Europas wissenschaftliche Neugier

Carsten Niebuhr war der einzige Überlebende der "Königlich-Dänischen Arabienexpedition". Der deutsche Mathematiker und Kartograf gilt heute als der erste wissenschaftliche Forschungsreisende der Neuzeit. Von Friedhelm Hartwig

Porträt Carsten Niebuhrs; Foto: www.dingboghandler.dk
"Ich war zufrieden, dass ich die Araber ebenso menschlich empfand, als andere gesittete Nationen."

​​Ob die sechs Männer der "Königlich-Dänischen Arabienexpedition" sich der Gefahren der Reise bewusst waren, als sie im Januar 1761 in Kopenhagen ein dänisches Kriegsschiff bestiegen?

Ihre Instruktionen lauteten, über Istanbul und Alexandria nach Kairo zu reisen. Anschließend sollten sie die Sinai-Halbinsel erkunden und nach einem mehrjährigen Aufenthalt im Jemen über den Persischen Golf und die Levante zurückreisen. Sieben Jahre später sollte Carsten Niebuhr der einzige Überlebende der Expedition sein.

Pioniere der Forschungsreise

Die Expedition gilt nach Dieter Lohmeier zu Recht als "die erste moderne Forschungsreise der europäischen Geschichte." Ihr Initiator, der Göttinger Orientalist Johann David Michaelis (1717–1791), dachte ursprünglich nur an einen einzigen Reisenden, als er seine Idee 1756 einem dänischen Regierungsmitglied vortrug. Doch dank der großzügigen Förderung des dänischen Königs Friedrich V. (reg. 1746–1766) berief man gleich eine ganze Gruppe von Fachleuten.

Nur wenige Jahre, nachdem Niebuhr sein Studium in Göttingen aufgenommen hatte, wurde er in das Team der Forschungsreise berufen und war dort verantwortlich für die astronomischen und geografischen Beobachtungen.

Vieles unterscheidet die "Königlich-Dänische Arabienexpedition" von vorausgegangenen Orientreisen. Ein Reiseplan und ein Konzept waren eigens für sie ausgearbeitet worden, die Teilnehmer hatten eine zweijährige fachspezifische Ausbildung durchlaufen und man hatte einen Fragenkatalog ausgearbeitet.

Darüber hinaus sollte sie kein rein dänisches Unternehmen bleiben. Alle Gelehrten Europas waren dazu aufgerufen worden, sich mit Fragen zu beteiligen.

Netzwerke, nützliche Helfer und Risiken

Hauptziel der Reise war der Jemen, den die Expedition jedoch erst im Dezember 1762 erreichte. Obwohl seit etwa 100 Jahren zahlreiche europäische Schiffe den jemenitischen Hafen al-Mokha anliefen, um die begehrten Kaffeebohnen zu erwerben, war der Jemen in Europa bisher kaum bekannt.

Die Forscher konnten bei ihrer Reiseplanung auf die Hilfe indischer und jüdischer Händler zurückgreifen, die ihnen die Nutzung der Routen ihrer Handelsnetze gestatteten. Empfehlungsschreiben an die jeweiligen Agenten dieser Handelsnetzwerke ermöglichten Unterkünfte, Transport und finanzielle Transaktionen.

In der Regel wurde die Expedition zwar von den jeweiligen Statthaltern unterstützt, die Behörden waren jedoch äußerst misstrauisch. In al-Mokha beispielsweise verschafften sie sich Zugang zur Reisefracht und zerstörten einen beträchtlichen Teil der Ausrüstung.

Der Jemen-Aufenthalt zeigt eindrücklich die Gefahren einer Forschungsreise: Innerhalb weniger Wochen wurden alle Reisenden von der Malaria dahingerafft. Alle, bis auf Niebuhr. Die Jemen-Karte, die Niebuhr während seiner Zeit im Jemen anfertigte, blieb für die nächsten 200 Jahre das gültige Standardwerk.

Vom Reisen lernen

Niebuhrs Veröffentlichungen zeigen deutlich eine neue Wahrnehmung der Fremde. In seinen Beobachtungen vermeidet er die zeitgenössischen Vorurteile über die islamische Welt. "Ich war zufrieden, dass ich die Araber ebenso menschlich empfand, als andere gesittete Nationen", notierte Niebuhr.

Die Ablehnung von Kirchenglocken durch die Muslime, erklärte Niebuhr, sei nicht etwa auf mangelnde Toleranz zurückzuführen, sondern läge in deren klanglicher Ähnlichkeit mit Esel- und Kamelglocken begründet.

Bei der Einschätzung der wissenschaftlichen Errungenschaften im Jemen irrte Niebuhr hingegen: "Die arabischen Regenten wenden zwar nicht so viel auf Wissenschaften als die europäischen, und man findet deswegen in den Morgenländern nur selten Leute, welche man mit Recht Gelehrte nennen kann", schreibt er in seinen Aufzeichnungen.

Wahrscheinlich wäre Niebuhrs Urteil anders ausgefallen, wenn er längere Zeit in Sanaa geblieben wäre und so Gelegenheit gehabt hätte, das rege wissenschaftliche Leben der jemenitischen Oberschicht mit ihrer weiten Vernetzung in der islamischen Welt kennen zu lernen. Der Imam der Stadt hatte ihn dazu eingeladen, Niebuhr hatte das Angebot aber aufgrund seines angeschlagenen Gesundheitszustandes ausgeschlagen. So blieben ihm Gelehrtendiskurse der damaligen islamischen Welt verschlossen und fremd.

Fast zehn Jahre verbrachte er nach seiner Rückkehr mit der Veröffentlichung der Ergebnisse, und erst 1772 erschien seine "Beschreibung von Arabien". Zudem wertete Niebuhr auch die Ergebnisse seiner Forschungskollegen aus und veröffentlichte sie. Die Reaktionen auf seine Publikationen blieben jedoch Jahre lang verhalten. Erst in den 1780er Jahren entwickelte sich ein reger Briefwechsel mit den beiden Orientalisten Oluf Gerhard Tychsen (1734–1815) und Silvestre de Sacy (1758–1838).

Am 26. April 1815 starb Niebuhr im Alter von 82 Jahren. Heute trägt das größte skandinavische Universitätsinstitut auf dem Forschungsgebiet Naher Osten mit Sitz an der Universität Kopenhagen seinen Namen.

Friedhelm Hartwig

© Qantara.de 2006

Qantara.de

Max Freiherr von Oppenheims Orient-Reiseberichte
Vom Mittelmeer zum Persischen Golf
Schon als Kind konnte sich der deutsche Diplomat und Forscher Max Freiherr von Oppenheim für den Orient begeistern, wohin er bereits 1860 seine erste Reise unternahm. Oppenheims enzyklopädische Orient-Reiseberichte sind jetzt neu erschienen. Andreas Pflitsch über Leben und Werk des Reisenden vom Mittelmeer bis zum Persischen Golf.

Dossier: Reisen durch Jahrhunderte und Kontinente
Ob aus Abenteuerlust oder Wissensdrang – schon seit Jahrhunderten bereisen Menschen aus Europa den Orient und umgekehrt, um die jeweils andere Kultur kennen zu lernen.