"Hello, Kifak, Ça va?"

Im Rahmen eines Journalistenaustauschs verbrachte der Berliner Jan Oberländer vier Wochen in der libanesischen Hauptstadt Beirut – und war überrascht von der Gleichzeitigkeit von Orient und Okzident. Einige Schnappschüsse

Libanesische Flagge; Foto: AP
"Öfters hörte ich, Beirut sei für einen Europäer ein milder Einstieg in die arabische Welt", schreibt Jan Oberländer

​​Für mich fing der Orient bereits im Flugzeug an. Seriöse Herren mit teuren Brillen studierten arabische Zeitungen, während ich unkonzentriert in der International Herald Tribune blätterte. Der Chihuahua einer Mitreisenden kläffte aus dem Gepäckfach. Es war der 2. November 2005, ich saß im Flugzeug nach Beirut.

Mein erster Kontakt mit der arabischen Welt wurde vom Goethe-Institut und von der Heinrich-Böll-Stiftung ermöglicht. Deren gemeinsames Austauschprojekt "Living Globality" will Kulturjournalisten aus Deutschland und arabischen Ländern die Gelegenheit geben, sich vor Ort von der jeweils anderen Kultur beeindrucken zu lassen.

Im August 2005 waren Journalisten aus Alexandria, Casablanca, Ramallah und Beirut in Berlin gewesen. Nun begann mein Gegenbesuch, vier Wochen Beirut. Die Zeit verging wie vorgespult und war dabei so erlebnisreich, dass ich, vor der Ereignisfülle kapitulierend, nur schnappschusshaft berichte.

Zwischen Orient und Okzident

Was ein gutes Stichwort ist. Denn ich habe mir häufig die Frage gestellt: Was fotografiere ich eigentlich? All das Orientalische, das mir ja tatsächlich fremd und neu ist? Oder all das Westliche, das in Beirut genauso selbstverständlich ist wie in Berlin?

Die verschleierten Frauen oder die sexy Menschen in den Clubs, die schrottreifen Taxis oder die glänzenden Geländewagen, die Kriegsruinen oder die Architektur von Bernard Khoury, die Souks oder die Shoppingmalls, die Falafelläden oder die McDonalds-Filialen, die Hisbollah-Poster oder die Werbetafeln?

Auf dem Festival "Home Works", das als "Forum on Cultural Practices" Kulturschaffenden aus der ganzen Region Gelegenheit zum Austausch gab, lief auch der Dokumentarfilm "Welcome to Beirut" von Fouad Elkoury.

In dem Film fahren zwei junge Frauen mit dem Auto durch die Stadt. Sie unterhalten sich auf Englisch und Französisch, und eins der Mädchen erzählt, dass sie einmal einen Touristen beschuldigt habe, dass er sie heimlich fotografiere. Der aber wollte bloß eine zerbombte Ruine knipsen. Für die junge Frau eine umso größere Unverschämtheit: "Ist ein Gebäude mit Einschusslöchern etwa schöner als ich?"

Hybridslang der jugendlichen Oberschicht

Öfters hörte ich, Beirut sei für einen Europäer ein milder Einstieg in die arabische Welt. Das fiel mir schon in der Sprache auf: Die junge libanesische Oberschicht ist sehr westlich, sehr international, oft dreisprachig aufgewachsen. Man unterhält sich auf Englisch, auch untereinander, oder in einem arabisch-englisch-französischen Hybridslang, den die Begrüßungsformel "Hello, kifak, ça va?" auf den Punkt bringt.

SMS auf Arabisch werden ins lateinische Buchstabensystem transkribiert, Zahlen ersetzen bestimmte Buchstaben des arabischen Alphabets. Die Studenten der American University Beirut, mit denen ich in einem Restaurant ins Gespräch kam, waren sich einig, dass sie nach ihrem Abschluss ins Ausland gehen wollen. Einen guten Job annehmen, Geld verdienen. Und irgendwann vielleicht, wenn die Infrastruktur und der Jobmarkt besser seien als heute, in den Libanon zurückkehren.

Irritiert hat mich ein Modeplakat, auf dem junge, schick gekleidete Menschen eine weiße Taube aufsteigen lassen. Der Slogan hieß: "Say No to Terrorism", ich sah ihn häufig, genauso wie die anderen aus derselben Serie: "Say No to War", "Say No to Stress", "Say No to Anger" – Konsum als Friedensbote, Lifestyle als Entspannungspolitik. Zumindest in dieser Hinsicht scheint der Westen angekommen zu sein im Libanon.

Besuch im Flüchtlingslager

Einer meiner Mitbewohner in der WG, in der ich untergekommen war, hieß Amer. Er ist jordanischer Palästinenser, und er trug bevorzugt T-Shirts mit Namen englischsprachiger Alternativ-Bands: Radiohead, Tool, A Perfect Circle. Wir haben unsere Laptops nebeneinander gestellt und mp3s ausgetauscht.

Einmal fuhr Amer mit mir und zwei anderen Deutschen in das palästinensische Flüchtlingslager Sabra, in der Nähe des Beiruter Flughafens. Die Wohngebiete betraten wir nicht, sahen aber die Baracken in den Seitenstraßen. Wir liefen auf der Hauptstraße mit ihren niedrigen Häusern, mit ihren Hähnchengrills, Gemüseständen und Handwagen, auf denen sich raubkopierte CD stapelten.

Wir gingen bis zur Gedenkstätte für das Massaker, das christliche Milizen im September 1982 in den Lagern Sabra und Shatila verübten. Dort blieb Amer stehen, ganz ruhig in seinem Radiohead-Pullover, und betete.

Sonne im Bananenmeer

Wenn man auf der Küstenstraße von Beirut nach Süden fährt, sieht man über Kilometer hinweg Bananenplantagen am Straßenrand. Ich begleitete meinen Austauschpartner Wissam Saade, Redakteur und Kolumnist bei der Tageszeitung Al-Safir, nach Tyrus, wo er einen Freund besuchen wollte.

Wir fuhren kurz in der Redaktion vorbei, damit Wissam einen Artikel abschicken konnte, dann ging es los, am Meer entlang, im Auto lief eine leiernde Kassette mit kommunistischen Revolutionsliedern. Wissam grinste, er fand die Texte lustig, ich verstand kein Wort.

Das sollte so bleiben an diesem Tag, den wir auf der Veranda im ersten Stock eines Backsteinhäuschens inmitten eines Ozeans aus Bananenblättern verbrachten. Die Freunde unterhielten sich auf Arabisch, es ging um Politik, sie lachten viel, Wissam übersetzte fast nichts. Dabei wurden Fische gegrillt, es gab Zitronen frisch vom Baum, Oliven und Brot, Arrak und Almaza, das libanesische Bier. Die Sonne ging im Bananenmeer unter, und wir verstanden uns glänzend.

An einem anderen Abend fuhr ich mit anderen Kollegen in eine Bar namens "Green", wir waren acht Personen in einem Auto: drei vorne, fünf hinten. "Welcome to the Middle East", lachte einer, dann waren wir da.

Auf der winzigen Bühne des Lokals spielte eine Drei-Mann-Band orientalischen Pop, ein Almaza half mir bei der Entscheidung, mich unter die Tanzenden zu mischen. Überhaupt: das Tanzen. In libanesischen Restaurants werden bisweilen Besteckschränke frei geräumt, um darauf einen Hüftschwung hinzulegen, der in Deutschland einfach nicht stattfindet.

Im "Green" war auch ich locker in der Hüfte, meine Armarbeit war spitze und die Drehungen hatte ich auch drauf. Dachte ich. Eine libanesische Schönheit beobachtete mich, dann lächelte sie mich an und sagte: "This is not at all oriental."

Jan Oberländer

© Qantara.de 2006

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