Schon Gerüchte können verhängnisvoll sein

Die Ermordung der Drusin Huda Abu Asly durch ihren Bruder im September 2005 führte erstmalig zu einer öffentlichen Debatte über Ehrenmorde in Syrien. Ingmar Kreisl berichtet

Verschleierte Frauen in der Innenstadt von Damaskus; Foto: dpa
Ehrenmorde waren in Syrien lange Zeit ein Tabuthema und wurden in der Öffentlichkeit totgeschwiegen.

​​Die Drusin Huda Abu Asly wurde im September 2005 getötet, weil ihre Familienmitglieder nicht akzeptierten, dass sie einen Nicht-Drusen geheiratet hatte – innerhalb der drusischen Religionsgemeinschaft ein schweres Vergehen. Deshalb wurde sie unter dem Vorwand der Aussöhnung mit ihrer Familie nach Swueida, südöstlich von Damaskus, gelockt und dort von ihrem Bruder getötet.

Jedes Jahr erleiden junge Frauen in Syrien dasselbe Schicksal und sterben durch die Hand ihrer Väter oder Brüder, weil sie angeblich die Familienehre beschmutzt hätten und diese nur durch den Tod der Frau wieder hergestellt werden könne.

Angst vor harten Strafen müssen die Täter indes nicht haben. Nach geltendem syrischem Recht kann es zu erheblichen Strafmilderungen kommen, wenn das Tatmotiv im Zusammenhang mit Ehrenfragen steht. Artikel 548 des syrischen Strafgesetzbuches gewährt erhebliche Strafmilderungen, falls der Täter sich auf das Ehrenmotiv beruft.

Da´ad Mousa, syrische Anwältin und Frauenrechtsaktivistin, spricht von 100 Ehrenmorden im Zeitraum zwischen 2000 und 2003, räumt aber gleichzeitig ein, dass dies nur die offiziell registrierten Fälle sind. Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters werden in Syrien jährlich zwischen 200 und 300 Ehrenmorde begangen, der Großteil davon in ländlichen Gebieten.

Da die Täter immer Familienmitglieder sind, ist der Personenkreis, durch den ein Mord typischerweise zur Anzeige gebracht wird, beschränkt. Viele Ehrenmorde dringen vermutlich nie an die Öffentlichkeit.

Schon Gerüchte sind gefährlich

Ob die Vorwürfe, die den Frauen entgegengebracht werden, Tatsachen entsprechen, ist dabei oft nicht einmal entscheidend. Ein Verdacht oder auch Gerüchte innerhalb der Familie und unter Nachbarn reichen aus, um eine vermeintlich unmoralische Frau für den Rest der Familie untragbar zu machen.

Der Mord an der jungen Drusin führte jedoch zu einem öffentlichen Aufschrei. Die syrische Website „Syrische Frauen“ startete als Reaktion auf den Mord an Huda eine umfangreiche Kampagne gegen Ehrenmorde, um das Problem einer breiten Öffentlichkeit bewusst zu machen.

Das Projekt „Syrische Frauen“ bezeichnet sich selbst als unabhängige Internetplattform, die sich mit gesellschaftlichen Problemen in Syrien befasst. Unter dem Titel „Stoppt die Morde an Frauen, Stoppt die Ehrenmorde“ verfasste sie eine Internetpetition, in der zu einer Verurteilung von Ehrenmorden aufgerufen wird.

Gleichzeitig veröffentlichte sie zahlreiche Artikel auf ihrer Homepage, in der Anwälte, Geistliche und sogar Parlamentsabgeordnete Ehrenmorde verurteilen.

Der Aufruf wurde von vielen Internetseiten, die sich mit Menschen- und Frauenrechten befassen, unterstützt und im Internet weiterverbreitet.

Das Internet – in Syrien erst seit 2001 erlaubt – ist für Syrer zu einer der wichtigsten Informationsquellen geworden, weil sie dort unabhängige Informationen finden, die in der syrischen Regierungspresse nicht zu finden sind, auch wenn das syrische Regime immer wieder versucht regierungskritische Sites zu sperren.

Syrische Regierungspresse schloss sich der Kampagne an

Sechs Monate nach Veröffentlichung der Initiative gegen Ehrenmorde schloss sich auch die syrische Regierungspresse der Kampagne von Nesasy.com an und berichtete erstmals über Ehrenmorde.

So veröffentlichte die regierungsnahe syrische Tageszeitung Al-Thawra eine ausführliche Studie über Ehrenmorde, in der viele syrische Geistliche, Rechtsanwälte und Politiker bestätigten, dass Ehrenmorde in allen Religionen verboten seien.

Mittlerweile hat die Kampagne quer durch alle Religionen erheblichen Zuspruch erhalten. Geistliche aus allen Religionsgemeinschaften, auch drusische, verurteilten den Mord an Huda.

Ayman Schufi, drusischer Geistlicher aus Swueida hebt hervor, dass Mord im Drusentum verboten sei, auch wenn er aus Ehrenmotiven begangen wird.

Ehrenmorde stehen nicht im Einklang mit Scharia

Der syrische Großmufti Ahmed Hassun schrieb in einer Erklärung, die auf Nesssy.com erschien, dass Ehrenmorde ein schweres Verbrechen sind, die vom Gesetz wie jeder andere Mord behandelt werden müssen. Auch er fordert die Abschaffung des Paragraphen 548, der Ehrenmördern oft Strafmilderung zugesteht.

Ebenso argumentiert Dr. Muhammad Habbash, Abgeordneter im syrischen Parlament und Direktor des islamischen Forschungszentrum Damaskus, Ehrenmorde seien im Islam verboten und stünden nicht im Einklang mit der Scharia.

Doch trotz der breiten gesellschaftlichen Unterstützung gibt es auch Widerstand gegen die Initiative, der kommt vor allem aus religiös-konservativen Kreisen.

Der sunnitische Geistliche Muhammad Said al-Bouty, einer der einflussreichsten gelehrten des Landes, beschuldigte Nesasy.com und andere Frauenrechtsbewegungen des "Zersetzens der nationalen Einheit". In einem auf seiner Website veröffentlichten Artikel bezichtigte er die Frauenrechtsorganisationen einen „zionistisch-amerikanischen Plan zur Zerstörung Syriens“ zu unterstützen.

Said al-Bouty ist nicht der einzige religiöse Würdenträger, der die Frauenrechtsorganisationen kritisiert. Nada Al-Alie, eine Frauenrechtsaktivistin aus Damaskus berichtete auf der Website „Women under Islamic Law“, Imame hätten sie in Freitagspredigten als Atheistin bezeichnet und als Verräterin beschimpft, die religiöse Regeln verletzen.

Dies gesteht auch der syrische Großmufti Ahmad Hassun ein und sagt, es gäbe einige Geistliche, die den Dialog verweigern. Er fügt jedoch hinzu, dass sie in der Minderheit seien.

Ehrenmorde wurden zum öffentlichen Thema

Ehrenmorde waren in Syrien lange Zeit ein Tabuthema und wurden in der Öffentlichkeit totgeschwiegen. Der aktuelle Diskurs in den Medien und im Internet zeigt, dass Ehrenmorde nun zum öffentlichen Thema geworden sind. Die intensive Auseinandersetzung - gerade mit der bestehenden Gesetzeslage – bereitet den Weg für eine angemessenere Bestrafung der Täter.

Die gemeinsame Verurteilung von Ehrenmorden durch prominente Repräsentanten unterschiedlicher Religionen lässt zudem hoffen, dass gesellschaftliche Normen und das Verständnis von Familienehre einen Wandel erfahren, der den Frauen in Zukunft mehr Sicherheit gewährt.

Doch ungeachtet aller Anstrengungen, die bisher unternommen wurden, hat sich die Lage nicht geändert. Artikel 548 des syrischen Strafgesetzbuches ist trotz der Kampagne noch nicht abgeschafft worden. Zwar gibt es Pläne zur Errichtung von Frauenhäusern, in denen Frauen vor häuslicher Gewalt Zuflucht suchen können. Doch auch diese Pläne befinden erst im Anfangsstadium.

Basam al-Qadi, Verantwortlicher der Homepage „Syrische Frauen“, erklärt dazu, das Wichtigste der Kampagne war, die Vielzahl der Meinungen zu zeigen, die Ehrenmorde verurteilen.

Das hat die Kampagne zweifellos geschafft, doch bis zur endgültigen Abschaffung des Artikels 548 dürfte es noch ein langer Weg sein.

Ingmar Kreisl

© Qantara 2006

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