Kanister statt Capuccino

Tuareg-Bands wie Tinariwen und Tartit sind schon seit Jahren international erfolgreich. Die Klänge von anderen Sahara-Nomaden kennt man bei uns jedoch bislang wenig. Stefan Franzen hat die Jerry Can Band von der Sinai-Halbinsel getroffen.

Jerry Can Band; Foto: www.jerrycanband.com
Gegen den neuen Wüstenmusik-Hype und für die Bewahrung des Beduinen-Erbes: die Jerry Can Band vom Sinai.

​​Eigentlich stammen sie aus ganz unterschiedlichen Gegenden des Sinai. Ein Teil von ihnen kommt aus der Küstenstadt El-Arish, die anderen leben bei der Siedlung Abo El Hossain. Zusammengebracht hat sie der Ägypter Zakaria Ibrahim, der mit seiner Organisation "El Mastaba" an der Bewahrung vieler Traditionen zwischen Sinai und Sudan arbeitet.

"Die einzelnen Musiker spielen in ihren Heimatorten bei Hochzeiten und anderen Festen, aber diese Band habe ich gegründet, um die Beduinenkultur international bekannt zu machen", so Ibrahim. "Ich sehe, wie die ägyptische Musik immer mehr verwestlicht und möchte ein breites Spektrum unseres Erbes zu bewahren."

Schalmei und "Sesam"-Leier

Schnell entkräftet er den Verdacht, im Fahrwasser der erfolgreichen Tuaregbands einen neuen Hype mit Wüstenmusik kreieren zu wollen. Denn während sich die blauen Ritter der Sahara mit E-Gitarren an den westlichen Geschmack anpassen, wollen die Beduinen ihrer Tradition treu bleiben.

Alle ihre Instrumente sind akustisch, vereinigt in einem Ensemble waren sie noch nie. Die Schalmei Magroona, die Flöte Ney und die Fiedel mit Wolfshautbespannung finden sich da, und - als ein immer wieder perlend, den Rhythmus antreibendes Element - die kleinste Variante der pharaonischen Leier. Ihr Name "Simsimiyaa", leitet sich von "Simsim", Sesamkorn ab – eben weil sie so klein ist.

Kanister und Munitionsboxen

Für die Perkussion profitierten sie auf kuriose Weise von der politischen Spielballsituation der Sinai-Halbinsel: "Wann immer etwas gefunden wird, das als Instrument dienen könnte, dann wird es bei den Beduinen ausprobiert", erzählt Mehdat El Issawy, kreativer Kopf der Band.

"Die Kanister sind in den Dünen liegengeblieben, nachdem die israelische Besatzung zu Ende war. Und wir haben rausgefunden, dass jeder von ihnen seine eigene Stimme hat – abhängig von Alter, Größe und Beulen. Zusammen mit den Munitionsboxen klingt das toll!"

Schwarz und kräftig

Alle ihre Lieder stammen aus alter Überlieferung: Es geht um unerfüllte und verbotene Liebe, um die Atmosphäre einer Vollmondnacht in der Wüste und um die richtige Art, Kaffee zu genießen. Denn auch in der Trinkkultur setzt man sich von den Tuareg ab: Tee gilt als relativ neue Mode, im Sinai dagegen erfreut man sich am dunklen Gebräu aus dem Jemen. Schwarz und kräftig muss er sein, gemahlen mit einem Mörser.

CD-Cover Coffee Time
Kaffee schwarz und kräftig: Im Sinai erfreut man sich bis heute am dunklen Gebräu aus dem Jemen.

​​Aus Latte Macchiato und Capuccino macht man sich als Beduine gar nichts, wie es im Titelstück heißt. "Man kann bei uns Kaffee für eine Hochzeit oder eine Beerdigung zubereiten. Wenn der Verstorbene schon alt war, darf man Zucker verwenden, bei einem jungen Mann, lässt man den Kaffee bitter, um so zu zeigen, dass die Trauer noch größer ist", erklärt El Issawy.

Bei der Show der Bedouin Jerry Can Band wird jede Menge Wüstennacht-Magie gezaubert, mit einem lampenbehängten Zelt, farbenprächtigen Kamelstöcken und fröhlichen Tänzen. Da schwingt auch ein wenig Nostalgie mit, denn die nomadische Lebensweise ist durch ökonomische Zwänge bedroht.

Sänger Goma Ghanaeim wird nachdenklich: "Wir fühlen uns am wohlsten, wenn wir in der Nähe des Sandes leben, das ist unser Element. Denn schließlich steht im Koran geschrieben, dass Adam aus Sand geschaffen wurde. Auch wenn es heute viele Einflüsse aus dem modernen Leben gibt – Gebäude aus Stein, Kühlschränke – ziehen wir es immer noch vor, am offenen Feuer zu kochen, statt ins Restaurant zu gehen."

Globalisierte Beduinen

Ob die Beduinenkultur in einer globalisierten arabischen Welt überleben wird? Der Auslandserfolg der Band hat immerhin bewirkt, dass man im Sinai neuen Stolz aufs Erbe entwickelt hat. El Issawy äußert zum Schluss einen bescheidenen Wunsch für die Zukunft:

"Der Sinai ist wie eine Kreuzung: Leute aus Marokko kommen hier durch, um nach Al-Quds (Jerusalem) zu gelangen. Leute aus Palästina kreuzen unsere Region auf der Pilgerfahrt. Und wir? Die meisten Leute unserer Stämme, die im Sinai leben, haben bis heute keine Pässe. Wir wünschen uns daher, dass unsere Leute Ausweise bekommen, damit wir uns frei auf der Welt bewegen können."

Stefan Franzen

© Qantara.de 2008

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Website der Jerry Can Band