Zwischen Zensur und Kassenschlager

Ihre Arbeit ist eine ständige Gratwanderung zwischen Tradition und Emanzipation, zwischen Freiheit und Zensur. Die iranische Regisseurin Tahmineh Milani im Gespräch über Regisseurinnen, ihre Aufgabe und das Kino.

Tahmine Milani; Foto: privat
Tahmine Milani: "Ich wähle das Kino als ein Medium, als eine Ausrüstung, um meine Ideen zu erklären und zu beschreiben, was in meinem Gehirn und meinem Herzen passiert."

​​Tahmineh Milani ist international eine der erfolgreichsten iranischen Regisseurinnen. Ihre Leidenschaft für den Film entdeckte die 1960 in Tabriz, Iran, geborene Architektin 1979 bei einem Drehbuch-Workshop. Zehn Jahre später präsentierte sie ihren ersten Film "Children of divorce". Mit "The Legend of Ah" (1990) und "Two women" (1999) gelang ihr der internationale Durchbruch. Ihre Filme sind in vielen Ländern preisgekrönt – im Iran dagegen häufig zensiert. Für ihre politischen Darstellungen in "The hidden half" (2001) wurde sie verhaftet. Eine Petition namhafter internationaler Regisseure wie Sean Penn und das Einlenken des damaligen Präsidenten Khatami verhalfen ihr zur Freilassung. 2006 stellte sie ihren neuen Film "Atash Bas" ("Cease Fire") vor. Er brach alle iranischen Box-Office-Rekorde der letzten fünf Jahre und lief mehr als 80 Tage in den Teheraner Kinos.

Bekommen Regisseurinnen im Iran mehr Schwierigkeiten als ihre männlichen Kollegen?

Tahmineh Milani: Im Iran ist es nicht wichtig, ob du eine Regisseurin, Ärztin, Krankenschwester oder Lehrerin bist. Wenn du eine Frau bist, hast du in jedem Beruf die gleichen Probleme – und die gleichen Probleme wie andere Frauen auch. Es ist überhaupt nicht wichtig, was für eine berufliche Karriere du machst.

Ich hatte die gleichen Probleme als Architektin wie jetzt als Filmemacherin. Unsere Regisseurinnen drehen auch nicht mehr Szenen als ihre männlichen Kollegen. Wir arbeiten unter der gleichen Zensur, mit den gleichen Problemen. Man liest unsere Drehbücher, dann brauchen wir eine Erlaubnis. Das sind wirklich die gleichen Probleme.

Aber ist das nicht eine gefährliche Kombination, Frau und kritische Regisseurin zu sein?

Milani: Nein, das ist es nicht. Lassen Sie mich eine kleine Geschichte erzählen. Als sich mein Studium beendet habe, war ich Architektin und ich bin zu meinen Gebäuden gegangen und hatte Probleme mit den Arbeitern. Denn sie akzeptierten mich als Architektin vor vielleicht 20 Jahren nicht.

Dann passierte es, als ich anfing, meinen ersten Film zu machen, "Children of divorce". Da war ich ungefähr 26 oder 27 Jahre alt und das Team, mit dem ich arbeitete, lachte mich die ganze Zeit aus. Sie machten Witze und lachten. Aber bei meinem zweiten Film war alles ok. Das war sicherlich auch so, weil es vor mir schon Filmemacherinnen gab.

Für mich war es besser, als für sie damals, und nach mir wird es auch wieder einfacher sein. Wir wollen unsere Filme zeigen und wir finden einen Weg. Im Moment habe ich aber keine Probleme mehr, weil man meine Karriere akzeptiert.

Warum treffen Sie mit Ihren Filmen einen empfindlichen Nerv?

Milani: In unserer Geschichte gab es eine schwarze Periode. Das ist heute ein Tabuthema. Als die Revolution im Iran vor ungefähr 27 Jahren losging, schloss die Regierung nach einem Jahr alle Universitäten für ungefähr vier Jahre, weil sie die Universitäten kontrollieren wollten. Sie brachten damals einige Studenten im Gefängnis um, einige Studenten zogen weg.

Diese vier Jahre sind in unserer Geschichte ein Tabuthema. Keiner spricht darüber, höchstens vielleicht außerhalb des Irans. In meinem Film "The hidden half" versuche ich, einen Fall zu zeigen. Doch einige Szenen wurden beschränkt, so konnten wir zum Beispiel nicht zeigen, dass die Regierung zahlreiche Studenten umgebracht hat. Die Regierung hat Angst.

Ich habe damit gerechnet, dass die konservativen Zeitungen mich und meinen Film kritisieren würden, ich habe aber nicht damit gerechnet, dass ich ins Gefängnis kommen werde. Aber ich denke, dass sie mich nicht wegen meines Fils ins Gefängnis steckten, sondern weil sie den anderen Regisseuren etwas sagen wollten: Passt auf!

Wie hat sich Ihre Situation danach verändert?

Milani: Es war wirklich schlimm, als ich verhaftet wurde. Sie geben dir eine Nummer und machen für das Gefängnis ein Foto von dir. Ich war nicht Tahmineh Milani, sondern eine Nummer. Das hatte zur Folge, dass ich danach Probleme hatte, Professorin oder Lehrerin an der Universität zu werden. Denn für sie wäre es illegal gewesen, mich zu akzeptieren.

Im Moment habe ich einen schweren Stand. Als ich zum Beispiel meinen achten Film "The unwanted woman" machen wollte und drei Polizeistationen benötigte, da sagten sie "Nein, wir geben dir diese Stationen nicht, weil du schon einmal im Gefängnis saßt". Im Iran ist es immer wichtig, wer der Boss ist, wer an der Spitze ist, wer der Präsident ist. Danach richtet sich alles.

Ich erinnere mich an eine Situation, als ich zum Ministerium für Kultur ging und nach der Dreh-Genehmigung für einen Film fragte. Der zuständige Minister sagte zu seinem Assistenten: "Frauen haben etwas zu sagen, lass sie Filme machen“. Das kam von ihm.

Worin sehen Sie als Filmemacherin Ihre Aufgabe?

Milani: Für mich ist das Kino selbst nicht wirklich wichtig. Ich bin nicht verrückt nach Kino. Ich wähle das Kino als ein Medium, als eine Ausrüstung, um meine Ideen zu erklären und zu beschreiben, was in meinem Gehirn und meinem Herzen passiert. Und ich denke, ich war bisher damit recht erfolgreich.

Ich habe neun Features gemacht und einen Kurzfilm für UNICEF. Acht Filme handeln von iranischen Frauen, der Mittelklasse, sozialen, ökonomischen und anderen Problemen. Ich versuche, unserer Gesellschaft zu zeigen, was in den Frauen vorgeht, was ihre Wünsche sind, was sie wollen und lieben. Ich versuche, meine Ideen zu unserer Gesellschaft zu beschreiben.

Und ich bin nicht wie andere Regisseure. Beispielsweise kümmere ich mich nicht um auswärtige Filmfestivals. Ich liebe mein Volk, ich liebe es, wenn Iraner kommen und meine Filme sehen. Ich bin wirklich glücklich, dass ich außerhalb des Iran so erfolgreich bin, aber mein größtes Ziel ist das iranische Publikum.

Was für eine Bedeutung hat denn das Kino in Ihrem Land?

Milani: In den letzten 20 Jahren ist die Bedeutung des Kinos im Iran enorm gewachsen. Gerade die jüngere Generation misst dem Film eine ungeheure Bedeutung bei. Sie versteht unsere Handschrift sehr gut und verlangt von uns Regisseuren eine hohe Verantwortung.

Unsere Filme sollen Botschaften vermitteln. Das gibt uns den Mut, weiterzumachen. Im Iran lesen die Menschen nicht viel Zeitung oder Bücher. Aber sie sind verrückt nach Kinofilmen. Also dachte ich, dass das der beste Weg ist, um zu den Menschen zu sprechen und meine Ideen auszudrücken.

Das Interview führte Claudia Auer

© DW-WORLD.DE 2006

Qantara.de

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