Maurisch ist Mode

Die Touristen suchen das Arabische in Granadas Stadtviertel Albayzín. Aber den Leuten, die dort leben, sind die Araber von heute suspekt. Merten Worthmann berichtet.

Blick auf die Alhambra
Blick auf die Alhambra

​​Marbella gehört den Muslimen bereits. Demnächst droht Granada zu fallen. Schwester Maria del Carmen und Schwester Isabel machen sich Sorgen. Sie verbringen ihr Leben zwar hinter Klostermauern, aber sie hören doch, was man ihnen zuträgt, und beklagen den mangelnden Widerstand der Christenheit gegen den Ansturm der Araber.

Die Schwestern leben in einem historisch bedeutenden Konvent inmitten des alten maurischen Stadtteils Albayzín. Isabella die Katholische hat das Kloster vor gut 500 Jahren gegründet, bald nachdem ihre Truppen 1492 den letzten Maurenkönig aus Granada verjagt hatten.

Es war der christliche Mittelpunkt des Viertels. Heute sieht das Christentum ein bisschen blasser aus als früher. Im Gegensatz zur islamischen Seite: Nur ein paar Straßen weiter hat die muslimische Gemeinde Spaniens genau vor einem Jahr die neue Große Moschee eingeweiht.

Lang anhaltende Trendwende

Die beiden Franziskanerinnen sprechen durch das Holzgitter, das den Klausurtrakt des Convento de Santa Isabel la Real vom Besucherzimmer trennt. "Die Spanier sind leider etwas dumm", sagt Maria del Carmen. "Sie überlassen den Arabern das Feld."

Vielleicht hätten sie sogar Angst vor den Muslimen, in jedem Fall zu viel Respekt. Noch sind die Schwestern überzeugt, dass das Herz des Albayzín von ihrem Konvent aus schlägt. Aber sie ahnen bereits, dass sie mit dieser Überzeugung ziemlich allein stehen.

Daran trägt allerdings keine aktuelle Immigrantenwelle Schuld, sondern eher eine lang anhaltende Trendwende. Im Albayzín mögen nur wenige Bauten aus maurischer Zeit erhalten sein, aber das verwinkelte Netz von Gassen und Sträßchen, die hohen Mauern um Heim und Garten und die kleinen Fenster erinnern noch an die vorchristliche Zeit und sind die notwendige Ergänzung zum Touristenmagnet Alhambra.

Der legendäre Palast der Nasriden-Dynastie liegt auf dem Hügel östlich des Flusses Darro, auf dem Westhügel lebte das einfachere Volk. Während sich die königlichen Gemächer der Alhambra nur noch im Pulk und in einem festgelegten Zeitrahmen besichtigen lassen, kann man den Albayzín frei und allein durchstreifen.

Touristen und Immigranten

Die verdiente Anerkennung musste sich das Viertel trotz allem schrittweise erkämpfen. 1984 gelangte die Alhambra auf die Weltkulturerbe-Liste. Der Albayzín kam erst zehn Jahre später dran. Da hielt die Mehrheit der Bewohner Granadas den Stadtteil noch für unsicher und ärmlich und war weit davon entfernt, über dessen maurische Wurzeln ins Schwärmen zu geraten.

In der Zwischenzeit sind die Einheimischen doppelt überrumpelt worden. So mancher Tourist ist geblieben und hat sich im Albayzín ein schickes altes Häuschen hergerichtet. Und so mancher Immigrant aus dem Maghreb hat mit Blick auf die stark nachgefragte orientalische Folklore eine Teestube eröffnet, eine arabische Bäckerei oder einen Leder- und Schmuckhandel mit Waren und Design aus Marokko.

Manche Restaurants halten Wasserpfeifen bereit, und auf dem Mirador San Nicolás, einem Platz mit Panoramablick zur Alhambra, können sich Westler ihre Namen ins Arabische kalligrafieren lassen.

"Wir sollten es den Touristen nachmachen!"

Dass der Albayzín bei Menschen aus aller Herren Länder immer beliebter wird, hat schließlich auch die Einheimischen auf seine Seite gebracht. Die erst vor wenigen Jahren gegründete Fundación Albayzín, der Pflege des kulturellen Erbes und der Kanalisierung von EU-Mitteln verpflichtet, bietet seit kurzem Rundgänge für die lokale Bevölkerung an.

Mit neuem Stolz entdecken die Granadiner, was sie schon immer vor der Tür hatten. Im maurisch angelegten Ziergarten der Casas del Chapiz, zwischen Zypressen und Orangenbäumen, sagt eine gereifte Dame beeindruckt zur anderen: "Wir sollten es häufiger den Touristen nachmachen! Was kennen wir schon? Unsere Einkaufsstraßen, sonst nichts."

Moschee kein Fremdkörper

Das neue Interesse kann indes nicht allen alten Argwohn tilgen. Die maurische Kultur mag noch so sehr gelobt werden, ihrer historischen Errungenschaften wegen – den Muslimen der jüngeren Generationen möchte man dennoch genau ins Gebetbuch sehen.

Auch 500 Jahre nach der Reconquista hält man die beiden Kulturen nicht wirklich für vereinbar. Die Bauherren der neuen Moschee hatten sich jahrelang mit fremdenfeindlichen Flugblättern herumzuschlagen, die direkt aus der Nachbarschaft stammten.

Auch der Stadtverwaltung mussten sie minutiös, bis hin zu Teilmodellen im Maßstab eins zu eins, nachweisen, dass die Moschee kein Fremdkörper im katholisierten Stadtteilpanorama sein würde.

Muslime und Christen vereint

Von all diesem Widerstand ist kaum die Rede im Gespräch mit Malik A. Ruiz Callejas, dem Präsidenten der Fundación Mezquita de Granada, die den Moscheebau organisierte. Ruiz, ein vor zehn Jahren zum Islam konvertierter Spanier von Mitte vierzig, sagt schlicht, aber schönfärberisch: "Die Nachbarn sind begeistert."

Gemeinsam kämpfe man gegen ein drohendes Verkehrsprojekt, gemeinsam veranstalte man Abendessen im Gemeindehaus. Ausdrücklich vertritt Ruiz eine Politik der "offenen Moschee", alle Predigten vom Freitag stellt er auch auf Spanisch ins Internet.

Der Garten des Hauses ist frei zugänglich. Die Bäume – Olive, Granatapfel oder Zitrone – sind jung, zum Schattenspenden müssen sie noch ein paar Jahrzehnte wachsen. Aber die Muslime, voller Heilsgewissheit, können warten. Und der Blick auf die Alhambra ist makellos.

Die meisten Muslime sind Konvertiten

Bei allem Goodwill, in Glaubensdingen bleibt man eisern. "Der Islam muss sich nicht an die westliche Gesellschaft anpassen, sondern umgekehrt. Dem Westen sind die Werte abhanden gekommen, dem Islam nicht", sagt Ruiz, und er leitet über zu einer historischen Parallele:

"Im Kalifat von Córdoba besaß die maurische Gesellschaft einen derartigen inneren Reichtum, dass achtzig Prozent der Bevölkerung Gedichte auswendig aufsagen konnte – während sich im restlichen Europa die Ratten von Pestleichen ernährten."

Ruiz’ Gemeinde besteht überwiegend aus Konvertiten. Araber sind in der Minderzahl, denn nur wenige Immigranten können sich die gestiegenen Mieten, geschweige denn eine Immobilie im Albayzín leisten, der vom Problembezirk zum Luxusviertel geworden ist. "Allein die Preise halten viele Muslime fern", sagt Ruiz.

Tatsächlich ist die Orientalistik des Stadtteils vor allem Flair und Fassade. Die Moschee thront oben im Albayzín, weil hier, im Angesicht der Alhambra, der letzten maurischen Bastion, der Symbolwert besonders hoch ist.

Das arabische Händlerwesen dehnt sich streng genommen nur über eineinhalb Straßen aus. Die meisten Verkäufer oder Kellner leben in anderen Stadtteilen mit geringeren Spekulationsmargen. Verschleierten Frauen begegnet man im Albayzín nur selten.

Das Arabische ist suspekt

Kamal al-Nawawi kann seine Wohnung bezahlen. Aber er ist auch schon länger da, seit knapp zwanzig Jahren. "Wenn über die Immigranten geredet wird, fühle ich mich eigentlich nicht angesprochen", sagt er.

Al-Nawawi ist Mediziner, arbeitet aber lieber als Musiker. Bei einem informellen Open-Air-Konzert auf der Plaza de Nevot spielt er gemeinsam mit Griechen, Deutschen und Spaniern Mittelmeerfolklore. Auf dem Platz lodert ein Lagerfeuer, es beleuchtet vor allem junge und alte Hippies. Angestammte aus dem Albayzín sind kaum gekommen. Al-Nawawi trinkt Alkohol.

"Meinen Glauben lebe ich ziemlich liberal – eher esoterisch als regelgerecht", sagt er. Gelegentlich geschieht es, dass spanische Bekannte sagen: Mensch, du stammst aus Marokko – das hätten wir nicht gedacht!

Hinter dem Lob seiner Bildung und Offenheit spürt er allerdings unterdrückten Rassismus. Er selbst wird als positive Ausnahme behandelt, der Rest der Araber bleibt verdächtig. "Die Touristen suchen das Arabische im Albayzín. Aber den Leuten, die dort leben, ist das Arabische suspekt."

Gerüchte besagen, der Aga Khan lasse im Viertel Immobilien suchen. Auch ein Emir soll schon fündig geworden sein, habe nur wegen mangelnder Sicherheitsbedingungen abgesagt. Jemand weiß von einem Algerier, der Mieter vor die Tür setzen will.

"Viele hätten gern einen deutschen Rentner als Nachbarn – aber bitte keinen arabischen", sagt Fernando Acale, ein junger Architekt aus Cádiz. Acale, seit zehn Jahren eingefleischter Albayzíneiro, lebte anfangs eine Zeit lang in der Casa Mascarones, einem Gebäude, das der bekannte Barockdichter und Kirchenmann Pedro Soto de Rojas zum ersten Carmen des Viertels ausgebaut hatte.

Gärten und Paradiese

Als Carmenes gelten Häuser mit Ziergarten; sie sind die architektonische Spezialität des Albayzín, geordnete grüne Oasen, die meist hinter geweißtem Mauerwerk verborgen liegen. Oft ragen nur ein paar Zypressen über die hohen Wälle hinaus.

Ihre Anlage verdanken die Gärten maurischen Vorbildern. Aber erst die Christen haben sie nach der Vertreibung der Araber vielerorts im Viertel errichtet. "Denen schien der Albayzín nahezu unzugänglich mit seinen unübersichtlichen, fast organisch gewachsenen Gebäuden und den schmalen Gassen", sagt Acale.

Soto de Rojas war einer der Ersten, der sich, quasi von innen her, Luft verschaffte. Später sprach er, mit Blick auf die eigene Grünanlage, allegorisch von "Gärten, die vielen verschlossen sind" und "Paradiesen, die wenigen offen stehen".

Als Fernando Acale in die Casa Mascarones einzog, war Soto de Rojas’ Garten längst Garagen gewichen und das Herrenhaus unter Wohngemeinschaften aufgeteilt. Die innere Parzellierung früherer Prachtbauten kam den Ärmeren zugute – immer dann, wenn die Reicheren dem Albayzín mal wieder hundert Jahre den Rücken kehrten.

Gleichmäßige Fassaden nach Restaurierung

Momentan hat der Wind allerdings erneut auf Einzug gedreht. Acales Straße bevölkert sich mit Anwälten, Professoren und anderen Besserverdienenden. Wer sich’s leisten kann, restauriert so authentisch wie möglich. I

Im Übrigen gelten dafür neue Bestimmungen. Über die schüttelt Acale den Kopf. "Es geht nur um gleichmäßige Fassaden, schmucke Patios und weißen Anstrich." Dabei sei der Albayzín früher nicht mal weiß gewesen. "Das ist eine Grille aus den fünfziger Jahren." Im 18. Jahrhundert hätte man viele Häuser blau getüncht, der Mode entsprechend. Heute ist so etwas schlicht verboten.

"Jetzt ist es an uns, ihnen den Weg zu zeigen"

Juan Manuel Segura hat den Hindernislauf durch die Instanzen bereits hinter sich. Sein Herrenhaus aus dem 16. Jahrhundert strahlt seit kurzem in altem Glanz. Mit Schrecken denkt er an den Kampf mit der Bürokratie zurück. Er hat ihn gewonnen.

Nun sitzt der ergraute Geschäftsmann der Fundación Albayzín vor und bestimmt mit, was im Viertel restauriert wird und wie. Die Stiftung hat unter anderem sämtliche Zisternen aus muslimischer Zeit wieder hergerichtet und will künftig in einem kleinen Museum dem Nachwuchs erklären, wie genial sich die Mauren aufs Wasserverteilen verstanden.

Von seinem zweifellos außerordentlichen Kampf für die historische Substanz des Albayzín abgesehen, ist der Vorsitzende allerdings ein Mann mit den gewöhnlichen Vorbehalten.

"Die Araber von heute haben mit denen von damals nichts gemein. Die Mauren haben uns seinerzeit etwas von ihrer kulturellen Weisheit weitergegeben. Mittlerweile leben wir in der höher entwickelten Kultur. Jetzt ist es an uns, ihnen den Weg zu zeigen."

Touristen bringen Geld

Zunächst würde Segura gern die arabischen Händler in die Schranken weisen, die ihre Waren so weit auf die Gasse stellten, dass es für die Bewohner ein Spießrutenlaufen sei. Aber gefällt den Touristen nicht gerade das bunte Gewimmel? Es wäre schrecklich, gibt Segura zurück, wenn sich die Stadt dem Willen der Touristen unterwerfe.

Das sollten die Franziskanerinnen hören. Vor einigen Monaten erst haben sie, auch auf Drängen der Stiftung hin, ihren Konvent für Touristen zugänglich gemacht (wenngleich nur gegen Voranmeldung).

Eine schwere Entscheidung, die knapp dreißig Jahre reifen musste. Die Touristen bringen Geld, die Nonnen brauchen es. Ihr Garten, der vielen verschlossen war, ist endlich zu besichtigen. Ob das Paradies, das himmlische, nur wenigen offen steht, bleibt eine Glaubensfrage.

Merten Worthmann

© DIE ZEIT 8.7.2004