Scheidung auf marokkanisch

"Eine Verstoßene geht ihren Weg" der Schriftstellerin Leila Abouzeid war der erste marokkanische Roman, der das Problem der Scheidung mit aller Schärfe thematisiert. Nun erschien das Buch auch auf Deutsch. Eine Besprechung von Yassin Adnan.

Leila Abouzeid; Foto: Donata Kinzelbach
"Die marokkanische Frau ist konservativer und authentischer als der Mann – sie ist die Hüterin der Werte und Traditionen", meint Abouzeid

​​Als die marokkanische Schriftstellerin Leila Abouzeid 1980 ihren ersten Roman "Das Jahr des Elefanten" schrieb, lebte die Gesellschaft Marokkos noch unter dem Joch des alten Familienrechtes, bei dem die Scheidung ein Mittel war, die Frau aus dem Haus zu werfen.

"Das Jahr des Elefanten" ist der erste marokkanische Roman, der das Problem der Scheidung mit aller Schärfe thematisiert. Erstmals 1983 in Rabat erschienen, wurde das Werk 1989 ins Englische übersetzt. Nun erscheint "Das Jahr des Elefanten" auch in deutscher Sprache unter dem Titel "Eine Verstoßene geht ihren Weg" in einer Übersetzung von Imke Ahlf-Wien im Donata Kinzelbach Verlag.

Mit vier Auflagen war der Roman ein Erfolg. In der englischen Übersetzung ist er bei einigen amerikanischen Universitäten Pflichtlektüre wenn es um postkoloniale Literatur geht. Durch die deutsche Übersetzung wird das Werk nun einer noch größeren Leserschaft zugänglich gemacht.

Die marokkanische Frau als Opfer der Nationalbewegung

Der Leser des Romans empfindet unweigerlich Mitleid für die Frau, deren Schicksal es ist, von ihrem Mann verstoßen und auf die Straße gesetzt zu werden. Das neue Familienrecht ist ein Zeichen dafür, dass Marokko nicht mehr im Jahr des Elefanten lebt und sich positiv weiterentwickelt hat.

Der Mann im Roman von Leila Abouzeid, der sich von seiner Frau scheiden lässt, ist kein normaler Mensch. Er ist ein erbitterter Kämpfer, der seine besten Jahre im Kolonialgefängnis verbringen musste. "Zahra", seine Frau, kämpfte dabei treu an seiner Seite.

Unmittelbar nach der Unabhängigkeit gelingt ihm jedoch der gesellschaftliche Aufstieg und er besetzt einen hohen Posten in der marokkanischen Verwaltung. Der ehemalige Kämpfer gewöhnt sich schnell an die neue Situation und begegnet dem Volk, für dessen Unabhängigkeit er einst gekämpft hatte mit einer Arroganz, die sogar die der Kolonialisten noch übersteigt.

Seine Frau indes bleibt ihrer Gesinnung treu und weigert sich, für den gesellschaftlichen Aufstieg ihre Werte zu opfern. Sie ist nicht bereit, ihre Vergangenheit zu leugnen und hält an ihren Prinzipien fest, für die sie gekämpft hat. Doch plötzlich muss sie feststellen, dass sie nicht mehr Teil des Spiels ist und auch in dem neuen Leben ihres Mannes keinen Platz mehr hat.

Konservativer und authentischer als die Männer

"Die Romanheldin Zahra ist stellvertretend für viele Frauen, die das gleiche Schicksal erleiden", erklärt Leila Abouzeid. "Die marokkanische Frau ist meiner Meinung nach konservativer und authentischer als der Mann – sie ist die Hüterin der Werte und Traditionen. Daher befinden sich in den Reihen der Kämpfer der Nationalbewegung auch viele Frauen, denen dort das gleiche Schicksal wie Zahra ereilt."

​​Die Schriftstellerin fügt dem hinzu, dass die Romanfigur Zahra nicht so handle wie Romanheldinnen banaler Frauenromane, die sich dem Schicksal ergeben und Probleme beiseite schieben. Zahra schöpfe Kraft aus der Religion. Das patriarchalische System und die Denkweise der Männer, mit der diese ihre eigene Vormachtstellung untermauern, seien der Grund für Zahras Aufbegehren und nicht die Religion.

Ein neues Marokko präsentieren

"Nach dem Tod meines Vaters 1982 habe ich mich irgendwie befreit gefühlt und ich begann diesen Roman zu schreiben", erklärt Abouzeid. "Ich schrieb Geschichten, die eigentlich sehr viel mit mir zu tun hatten und mit denen ich gegen die negativen Veränderungen protestierte, die auch von führenden Persönlichkeiten der Nationalbewegung mitgetragen wurden – wie zum Beispiel die Tatsache, dass auch Frauen auf der Opferliste der Nationalbewegung zu finden waren."

Allerdings sei ihr nicht bewusst gewesen, dass sie Bücher schrieb, die der neuen Literatur, das heißt dem postkolonialen Roman zugeordnet werden würden. Abouzeid traf auf amerikanische Leser, die ihren Roman lobten und ihr sagten, dass für sie bisher Marokko das Marokko von Paul Bowles gewesen sei.

Das war ein Grund, der Leila Abouzeid damals antrieb, in dem Roman "Rückkehr zur Kindheit" über ihr eigenes Leben zu schreiben. Darauf folgte dann ihr fast autobiografisches Werk "Das letzte Kapitel". Abouzeid schlussfolgert: "Ich wollte mehr von diesem neuen Marokko präsentieren und durch das Schreiben zu seiner Entwicklung beitragen. Ich denke das ist die Aufgabe der Schriftsteller in der heutigen arabischen Gesellschaft."

Yassin Adnan

Aus dem Arabischen von Martina Stiel

© Qantara.de 2006

Leïla Abouzeïd: Eine Verstoßene geht ihren Weg.
ISBN 3-927069-79-5; 130 S. Euro 18.00. Roman aus dem Arabischen von Imke Ahlf-Wien

Qantara.de

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Verlag Donata Kinzelbach