Antisemitismus unter Muslimen nimmt zu

Auf der Berliner Konferenz "Der Holocaust im transnationalen Gedächtnis" wurde auch eine Zunahme des Antisemitismus unter Muslimen in Europa konstatiert. Ariana Mirza berichtet über Expertenmeinungen und Diskussionsergebnisse.

Den gelben Davidstern, den Juden während der NS-Zeit als Erkennungsmerkmal tragen mussten, in einer Holocaust-Gedenkstätte; Foto: AP
Das relativ neue Phänomen des muslimischen Antisemitismus ist eng mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt verbunden

​​Die Leugnung des Holocaust und der gegenwärtige Antisemitismus waren die Hauptthemen der internationalen Konferenz, zu der die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) am 11. November in Berlin geladen hatte. Man diskutierte über den Stand der Forschung, aber auch über Vermittlungsprobleme.

Offensichtlich gelingt es zurzeit weder Wissenschaft noch gesellschaftlichen Instanzen, den wiederaufkeimenden Antisemitismus zu stoppen. "In Deutschland ist der Antisemitismus bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen", warnte Wolfgang Benz vom Berliner "Zentrum für Antisemitismusforschung".

Natürlich betrifft diese Entwicklung nicht nur muslimische Migranten. Aber dem sprunghaft anwachsenden Antisemitismus unter jungen Menschen aus Einwandererfamilien widmete die Konferenz besonderes Augenmerk. Warum stößt das Feindbild Jude gerade bei ihnen auf so viel Resonanz? Wieso schnellen die Zahlen der von ihnen verübten Übergriffe und Gewalttaten in die Höhe?

Einfluss der Medien

"In Frankreich sind es heute junge Männer aus den Maghreb-Staaten, die brutale antisemitische Gewalttaten verüben", eröffnete der Pariser Politologe Jean-Yves Camus die Diskussionsrunde. Diese Tendenz sei auch in Deutschland, den Niederlanden und anderen europäischen Staaten nicht mehr zu übersehen, lautete das einhellige Urteil.

"Eine wesentliche Rolle hierfür spielt das Satellitenfernsehen", sagte der deutsch-türkische Journalist Ahmet Senyurt. Seit die Berichterstattung arabischer Sender über den Palästinakonflikt auch Migranten in Europa erreicht, habe der Antisemitismus in diesen Kreisen zugenommen.

Des Weiteren verwies Senyurt auf die Propaganda durch einschlägige Videos. Er berichtete, dass unter muslimischen Einwanderern Filme kursierten, die Juden als blutrünstige, verschlagene Unmenschen darstellten. "Da wird seit zwei, drei Jahren gezielt Hetze betrieben."

Mangelnde Aufklärung

Der Antisemitismus bei so beeinflussten Jugendlichen sei allerdings sehr diffus. "Zunächst erklären sie, es habe keinen Holocaust gegeben,

Konzentrationslager in Ausschwitz; Foto: AP
Offensichtlich gelingt es zurzeit weder Wissenschaft noch gesellschaftlichen Instanzen, den wiederaufkeimenden Antisemitismus zu stoppen

​​und sofort darauf wird behauptet, die Israelis seien die neuen Nazis und die Palästinenser die heutigen Holocaust-Opfer", so Senyurt. Zudem meinten viele muslimische Jugendliche, der Holocaust ginge sie ohnehin nichts an und verweigerten jegliche Beschäftigung mit dem Thema.

Der Islamwissenschaftler Michael Kiefer bestätigte, dass es in Deutschland bislang an geeigneten Methoden und Lehrmaterialien fehle, um muslimische Jugendliche angemessen über die Judenvernichtung zu informieren.

"Wir müssen die Einwanderer als Menschen mit eigenem kulturellem Hindergrund anerkennen, bei denen der Holocaust nicht so präsent ist." Die historische Dimension der Judenverfolgung müsse Menschen mit Migrationshintergrund natürlich trotzdem nahe gebracht werden. "Aber die Ansprache muss stimmen."

Weitere Gründe für den zunehmenden Antisemitismus

Über die Frage, ob nicht auch Frustration über die eigene Diskriminierung und politische Ohnmacht den muslimischen Antisemitismus verstärken, waren die Konferenzteilnehmer uneins. So erklärte die Journalistin Esther Schapira, ihre diesbezüglichen Recherchen in den Niederlanden hätten ergeben, dass es sich keinesfalls um benachteiligte Jugendliche handele, die zu radikalem Islamismus und Judenhass neigten.

Unbestritten blieb, dass das relativ neue Phänomen des muslimischen Antisemitismus eng mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt verbunden ist. Der Rassenhass sei in islamischen Ländern nicht per se traditionell beheimatet, bestätigte der Direktor des Zentrums für Iranstudien in Tel Aviv, David Menashri.

In Übereinstimmung mit der deutsch-iranischen Journalistin Katajun Amirpur, erklärte Menashri zudem, die provokante Position des iranischen Präsidenten werde bislang von der iranischen Bevölkerung kaum geteilt.

Warum Ahmadinedschads judenfeindliche Propaganda hingegen bei jungen Muslimen in arabischen Ländern und in Europa auf so fruchtbaren Boden fällt, darauf fand auch die Expertenrunde in Berlin keine befriedigende Antwort. Nur über die Dringlichkeit, diese Entwicklung zu stoppen, war man sich einig.

Aufruf zum Dialog

Carsten von Nahmen, Redakteur der Deutschen Welle, rief deshalb zum verstärkten Dialog mit der muslimischen Welt auf. "Wir dürfen dabei nicht mit dem erhobenen Zeigefinger kommen." Die Öffnung des internationalen Medienmarktes sowie Austauschprogramme für Journalisten böten gute Möglichkeiten, um gleichberechtigt miteinander ins Gespräch zu kommen.

"Miteinander sprechen, auch wenn es knallt", empfahlen letztlich alle Teilnehmer der Diskussionsrunde. Und überraschenderweise sahen einige der Anwesenden einen diesbezüglichen Hoffnungsschimmer im Nahen Osten.

Schließlich stünden Juden und Muslime nirgendwo in so engem und direktem Kontakt wie dort, hieß es. "Wenn Israelis und Palästinenser zu einer friedlichen Einigung kommen, wird auch der Einfluss Ahmadinedschads schwinden."

Ariana Mirza

© Qantara.de 2006

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