Das freche Mädchen

Für ihren Film "Die verborgene Hälfte" musste die iranische Filmemacherin Tahmineh Milani ins Gefängnis. Georg Scholl unterhielt sich mit der Regisseurin - ein Gespräch über Zensur, amerikanische Filme und aufmüpfige Frauen im Iran.

"Die verborgene Hälfte" war ein Erfolg bei den Filmfestivals in Kairo und Los Angeles und gewann mehrere internationale Preise - darunter auch der Amnesty Film Festival-Preis 2002 . Wie kam der Film zu Hause an?

Foto: AP
Tahmineh Milani

​​Tahmineh Milani: Mein Film wurde knapp einen Monat gezeigt und auch das nur in einem einzigen Kino. Danach wurde er für zwei Monate verboten. Das Fernsehen unter der Aufsicht von Herrn Larijani, wollte ihn nicht senden. Diejenigen, die meinen Film sehen konnten, fanden ihn gut, weil er Diskussionen anstößt und überhaupt erst die Grundlage für Diskussionen liefert. Aber man muss unterscheiden zwischen der Reaktion des Publikums und der des Staates. Ich habe damit gerechnet, dass die konservativen Zeitungen mich und meinen Film kritisieren würden. Womit ich nicht gerechnet habe, war: wegen meines Films ins Gefängnis zu kommen.

Offenbar haben Sie einen empfindlichen Nerv getroffen...

Milani: Ich hatte befürchtet, dass das Thema Kulturrevolution zu heikel ist und dass mein Film Wellen schlagen könnte. Mein Fall ist eine Lehre für alle anderen Regisseure, die sich in verbotene Bereiche vorwagen. Es gibt eine Figur in meinem Film, die tatsächlich gelebt hat und die von den vor zwanzig Jahren aufkommenden Schlägertrupps verfolgt wurde. Die Regierung möchte an diese Zeit nicht erinnert werden und will nicht, dass das Publikum hierzu Fragen stellt.

Bei einem Ihrer früheren Filme, "Was gibt's Neues?", sorgte die Wahl eines jungen Mädchens als Hauptfigur für Ärger. Die Filmbehörde wollte, dass Sie das Drehbuch ändern und aus dem frechen Mädchen einen Jungen machen. Was war so schlimm an Ihrer Heldin?

Milani: Angeblich stachele ich die Frauen zur Aufmüpfigkeit an. Das ist ein grundsätzlicher Vorbehalt der Konservativen gegen mich. Ich glaube, sie haben tatsächlich Angst, ihre eigenen Frauen könnten auf die Idee kommen, so freche Dinge zu sagen oder zu tun wie die Frauen in meinen Filmen.

Haben andere unabhängige Filmemacher mit ähnlichen Widerständen zu kämpfen?

Milani: Sehr viele Regisseure haben diese Schwierigkeiten. Ich bin keine Ausnahme. Trotzdem gibt es keine einheitliche Gruppe unabhängiger Filmemacher mit einer gemeinsamen politischen Richtung. Jeder von ihnen sagt und tut das, was er denkt.

1991 schrieben Sie das Drehbuch zu dem Film "Zwei Frauen". Erst 1999 konnten Sie den Film drehen - immerhin zwei Jahre nach der Wahl Mohammed Khatamis zum Präsidenten. Hatte er Ihre Hoffnungen auf einen schnellen Wandel enttäuscht?

Milani: Khatami steht zu dem, was er sagt. Sein Einspruch war entscheidend für meine Entlassung aus dem Gefängnis. Auch wenn ich nicht jede seiner politischen Ansichten teile, denke ich, wir haben ihm zu verdanken, dass sich unsere Gesellschaft hin zu einer gewissen Normalität entwickelt hat, ohne dass wir dafür Blut vergießen mussten. Aber Khatami besitzt die Macht nicht allein. Deshalb musste ich Jahre warten, bis ich "Zwei Frauen" drehen konnte.

Viele Künstler im früheren Ostblock waren erfolgreich und angesehen, weil sie eine Kunst daraus gemacht hatten, ihre Regierung so zwischen den Zeilen zu kritisieren, dass die Zensoren es nicht merkten. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs waren sie nicht mehr gefragt. Droht das auch den iranischen Filmemachern, wenn die Zeiten liberaler werden? Werden sich die Zuschauer anstelle Ihrer Filme dann lieber Polizei und Actionstreifen ansehen?

Milani: Es gibt eine neue Generation, die sich sehr für Filme interessiert, die sich mit Politik und der jüngeren Vergangenheit beschäftigen. Wer aber lieber Krimis sieht, der kann sie sich auch heute schon anschauen. Das iranische Fernsehen zeigt davon jede Menge, besonders amerikanische Krimiserien.

Das widerspricht der gängigen Vorstellung von der kulturellen Abschottung durch die Iranische Regierung. Dabei würde sich eine solche Isolation gut vertragen mit der zum Teil auch in Europa populären Idee, nationale Filmproduktionen vor Konkurrenz aus Übersee zu schützen....

Milani: Die Politik des staatlichen Fernsehens ist das glatte Gegenteil! Es zeigt amerikanische Filme, um die Kinos auszuhungern. Das ist eine Strategie, die sich gezielt gegen unsere Filme richtet. Nur einmal war es für kurze Zeit offizielle Politik, keine indischen und amerikanischen Filme zu zeigen. Die Kinos haben davon profitiert, jetzt aber hat sich das, geändert, und die Kinos gehen bankrott. Dies ist eine entscheidende Phase für unseren Film. Wer gewinnt, ist noch nicht ausgemacht.
Die Dominanz des amerikanischen Films wird auch hierzulande immer wieder beklagt. Auf der anderen Seite träumen wohl die meisten deutschen Regisseure davon, irgendwann einmal in Hollywood zu arbeiten. Teilen Sie die Faszination für das amerikanische Kino?

Milani: Nein, wirklich nicht. Ich mag einige wenige Regisseure, Oliver Stone, David Fincher und seinen Film "Seven", ich mochte auch "Der mit dem Wolf tanzt" von Kevin Costner. Ansonsten kann ich mit Hollywood nicht viel anfangen.

Das Interview führte Georg Scholl für die Zeitschrift für KulturAustausch 1/02 (ifa)