Rechtlich gleichgestellt, trotzdem diskriminiert

Das Volk der Roma steht heute noch in weiten Teilen Europas am Rand der Gesellschaft. Auf einer Internationalen Roma-Konferenz im türkischen Edirne wurden vor allem die Probleme der türkischen Roma diskutiert.

Roma-Familie in der Slowakei; Foto: AP
Die ersten Roma kamen vor etwa tausend Jahren in die heutige Türkei

​​Wie viele Roma wirklich in Europa leben, weiß keiner so genau. Nach Schätzungen könnten es rund 15 Millionen sein. Entsprechend dazu gibt es auch keine Informationen darüber, wie viele Roma in der Türkei leben. Manche sprechen von einer Million, doch viele schätzen die Zahl weit höher.

Um die europäischen Roma zusammenzubringen, Informationen auszutauschen und über ihre Probleme zu sprechen, wurde in der türkischen Stadt Edirne eine Internationale Roma-Konferenz organisiert.

Die Musik bestimmt das Leben der Roma

Besonders die Musik ist ein wichtiges Element im Leben der türkischen Roma. Viele verdienen damit ihren Lebensunterhalt. Zumeist musizieren sie in Bars und Cafés und erfreuen mit ihren Klängen die Gäste, die trinken, sich amüsieren und auch oft nicht auf ihren Plätzen sitzen bleiben können, sondern der Musik folgend rhythmisch tanzen.

Fikri Ocak ist Roma und weiß, welche Bedeutung die Musik für seine Volksgruppe hat: "In den Adern der Roma tanzt die Musik. Wir werden mit Musik geboren und sterben auch mit der Musik. Und Musik bedeutet Freundschaft und Liebe." Auch deshalb wurden die zahlreichen in- und ausländischen Gäste der Internationalen Roma-Konferenz in Edirne mit Musik begrüßt.

In der heutigen Türkei leben die meisten Roma im westlichen Teil des Landes. In Edirne geht man von rund 27.000 Roma aus. Auch in den Großstädten sind sie zahlreich vertreten. In Istanbul gibt es ganze Stadtviertel, in denen hauptsächlich Roma leben.

Die ersten Roma kamen vor rund 1.000 Jahren in das damalige Osmanische Reich. Rein rechtlich waren sie damals wie heute der türkischstämmigen Bevölkerung gleichgestellt.

Diskriminierung ist das größte Problem

Doch auf der Konferenz ist man sich einig: Die Roma werden in ganz Europa diskriminiert. Ivan Ivanov, Leiter des Europäischen Roma Informationszentrums in Brüssel, fasst zusammen: "Die Roma in Europa werden in allen Lebensbereichen benachteiligt. In der Erziehung, Gesundheit und bei der Arbeit. Die Regierungen müssen sich der Sache annehmen und dagegen kämpfen."

Die wahre Identität wird oft verschwiegen

Auch die türkischen Roma beschweren sich über dieselben Themen. Zwar habe man rechtlich keine Probleme in der Türkei. Auf eine staatliche Unterstützung könne man aber nicht hoffen. Zudem ist die Arbeitssuche als Roma selten von Erfolg gekrönt, da sich die Gesellschaft von Vorurteilen leiten lässt.

Deshalb verschweigen viele Roma ihre Herkunft, sagt Mustafa Aksu. Auch er hat seine Identität lange verheimlicht. Sogar seine Frau hat erst zwei Monate nach der Verlobung von seiner wahren Herkunft erfahren.

Er ist der erste türkische Roma, der ein Buch über seine Volksgruppe in der Türkei geschrieben hat. "Es gibt viele Roma-Familien in der Türkei, die mit der Zeit reich geworden sind, deren gesellschaftliches Leben sich dadurch geändert hat."

Diese Gruppe sei aber nicht durch Bildung reich geworden, sondern durch Handel. Sie trete, wie bei anderen Völkern aus ihrer eigenen Gesellschaft aus oder entferne sich von ihresgleichen, so Aksu. "Sie versuchen zu verbreiten, dass sie keine Roma sind, und versuchen so, ihre Identität zu verbergen", erklärt der Buchautor. Als er vor einigen Jahren sein Werk schrieb und sich auch öffentlich als Roma bekannte, wollten viele Freunde und Bekannte keinen Kontakt mehr zu ihm haben.

Roma leisten einen großen Beitrag für die Wirtschaft

Suat Kolukirik, Dozent an der Ege-Universität in Izmir, erklärt, dass viele Menschen bestimmte Vorstellungen und Vorurteile gegenüber Roma hätten, die nicht stimmen: "Die türkischen Roma sind nicht dreckig, faul oder Diebe, wie es in Vorurteilen immer wieder zum Ausdruck kommt. Sie sind Türken, die der türkischen Wirtschaft einen großen Dienst leisten, indem sie Arbeit annehmen, die von anderen weniger bevorzugt wird."

Weiterhin spricht Kolukirik davon, dass gerade die Roma Berufe wie Träger, Arbeiter, Musiker oder Fahrer ausüben. "Diese Jobs müssen auch gemacht werden. In diesem Sinne leisten sie einen enormen Beitrag für die türkische Gesellschaft", so Kolukirik weiter.

Aber die Regierung und die lokalen Politiker tun zu wenig für die Roma, beschweren sich die meisten. Ein Grund dafür ist, dass Roma in der Türkei weder durch Organisationen noch durch Parteien vertreten werden. In anderen Ländern sind die Roma in dieser Hinsicht schon etwas weiter. Im bulgarischen Parlament beispielsweise gibt es immerhin zwei Abgeordnete mit Roma-Hintergrund.

Streit untereinander erschwert die Integration

Ein Problem der türkischen Roma scheint aber zu sein, dass sie untereinander zerstritten sind und sich kaum einigen können. Allein auf der zweitägigen Konferenz in Edirne verkrachten sich die gastgebenden Roma drei Mal.

Vedat Acikgöz

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005

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