Ausflug in die Vergangenheit

Das "Hotel Baron" in Aleppo ist Zeuge europäischer Nahostpolitik und syrischer Geschichte. Wo früher Präsidenten und Könige, Schriftsteller und Spione wohnten, erlebte Kristin Helberg modernen Komfort im Flair von damals.

Eingangshalle im Hotel Baron in Aleppo; Foto: Kristin Helberg
Ein geschichtsträchtiger und nostalgischer Ort im Herzen Aleppos: Das Hotel Baron

​​Raum 203. Das Agatha-Christie-Zimmer. Viel Fantasie braucht es nicht, sich die englische Dame auf dem Thonetstuhl vor dem dunklen Sekretär mit den geschliffenen Spiegeln, den feinen Einlegearbeiten und den Schubladen mit den Goldgriffen vorzustellen.

"Das ist die Originaleinrichtung aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts", sagt Armen Mazloumian und zeigt auf den dazugehörigen Kleiderschrank und die beiden Betten. "Restauriert und mit neuen Matratzen", fügt der Hotelbesitzer lächelnd hinzu. Klimaanlage, Minibar, Fernseher und das Badezimmer sind neu, die Fußbodenkacheln alt – so sollen heutige Ansprüche an Sauberkeit und Komfort erfüllt und dabei ein historisches Ambiente erhalten werden.

Im "Baron" residierte Lawrence von Arabien

Der Rundgang durch den zweiten Stock des "Baron" gerät zum Streifzug durch die Geschichte. Lawrence von Arabien schlief in 202, vom Balkon in Zimmer 215 rief König Faisal 1918 die syrische Unabhängigkeit aus. Die Präsidentensuite teilten sich nacheinander der schwedische König Gustav Adolf, Ägyptens Jamal Abdel Nasser, Syriens Ex-Präsident Hafiz Al Assad, der Begründer der Vereinigten Arabischen Emirate, Scheich Zayed bin Sultan, und US-Milliardär David Rockefeller.

Die Staatsbankette, die das "Baron" ihnen zu Ehren ausrichtete, fanden im großen Speisesaal im Erdgeschoss statt. Heute frühstücken die Hotelgäste hier – umgeben von holzvertäfelten Wänden, massiven Flügeltüren, grün-beige-braunen Kacheln und schief hängenden Lampenschirmen.

Es sind die Details, die das Baron einzigartig machen: die klobige grasgrüne Telefonanlage am Empfang, die gerahmte Rechnung von Lawrence von Arabien, das verkratzte Blechschild des "1899 gegründeten Automobilclubs von Deutschland" am Eingang, die eingestaubte Flasche Jägermeister im Regal hinter der Bar.

Statt perfekter Professionalität verbreitet das "Baron" den originellen Charme eines Familienbetriebes. Zum Inventar gehören neben den Art Deko-Möbeln auch Lucine, die Rezeptionistin, die seit 35 Jahren im Hotel arbeitet, und Walid, der vor 42 Jahren als Nachtportier anfing und heute Ausflüge für die Gäste organisiert.

Familientradition seit 1870

Die Geschichte des Hotels ist zugleich die Geschichte der armenischen Familie Mazloumian, in deren Händen sich das "Baron" bis heute befindet. Manch harte Zeiten habe das Hotel bereits überstanden, sagt Armen Mazloumian, der den Betrieb seit Mitte der 70er Jahre führt: zwei Weltkriege, Deportationen, diverse Staatsstreiche und 35 Jahre Sozialismus.

Da werde er sich auch weiterhin gegen Kaufangebote und Übernahmeversuche wehren, so der 54-Jährige trotzig. Er fühlt sich seiner Familie verpflichtet – schließlich war es ein Mazloumian, der das Hotelgewerbe in Aleppo einst gründete.

Um 1870 begab sich Armens Urgroßvater von Anatolien aus auf Pilgerreise nach Jerusalem. Er kam durch Aleppo, das schon damals ein kosmopolitisches Handelszentrum war, und bemerkte, wie unkomfortabel die Europäer in den traditionellen Karawansereien der Stadt wohnten.

Armen Mazloumian; Foto: Kristin Helberg
Das Hotel hat bereits viel überstanden: zwei Weltkriege, Deportationen, diverse Staatsstreiche und 35 Jahre Sozialismus, meint Armen Mazloumian, der den Betrieb seit Mitte der 70er Jahre führt

​​Als er die Hotels in Jerusalem sah, beschloss er, eine ebenso moderne Unterkunft in Aleppo zu errichten. Das "Ararat" entstand, Ende des 19. Jahrhunderts das erste Hotel in der Region. "Jedes Zimmer hatte einen kleinen Ofen, eine Kerze, ein Bett und ein Wasserbecken", erzählt Armen.

Die beiden Söhne des Urgroßvaters eröffneten zunächst eigene Hotels, bis sie sich entschlossen, gemeinsam ein großes Projekt zu starten: das "Baron's Hotel".

Inmitten der Gärten am Stadtrand von Aleppo bauten sie 1909 den ersten Stock des heutigen Gebäudes, 1911 den zweiten. 1940 folgte ein dritter Stock, der in den letzten Jahren renoviert und modern eingerichtet wurde.

Einzigartige Mischung

Die europäischen Gäste waren vom "Barons Hotel" begeistert. Von der Terrasse aus konnten sie Enten schießen, in den tiefen Ledersesseln des Salons Diplomatie betreiben, an der Bar die jüngsten weltpolitischen Ereignisse diskutieren.

Die gediegene Atmosphäre sprach sich herum, bald hatte sich das Haus der Mazloumian-Brüder über Aleppo hinaus einen Namen gemacht. Wer im Nahen Osten etwas zu sagen hatte – ob politisch, wirtschaftlich oder militärisch – stieg im "Baron" ab.

Bis zum Zweiten Weltkrieg waren es vor allem Briten und Deutsche, sagt Armen und blättert im Gästebuch. Als Archäologen getarnte britische Spione bespitzelten deutsche Generäle, diese richteten für ihre osmanischen Verbündeten prächtige Bankette aus, deutsche Ingenieure bauten die Berlin-Bagdad-Bahn.

Agatha Christie trällerte jeden Morgen ein fröhliches "Good Morning" durch das breite Treppenhaus, bevor sie sich auf die Terrasse setzte, um bei einer Tasse Tee an ihrem "Mord im Orientexpress" zu schreiben.

Eine Zeitreise durch die Geschichte

Armen bestellt Kaviar und Bier und kommt ins Plaudern. Oft hat er sich die Geschichten von seinem 1993 verstorbenen Vater Gregory erzählen lassen. Fällt ihm ein Name nicht sofort ein, ruft er seine Mutter Sally an.

Die britische Lady, die als junge Krankenschwester 1947 nach Aleppo kam und dort den als Koko bekannten Gregory Mazloumian heiratete, erinnert sich gerne an die vornehmen Gäste vergangener Zeiten.

Neben Staatsbesuchen, Empfängen und konspirativen Treffen spielten sich im Hotel "Baron" aber auch persönliche Dramen ab. So verliebte sich Paul, der deutsche Oberkellner des Hotels, vor vielen Jahren in Schwester Anna, die Kindergärtnerin des kleinen Koko. "Hinter dem Hotel gab es damals einen von deutschen Ordensschwestern geführten Kindergarten, in den mein Vater ging", erzählt Armen.

Paul bereitete jeden Tag das Pausenbrot des kleinen Jungen vor und trug ihm auf, die Tüte Schwester Anna zu übergeben. "Er versteckte darin Liebesbriefe an die deutsche Nonne, schaffte es jedoch nicht, ihr Herz zu erobern." Nachdem seine Pausenbrot-Briefe unbeantwortet blieben, setzte Paul seinem Leiden ein Ende. "Er schoss sich im Keller des Hotels in den Kopf", so Armen – das habe sein Vater nie vergessen.

Der Hotelier klappt das Gästebuch zu, dabei könnte er noch ewig weiter erzählen. Von Doppelagenten, Bauchtänzerinnen und kranken Kronprinzen. Das "Baron" liefert reichlich Stoff für einen spannenden Film – zumindest aber für einen Hotelbesuch der besonderen Art.

Kristin Helberg

© Qantara.de 2006

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