Moilliet eine zweiwöchige Studienreise nach Tunesien, die sein Schaffen nachhaltig verändern wird. Darüber hat der Schweizer Filmemacher Bruno Moll einen essayistischen Dokumentarfilm gedreht.

​​Der später als "Tunisreise" in die Kunstgeschichte eingegangene Aufenthalt in Nordafrika führt Klee, wie seine kontemplativ-begeisterten Tagebucheinträge kommentieren, buchstäblich zur Erleuchtung - zu einer neuen Begegnung mit Licht und Farbe, die, wie er einige Jahre später festhält, "den Grund zu einer neuen Koloristik" legt.

Die von Klee beschriebene Offenbarung eines davor nie gesehenen Schauspiels, das die arabische Landschaft und Architektur mit ihren wechselnden Lichtverhältnissen und sinfonischen Farb-Form-Rhythmen bieten, wirkt sich im Schaffen des Künstlers als ein weiterer Schritt zur Abstraktion hin aus:

Klees Aquarelle und Zeichnungen entfernen sich nach der Reise noch weiter von jeglicher Gegenständlichkeit, wobei die Komposition der einzelnen Elemente auf dem Blatt jetzt stärker einer kosmischen Logik zu folgen scheint.

Nacer Khemir als Cicerone

Zugleich bestätigen die tief erlebten Eindrücke in Tunesien auch das Wissen um eine Berufung. So vertraut Klee seinem Reisetagebuch unter dem Datum des 16. Aprils jenes Verschmelzungserlebnis an, das bald zu den meistzitierten Beobachtungen der Klee-Forschung werden sollte:

"Ich lasse jetzt die Arbeit. Es dringt so tief in mich, ich fühle das und werde so sicher, ohne Fleiss. Die Farbe hat mich. Ich brauch nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer, ich weiss das. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: ich und die Farben sind eins. Ich bin Maler."

In seinem essayistischen Dokumentarfilm "Paul Klee - Die Tunisreise" folgt der Schweizer Filmemacher Bruno Moll fast hundert Jahre später noch einmal den Stationen von Klees tunesischer Erweckung in einer ungewöhnlichen Versuchsanordnung.

​​Denn Molls Film lässt nicht einfach in einer dokumentarischen Spurensuche die Tagebuchzitate des Künstlers auf Bilder des heutigen Tunesiens prallen, vielmehr vermittelt er uns von Klee besuchte Orte in einem geschickten Perspektivenwechsel aus der Sicht des Gastlandes:

Der tunesische Filmemacher und Geschichtenerzähler Nacer Khemir, der hierzulande mit Filmen wie "Le collier perdu de la colombe" oder "Bab' Aziz" bekannt geworden ist, begleitet uns als philosophischer Reiseführer durch Tunis, Kairouan und Hammamet mit seinen Kommentaren zur arabischen Architektur und Kunst.

Khemirs Erzählungen setzen dabei dem Exotismus und den Orientprojektionen, die die drei Künstler auf ihrer Reise nicht zuletzt auch in den Rotlichtvierteln von Tunis ziemlich kraftvoll ausgelebt haben müssen, einen sanften Kontrapunkt; zugleich aber leuchten im Laufe dieser Filmreise auch immer wieder erstaunliche Parallelen zwischen okzidentalem und orientalischem Bildschaffen auf, zwischen Klees Suche nach der Urformel der Schöpfung und Khemirs poetischer Kosmologie.

Wenn dieser etwa über die Leere als ein Moment der Demut in der arabischen Kunst nachdenkt, dann hallt darin wie ein farbengesättigtes Echo Klees Auffassung nach, dass Abstraktion eine Verbeugung vor dem Absoluten sei.

Und wenn der dem Sufismus nahestehende Filmemacher erklärt, dass die strenge Symmetrie der arabischen Architektur auf das Spiegelverhältnis zwischen Jenseits und Diesseits, zwischen Urbild und Abbild verweise, dann öffnet sich sofort eine Verbindung zur theosophisch angehauchten Mystik Klees, die sich zur Aufgabe gemacht hat, das Unsichtbare im Sichtbaren aufschimmern zu lassen.

Spirituelle Luftbrücken

Diese spirituellen - und durchaus fröhlich vergeistigten - Luftbrücken zwischen Nord und Süd gehören zu den schönsten Momenten von Molls Film. Der Höhenflug bricht allerdings auch hin und wieder ein, wenn ausgerechnet in diesem Film, in dem das Thema der Farbe so wichtig ist, die dazwischen montierten Ausschnitte aus Khemirs Filmen wegen technischer Mängel nur in schummrigen, fahlen Farbtönen erscheinen.

Oder wenn der Erzähler Khemir - der nach eigenen Angaben im Alter von zwölf Jahren in einer Klee-Ausstellung ergriffen beschlossen habe, selbst Künstler zu werden - manchmal zwischen seine weitumfassenden Gedanken unvermittelt etwas müde Allgemeinplätze streut.

Dennoch gibt das sich erst langsam entfaltende melodische Nebeneinander der Kontraste in diesem mit einfachen Mitteln produzierten Dokumentarfilm einen inspirierenden Einblick in visuelle Leidenschaften, über die man gerne mehr erfahren möchte.

Alexandra Stäheli

© Neue Zürcher Zeitung 2007

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