Freispruch für Amina Lawal

Ein Berufungsgericht in Nigeria hat das Todesurteil durch Steinigung gegen Amina Lawal aufgehoben. Ihr war Ehebruch vorgeworfen worden. Auf dem Prüfstand stand in dem Verfahren auch das "Islamische Recht" Nigerias.

Amina Lawal (Photo: AP)

​​Ein Gremium von fünf islamischen Richtern verwarf am Donnerstag (25.09.2003) den Schuldspruch vom März 2002 mit der Begründung, Lawal habe nicht ausreichend Gelegenheit gehabt, sich zu verteidigen. Sie war damals von einem nigerianisches Scharia-Gericht wegen Ehebruchs zum Tode verurteilt worden. Frau Lawal hatte als geschiedene Frau ein Kind zur Welt gebracht, was dem Gericht als Beweis diente. Obwohl geschieden, wurde sie behandelt, als sei sie verheiratet. Hätte sie vor der Ehe ein Kind geboren, wäre sie vor dem islamischen Gericht mit einer Prügelstrafe davon gekommen.

Drei Rechtsformen in einem Staat

Seit dem Jahr 2001 gehört Nigeria zum Kreis der Länder, die Steinigungsurteile zulassen, und in denen Politik in hohem Maße in christlichen und islamischen Zusammenhängen gedacht und umgesetzt wird. 1000 Jahre Islam in Nordnigeria, 200 Jahre Christentum in Südnigeria und 100 Jahre "Afrikanische Unabhängige Kirchen" haben extrem unterschiedliche, teilweise sogar gegensätzliche Denk- und Lebensweisen hervorgebracht. Dies spiegelt sich in der Anwendung der unterschiedlichen Rechtsnormen und in blutig ausgetragenen ethnisch-religiös gefärbten Konflikten der vergangenen drei Jahre direkt wider.

Nigeria ist formal ein säkularer Staat mit 36 Bundesstaaten in dem drei Rechtssysteme gelten: "Nigerianisches Recht", das weitgehend britischem Recht, entspricht; "Islamisches Recht" und "Traditionelles Recht".

"Islamisches Recht" in zwölf Bundesstaaten

Mit dem Redemokratisierungsprozess Nigerias 1999 begannen die zwölf islamisch geprägten Bundesstaaten Nordnigerias, den neu gewonnen politischen Freiraum zu nutzen und einen Jahrzehnte alten Traum zu verwirklichen: das "Islamische Recht" als bindendes Recht für Muslime im Zivil- und Strafrecht einzuführen, in der Überzeugung, der Islam könne als Heilmittel für politische und wirtschaftliche Missstände dienen. Zuvor galt dieses Recht lediglich im Personenstandsrecht und bei Erbangelegenheiten.

Die Folge: Diebstahlvergehen werden mit Handamputation geahndet, kleinere Vergehen und vorehelicher Geschlechtsverkehr mit Prügelstrafen und außerehelicher Geschlechtsverkehr mit Steinigungsurteilen. Noch ist kein Steinigungsurteil in Nigeria rechtskräftig geworden, aber allen Urteilen ist gemein, dass sie bislang innerhalb des Scharia-Rechtssystems verblieben sind. Die Berufungsinstanz im Fall Amina Lawal war die letzte Instanz, die ausschließlich nach islamischem Rechtsverständnis urteilte.

Hätte das oberste Scharia-Gericht oder ein oberstes Scharia-Gericht in einem der anderen islamischen Bundesstaaten ein Steinigungsurteil bestätigt, hätte dies schon bald eine Staats- und Verfassungskrise heraufbeschwören können. Denn die nächste Berufungsinstanz (Court of Appeal) - dies entspricht etwa dem deutschen Bundesgerichtshof - müsste über die Verfassungsmäßigkeit des angewandten "Islamische Rechts" in einem säkularen Staat entscheiden oder den Fall direkt an den Obersten Gerichtshof - den Supreme Court - weiterleiten. Der hätte dann die Aufgabe, eine Grundsatzentscheidung über die Vereinbarkeit zweier völlig verschiedener Rechtssysteme in einem politischen System zu fällen. Wie immer eine Entscheidung dann auch aussähe, sie könnte das instabile Land leicht ins Chaos stürzen.

Letztlich haben deshalb weder Befürworter noch Gegner des "Islamischen Rechts" zurzeit ein Interesse daran, diese Frage verfassungsrechtlich klären zu lassen. Denn dann stellt sich sofort die Machtfrage zwischen dem weniger entwickelten islamischen Norden und dem wirtschaftlich dominanten christlichen Süden des Landes. Die Machtfrage ließe sich beim derzeitigen Stand der politischen Entwicklung und Kultur nicht politisch lösen, sondern nur mit Gewalt. Davor scheut die große Mehrheit der Führungselite - ob christlich oder islamisch - noch zurück.

Heinrich Bergstresser

© Deutsche Welle 2003