Libyen geht online - aber wohin?

Auch in der über lange Zeit streng abgeschotteten Volksrepublik Libyen hat das Internet Einzug gehalten. Wer im Netz ist und welchen Einfluss das Internet auf die Gesellschaft hat, untersucht Carola Richter.

Internetcafé in Libyen, Foto: AP
Internetcafé in Libyen

​​Was das Internet und seine Wirkungsmöglichkeiten angeht, wurde Ende der 90er Jahre von vielen Seiten ein geradezu enthusiastischer Ton angeschlagen. Mit einer Nutzermenge von 259 Millionen Menschen habe es das Potential, politische Aktivitäten stärker zu revolutionieren, als es das Telefon oder Fernsehen jemals getan haben.

Mittlerweile wurden die Erwartungen an die demokratisierende Durchschlagskraft des Internets allerdings gewaltig gedämpft, und die Organisation Reporter ohne Grenzen konstatiert nüchtern: "Der freie Informationsfluss ist nicht wirklich frei".

Einerseits gibt es in vielen Entwicklungsländern infrastrukturelle Probleme wie Mangel an Strom oder Telefonleitungen; neue Technologien werden nicht angenommen – was auch mit einer nach wie vor hohen Analphabetenrate gerade in ländlichen Gegenden zusammenhängt – oder Internetportale und -inhalte werden von staatlicher Seite zensiert und die Eliten machen sich die neuen Technologien zu eigen, nehmen den neugeschaffenen Raum wieder ein und besetzen ihn mit ihren Werten.

Gaddafi ist begeisterter Surfer

Autoritäre Regierungen wie Libyen fördern die Verbreitung des Internets beispielsweise als Symbol der Modernität. So verkündete Revolutionsführer Muammar Gaddafi 2001, dass eine neue "Kulturrevolution" nötig sei:

"Wir müssen unser Augenmerk auf die Schaffung des neuen Menschen richten – eines kultivierten modernen Menschen. Dies müssen wir tun, noch bevor wir uns engagieren und moderne Technologie anfordern, welche in der heutigen Welt ein Muss ist."(1)

An anderer Stelle forderte er "für jeden Libyer ein Handy und einen PC" und die Stärkung des Informationstechnologiesektors. Als wichtigstes Instrument machte Gaddafi dafür das Internet aus. "Er selbst habe vor drei Jahren dieses neue Medium noch nicht nutzen können. Heute sei er ein begeisterter 'Surfer'."(2)

Das Internet steckt in Libyen noch in den Kinderschuhen, aber seit ab 2000 Internetcafés in den libyschen Großstädten wie Pilze aus dem Boden schossen, hat die junge Generation dieses Medium für sich entdeckt.

Freier Zugang zum Internet

"Libyen ist wohl das einzige Land in der arabischen Welt mit einem freien Internet-Zugang" behauptet stolz Adil Shitao, Chefprogrammierer des größten staatlichen Internet-Portals, das von der Allgemeinen Organisation für Presse (AOP) unterhalten wird.

Generell fördern arabische Staaten das Internet bis zu einer gewissen Grenze, weil sich dort die Frustration über die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse kanalisieren und einschläfern lässt.

Andererseits bietet das Internet auch eine Plattform für oppositionelles Gedankengut, was dazu geführt hat, dass beispielsweise im Nachbarland Tunesien eine strikte Kontrolle der Internetinhalte erfolgt und es sogar zur Verhaftung von "Cyber-Dissidenten" kam.

In Libyen wäre zwar eine Blockade bestimmter Seiten mit oppositionellen, gewaltverherrlichenden oder sexuellen Inhalten theoretisch durch die staatliche Telefongesellschaft möglich, wird aber praktisch nicht angewendet, möglicherweise weil Gaddafi mit seiner programmatischen Forderung nach einer neuen "Kulturrevolution" selbst den Weg für einen uneingeschränkten Internetzugang gegenüber den Bedenken etlicher Verantwortlicher frei gemacht hat.

Vielleicht ist das Medium aber auch einfach noch zu jung und in Libyen zu wenig ausgebaut, als dass Angst vor seiner Wirkung verspürt würde.

Chatten mit Schere im Kopf

Die staatliche Telefongesellschaft besitzt das Monopol der Leitungsvergabe und ruht sich augenscheinlich darauf aus. So gibt es verstärkt öffentliche Beschwerden darüber, dass noch kein Ausbau von ISDN erfolgt ist und die Leitungsgeschwindigkeiten zu wünschen übrig lassen:

"Diese Firma ist nicht wettbewerbsfähig und gewinnt die Kunden nur durch ihre Monopolstellung", beschwerte sich gar eine staatseigene Zeitung.(3)

Seit 1999 traten aber auch private Provider (4) auf den Plan, die den Mobiltelefonsektor ausbauen und ihren Kunden professionell aufbereitete Internet-Leitungen vermieten. Die Betreiber dieser Netz-Dienste sind zumeist heimgekehrte Exil-Libyer oder Libyer mit einer guten technischen Ausbildung und Kenntnissen in englischer Sprache.

Da sich aber trotzdem die Internet-Nutzung in Libyen bisher fast ausschließlich auf Cafés oder den Arbeitsplatz beschränkt, unterliegt die Nutzung einer öffentlichen Kontrolle moralischer und politischer Art. Auch wenn es keine bekannte Überwachung der Webseiten durch den Staat gibt, sitzt das Misstrauen gegenüber den staatlichen Stellen und möglichen Sanktionen tief. Der Online-Diskurs wird deshalb mit einer Schere im Kopf geführt.

Learning by doing

Laut Internet-Pionier Adil Shitao, sei dennoch "das Internet mittlerweile nötig geworden wie Sauerstoff". Nach seinen Schätzungen nutzen 70 Prozent der Jugendlichen, die in den 80er Jahren geboren wurden, das Internet.

Einsteiger setzen eher auf leichte Unterhaltung und beschäftigen sich mit Chats; diejenigen, die sich länger mit dem Medium auseinandergesetzt haben, nutzen es auch zur Bildung und als Informationsquelle: inzwischen gebe es eine "gewisse Internet-Kultur".

Die Internet-Nutzung setzt im Allgemeinen ein relativ hohes Bildungsniveau voraus, das in Libyen auf Grund der Bildungspolitik in breiten Schichten auch vorhanden ist.(5)

Nachdem lange Zeit der Umgang mit dem Computer in Universitäten völlig vernachlässigt worden war, ist der Einsatz des Internets seit der Propagierung der neuen "Kulturrevolution" jetzt auch in das Studium integriert worden.

Das Internet ist für die arabischen Jugendlichen natürlich zuallererst ein Mittel zur Überwindung der Barrieren zwischen den Geschlechtern, was ein enormes Potential für eine zukünftige Veränderung der Gesellschaft auf sozialer Basis darstellt.

"Das Internet soll unmoralische Dinge transportieren"

Wohl vor allem deshalb bestehen gerade bei den älteren Generationen gewisse Ressentiments gegenüber dem Internet: "Ich habe das Internet noch nie benutzt und werde es auch nie benutzen, da ich von meinen Kolleginnen gehört habe, dass es hässliche Gedanken und unmoralische Dinge transportiert, die unserer Gesellschaft fern liegen", empört sich beispielsweise eine 29-Jährige mittels staatlicher Zeitung.(6)

Zudem hat die Generation der in den 70er Jahren Geborenen noch ein anderes großes Manko: sie haben in der Schule kein Englisch gelernt und finden sich so deutlich schwerer in dem neuen Medium zurecht als die Jugendlichen.

Diejenigen, die heute auf dem staatlichen Sektor der libyschen Internetbranche arbeiten und Seiten programmieren, gehören zum großen Teil auch der 70er-Generation an und haben keine Ausbildung am Computer genossen.

In Tripolis gibt es eine kleine Community von lediglich 150 Programmierern, die sich selbst technisch weitergebildet haben und einander helfen. Mittlerweile gehören aber auch Absolventen der Ingenieursfakultäten zu den Protagonisten der Webseiten-Gestaltung, und sie stellen zusammen mit den im Ausland ausgebildeten Computerexperten auch das Gros der Betreiber privater Internet-Cafés und Netz-Dienste.

Den Programmierern ist eigen, dass sie vor allem technisch interessiert sind – sie versuchen mit ihren Kenntnissen auf dem neuesten Stand zu bleiben, die aktuellen Programmiersprachen zu erlernen, möglichst technisch anspruchsvolle Seiten zu gestalten sowie mit ihrem Wissen eine Marktlücke zu füllen. Die Inhalte der von ihnen gestalteten Seiten spielen dabei selbst für die Programmierer im Medienbereich kaum eine Rolle, eher der Aufbau und die technische Aufmachung einer Seite.

online.ly – Libysche Medienportale online

Libysche Seiten sind nur in den seltensten Fällen unter der landeseigenen Top Level Domain .ly zu finden. Ein in Großbritannien lebender Exil-Libyer hat sich bereits 1997 die Hosting-Rechte für alle .ly-Domains gesichert und vermietet diese nun.

Der libysche Staat versucht derzeit, die Rechte zu erwerben, um die Domains selbst verteilen zu können und seine offiziellen Seiten auf diese Top Level Domain umzustellen.

"Wir haben aber auch keine Probleme mit Hosts aus den USA oder Kanada" sagt Adil Shitao. So haben Kanadier beispielsweise das Intranet der AOP aufgebaut und eine US-Firma wurde als Host für die AOP-Seiten gewählt, "weil sie am schnellsten sind". Die meisten libyschen Internetportale laufen demzufolge bisher über die Top Level Domains com, org oder net.

Die nach eigenen Angaben erste libysche Website wurde 1997 mit libyaonline.com ebenfalls von Libyern in Kanada gestartet, weil "wir dachten, dass wir etwas Nützliches für unser Land machen könnten."(7) Diese englische, privat betriebene Seite hat nach Auskunft der Betreiber im Durchschnitt elf Millionen Hits pro Monat.

Nach diesem Vorbild einer Informations- und Service-Seite sind mittlerweile auch die meisten staatlichen Medienportale gestaltet, die neben Artikeln mit Informationen zu Land, Leuten und Wetter aufwarten.

Die Website-Gestalter dieser Medienportale haben gleichzeitig auch ein Interesse daran, ihr Land positiv und technisch fortschrittlich darzustellen. "Die ausländischen Seiten über Libyen sind immer an Kamelen und Zelten erkennbar. Ich habe extra darauf geachtet, dass das bei uns nicht vorkommt", sagt Programmierer Nadir as-Sibai.

Libysche Presse im multimedialen Wandel

Als erste libysche Medienpräsenz ging am 1. Juli 2001 die Seite der AOP online, die sämtliche überregionalen Tageszeitungen des Landes zentral herausgibt.(8)

Die Verantwortlichen in den staatlichen Medienorganisationen, aber auch in der politischen Führungsschicht hatten über viele Jahre hinweg "Angst vor der Technik", so Programmierer Nadir as-Sibai, und Furcht vor der Flut von unliebsamen Inhalten aus dem Netz.

Bis heute werden in den Redaktionen die meisten Artikel handgeschrieben abgegeben und von Sekretärinnen abgetippt. Zudem kam erschwerend hinzu, dass es sanktionsbedingt verboten ist, HighTech von den USA nach Libyen zu verkaufen. Oftmals mussten so beim Einkauf Umwege über andere Länder gegangen werden, was Technik und Software unnötig verteuerte.

Um die Angst vor Technik zu überwinden, hat Adil Shitao, der technische Bildung als unerlässlich für den Fortschritt des Landes ansieht, zunächst einen Einführungskurs für alle Verantwortlichen in der AOP gemacht, dann in jeder Redaktion ein bis zwei Computer eingeführt und Multiplikatoren angelernt.

Mittlerweile hat jeder Mitarbeiter der AOP "bis hinunter zum Fahrer" einen Computergrundkurs zu belegen. Hilfreich war bei der Durchsetzung dieser Pläne natürlich auch die Forderung nach einer technologischen Revolution durch Gaddafi selbst, ohne die auch die größte Eigeninitiative sich nicht hätte durchsetzen lassen können.

Globales Denken beeinflusst den Inhalt

Mittlerweile hat die Web-Site insgesamt zwei Millionen Zugriffe pro Monat. Davon entfallen 500.000 Hits pro Monat auf die beiden großen Tageszeitungen al-Jamahiriya und ash-Shams, deren Print-Inhalte zu 70 Prozent ins Internet übernommen werden.

Die stolze Präsentation dieser vermeintlich hohen Besucher-Zahlen durch die AOP-Programmierer gegenüber ihren Verantwortlichen in der Presseanstalt dient sicherlich auch der eigenen Rechtfertigung und gaukelt den traditionellen Zeitungsmachern vor, dass ihre Produkte im Internet deutlich mehr gelesen werden als in der Print-Variante.

Wenn man davon ausgeht, dass auf einen Besucher 30-40 Hits kommen, ergibt sich aus der Masse von Zugriffen eine Zahl von 50-70.000 Besuchern pro Monat und eine durchschnittliche Besucherzahl von 2000 pro Tag, (9) was dann doch deutlich unter der Gesamt-Printauflage der AOP liegt, die sich auf ca. 30.000 Exemplare beläuft.

Doch durch diese Schönfärberei wurden, so Adil Shitao, "die Chefredakteure dazu gebracht, über ihre Inhalte nachzudenken. Durch das Internet kann uns die ganze Welt sehen und mittlerweile denken die Chefredakteure mehr in den Dimensionen des Internets als in der gedruckten Form" – das heißt, global und nicht nur lokal.

Die weltweite Überprüfbarkeit ihrer Aussagen im Internet hebt das frühere Wahrheitsmonopol der gedruckten nationalen Presse auf und somit scheinen letztendlich auch die libyschen Bürger, die nur Zugriff auf das Printmedium haben, vom Internet zu profitieren.

Der Einzug der Technik in die Redaktionen hat auch dazu geführt, dass die jungen Frauen, die vorwiegend zum Abtippen von Artikeln angestellt sind, durch ihre Arbeit mittlerweile schon so vertraut sind mit dem Internet, dass sie mitunter selbst Seiten gestalten können.

Sie bestücken nun auch die erste reine Online-Zeitung Libyens namens ly2day.com, die im Juni 2003 online ging und Nachrichten von den Nachrichtenagenturen JANA und PANA und aus dem Internet aufnimmt, wichtige Artikel der libyschen Zeitungen in verschiedenen Rubriken auflistet und zusätzlich Service-Informationen zu Libyen bietet.

Medien der Exil-Opposition

Die libysche Opposition besteht aus vielen kleinen Fraktionen mit unterschiedlichen politischen Hintergründen, die vorrangig im Ausland agieren, da das Regime im Inland gegen Versuche von Parteienbildung, parlamentarische oder islamistische Tendenzen mit Repressionen vorgeht.

Das Annuaire de l’Afrique du Nord von 1995 zählt 27 libysche Exil-Oppositionsgruppen auf, von denen zwölf ein Informationsmedium besitzen sollen. Die Zentren der großen Gruppen befinden sich in den USA bzw. in Großbritannien.

Tatsächlich gaben die größten Gruppen, wie die konservative "Nationale Front zur Rettung Libyens" (NFSL) mit "al-Inqadh" und die "Libysche Vereinigung" – der libysche Zweig der Muslimbrüder – mit "al-Muslim" in den 90er Jahren Print-Magazine heraus mit einer breiten Palette an Informationen rund um Libyen von seiner Geschichte bis hin zu aktuellen politischen Problemen und Menschenrechtsverletzungen.

Abkoppelung von den USA

Aber auch für die Oppositionsgruppen hat sich mit dem 11. September 2001 die Lage dramatisch verändert und die traditionellen Koalitionen von konservativen und islamistisch angehauchten Gruppen mit den USA wurden aufgelöst.

Spätestens mit der dadurch notwendig gewordenen politischen Reorganisation und der Suche nach finanzieller Entlastung nach dem Wegfall der bewährten Geldgeber wurde das Internet zum Medium der Exil-Opposition, das als weltumspannendes und billiges Medium "unsere Sache sehr viel leichter gemacht hat", so der Exil-Oppositionelle Ibrahim al-Qirada. Mittlerweile sind sämtliche Print-Magazine Internetforen gewichen.

Die meisten dieser oppositionellen Internet-Plattformen sind vornehmlich daran interessiert, das politische System ihres Heimatlandes unter dem ungeliebten Herrscher zu kritisieren. Die Seiten der Exil-Opposition bestehen vorrangig aus Message-Boards, auf denen Nachrichten, Pressemeldungen und Links rund um Libyen gepostet und eigene Kommentare und Analysen zu aktuellen Entwicklungen in Libyen beigesteuert werden.

Die Websites sind somit ein Sammelsurium akkurater Informationen rund um Libyen, die aber durch ihre Auswahl darauf abzielen, das herrschende politische System zu diskreditieren. In keiner der bekannten Seiten wird ein wirkliches Forum zwischen libyscher Gesellschaft und der libyschen Diaspora aufgemacht.

Druck auf Libyen von außen

Von Exil-Libyern wird immer wieder behauptet, dass die Seiten der Opposition in Libyen blockiert werden, was aber nicht stimmt (10) und sie wohl auch selbst darüber hinwegtäuschen soll, dass ihre Seiten in ihrem Heimatland an sich keine große Rolle spielen.

Dies liegt einerseits an der starken Selbstzensur der Nutzer in Libyen selbst, die Angst haben, öffentlich oppositionelle Kanäle zu nutzen. Andererseits haben die Oppositionellen gar nicht die Absicht, durch ihre Plattformen die libysche Bevölkerung zu erreichen, sondern wollen nach eigener Auskunft versuchen, mit ihren Medien ein starkes Netzwerk zu bilden, mit dem sich von außen Druck auf Libyen auswirken lässt.

Diese Art von Druck, der auf einen schnellen Umsturz in Libyen drängt, korrespondiert möglicherweise nur in geringem Maße mit den Wünschen und Vorstellungen der Libyer im Inland.

Ab und an finden sich in den Message-Boards auch Beiträge oder kurze Statements von Inlands-Libyern, die über diese Seiten einen Kanal finden, um Frust abzulassen und ihre Abscheu gegenüber dem System regelrecht herauszuschreien, aber alles in allem sind die Internet-Medien der Opposition selbstreferentielle Organe.

Unpolitische Seiten aus dem Inland

Das Bewusstsein über dieses Im-eigenen-Saft-Schmoren und die gegenwärtige Selbstreferentialität ist allerdings vorhanden: "Ich weiß, dass meine Arbeit vielleicht erst in zehn oder 20 Jahren für die nächste Generation wichtig sein wird", sagt Mustafa al-Iskandar, exilierter Journalist.

Im Inland sei vielleicht ein Schlingerkurs nötig zwischen politischen Forderungen und Zugeständnissen an Revolution und Regime, vom Ausland aus aber müsse ein harter Kurs gegen die libysche Führung gefahren werden, um überhaupt etwas zu erreichen.

Neben den politischen Plattformen gibt es noch eine Reihe von Seiten mit Informationen rund um Libyen, die sich vor allem um die lange Geschichte und reichhaltige Kultur Libyens drehen.

Dabei wird vor allem mit Stereotypen wie Kamelen und Wüstenbildern gearbeitet, die Geschichte Libyens endet in ihrer Darstellung meist in den 60er Jahren und es wird auf gesellschaftliche Themen fokussiert.

Zudem sind diese Seiten im Gegensatz zu den politischen Plattformen in Englisch gehalten. Auch deswegen finden sich dort vorrangig Exilanten zum Talk ein, die ihre Erfahrungen mit Besuchen in Libyen bzw. ihr Heimweh teilen.

Andererseits ist es für Inlands-Libyer auf unpolitischen Seiten psychologisch deutlich leichter, sich am Diskurs zu beteiligen und so finden sich auf diesen Seiten auch Beiträge von Libyern selbst.

Und der Enthusiasmus bleibt doch...

Letztlich ist der Einzug des Internets in Libyen für gesellschaftliche Transformationsprozesse doch positiv zu werten.

Obwohl die Akteure der staatlichen Online-Medien selbst keinen direkten Einfluss auf die Inhalte der von ihnen produzierten Medien nehmen, bringt ihr unermüdlicher Einsatz für neue Präsentationsformen und Lernwillen auf rein technischem Gebiet auch eine schleichende Veränderung der Präsentation von Inhalten mit sich und dadurch letztendlich auch eine Wandlung der Inhalte selbst.

Zum Zweiten trägt allein schon die stärkere Präsentation libyscher medialer Inhalte im Internet zu einer größeren gesellschaftlichen Akzeptanz der Nutzung dieses Mediums bei. Und eine stärkere Nutzung führt erfahrungsgemäß zu einem häufigeren Gebrauchs des Netzes als weltumspannende Informationsquelle denn als bloße Quelle für seichte Inhalte.

Die Akteure und Nutzer zusammen schaffen somit auch die Basis für die Entwicklung von Inhalten auf der Basis einer kosmopolitischeren Sichtweise.

Zwar bleibt der Erfolg von Eigeninitiativen auch beim Ausbau des Internets wie in allen Bereichen in Libyen letztlich immer abhängig von den Direktiven und der Unterstützung der politischen Führung.

Allerdings ist der Grad der Internet-Nutzung inzwischen so hoch, dass man trotz der vorhandenen Selbstzensur der Internet-User und -Gestalter der Euphorie über die Macht des Internet insofern zustimmen kann:

Auf Grund der Masse der Nutzung und des bereits eroberten medialen Freiraums wird es auch bei einer eventuellen Verschärfung der Richtlinien oder in Krisenzeiten des Regimes kaum möglich sein, den Internet-Konsum zurückzudrängen und die Schrauben der kanalisierten Information wieder in extremem Maße anzuziehen.

Unter diesem Aspekt leisten auch die Internet-Seiten der Exil-Gruppen einen wichtigen Beitrag als Gradmesser für eine Veränderung der politischen Wetterlage in Libyen. Die politischen Seiten stellen eine Gegenöffentlichkeit zu den einseitig ausgerichteten libyschen Medien dar, die – wenn schon nicht von den libyschen Bürgern - sehr wohl von den Verantwortlichen registriert wird.

Diese Oppositions-Seiten sind zwar in ihrem allgemeinen Tenor gegenwärtig ebenso einseitig wie die libyschen Medien selbst, geben aber immerhin libyschen Journalisten und politisch Interessierten im Ausland ein Forum und bieten in Zeiten von Regime-Krisen den Libyern die Möglichkeit, sich schnell und umfassend akkurate Informationen über das Internet besorgen zu können.

Libyen geht online – und alle laufen mit.

Carola Richter

© inamo, Heft 38, Sommer 2004

Carola Richter ist Arabistin und tätig als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Vergleichende Medienwissenschaften der Universität Erfurt

Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten

1 - Gaddafi-Rede vom 06.06.2001. In: BBC, Summary of World Broadcasts, Middle East Series.
2 - Neue Zürcher Zeitung vom 03.09.2001, "Ghadhafi ermahnt sein Volk zur Sparsamkeit".
3 - al-Jamahiriya, 17.06.2003.
4 - Internet Service Provider, die den Internetzugang bereitstellen. Eine Übersicht über eine Vielzahl von Anbietern findet sich unter www.libyanpress.com/Links/middel_10.htm.
5 - Die Einschulungsquote beträgt 100 Prozent.
6 - Zitiert aus einer Umfrage zum Internet in der staatlichen Tageszeitung al-Fajr al-Jadid, 10.05.2003.
7 - Mu’awiya Maghur, Betreiber von libyaonline.com, August 2003.
8 - www.libyanpress.com
9 - Zum Vergleich: die Zahlen entsprechen ungefähr den Visits der Online-Ausgabe einer mittleren Regionalzeitung in Deutschland (Nordsee-Zeitung online: 55.316 Besucher pro Monat); das größte deutsche Medienportal – Spiegel-Online – verzeichnet über 26 Millionen Besucher pro Monat (Quelle: http://www.ivwonline.de) .
10 - Eigene Tests in Libyen im Sommer 2003.