Mehr Rechte für Frauen in Ägypten und Marokko

Neu eingerichtete Familiengerichte in Ägypten und Marokko sollen Streitigkeiten zwischen Ehepartnern in gegenseitigem Einverständnis lösen - für viele Frauen die letzte Hoffnung in einer desolaten Situation. Nelly Youssef stellt die Arbeit der Gerichte vor.

Foto: Rama al-Nimr

​​Auf der Suche nach Gerechtigkeit verbrachte die Ägypterin Zeinab sieben lange Jahre auf den Fluren und in den Sälen ägyptischer Gerichte: Sie hatte die Scheidung von ihrem Ehemann sowie die Zahlung von Unterhalt für ihr Kind gefordert.

Schon in den ersten Wochen ihrer Ehe sei ihr Leben zur Hölle geworden, ihr Mann hätte sie finanziell knapp gehalten und menschenunwürdig behandelt. So sei sie etwa gezwungen gewesen, zusätzlich in einem anderen Haushalt als Dienstmädchen zu arbeiten, um das tägliche Brot für sich und ihr Kind zu verdienen.

Doch die Mühlen der Justiz mahlen langsam in Ägypten, auch im Zivilrecht, und die vergangenen sieben Jahre des Wartens auf ein Urteil zu ihren Gunsten hatten sie mehr und mehr zermürbt. Seit neuestem besteht jedoch die Möglichkeit, sich mit derartigen Anliegen an eines der neuen Familiengerichte zu wenden – eine Möglichkeit, die Zeinab unmittelbar nach deren Einrichtung auch wahrnahm.

Die neuen Familiengerichte sind für sie und viele andere ägyptische Frauen in ihrer Lage die letzte Hoffnung. Sie werden die "Dazwischenhängenden" genannt: die, die nur noch auf dem Papier verheiratet, jedoch noch nicht offiziell geschieden sind. Von allen Verfahren, die eingestellt werden, da sie länger als 12 Jahre vor Gericht verhandelt wurden, machen die gescheiterten Scheidungsanträge dieser Frauen 20 Prozent aus.

Nachdem das Parlament im März 2004 ein Sondergesetz zur Einrichtung von Familiengerichten erlassen hatte, konnten sie im Oktober desselben Jahres schließlich ihren Betrieb aufnehmen. Dieses Gesetz war von Juristen, Mitgliedern des Nationalen Frauenrats und der Al-Azhar-Universität, Intellektuellen und Kulturschaffenden ausgearbeitet worden.

Schiedsbüros

Durch die Spezialisierung der Familiengerichte auf zivilrechtliche Streitigkeiten, die sich um Ehescheidung, Fragen des Sorgerechts, der Abstammung und der Erziehung, um Erbe und Besitz sowie um sonstige familiäre Probleme drehen, sollen diese schneller und einfacher beigelegt werden können. Zu den Familiengerichten gehören deshalb auch spezielle Schiedsbüros, die es ermöglichen sollen, dass derartige Probleme außergerichtlich und im gegenseitigen Einvernehmen gelöst werden.

Diese Schiedsbüros, denen in den meisten Fällen Frauen vorstehen, haben im Rahmen der Familiengerichte die Funktion, beratend tätig zu sein. In diesen Büros arbeiten Psychologen, Soziologen und Juristen, die durch das ägyptische Justizministerium in Zusammenarbeit mit bekannten Soziologen und Psychologen über einen Zeitraum von sechs Monaten speziell für diese Aufgabe geschult werden. Die Richtergremien der Familiengerichte selbst bestehen aus drei Richtern, darunter eine Frau.

Unmittelbar nachdem eine Partei Klage beim Familiengericht erhoben hat, treffen sich die Mitarbeiter des zugehörigen Schiedsbüros mit beiden Streitparteien. Sie lassen sich den Fall schildern und beraten darauf hin beide Parteien hinsichtlich der verschiedenen Aspekte, z.B. der rechtlichen Möglichkeiten sowie der langfristigen Folgen ihres Streitfalls. Sie bieten ihren Klienten Beratung und Informationen mit dem Ziel, den Streitfall friedlich und zum Wohl der gesamten Familie beizulegen.

Innerhalb von fünfzehn Tagen nach Anklageerhebung muss eine gütliche Einigung erfolgt sein, allerdings kann diese Frist mit Einverständnis der beiden Parteien um weitere fünfzehn Tage verlängert werden. Im Falle einer Einigung legt das Schiedsgericht den Parteien einen entsprechenden Vertrag vor, der mit deren Unterschriften rechtskräftig wird.

Wird aber - wie im Fall Zeinabs - keine gütliche Einigung erzielt, und die Klägerin besteht auf einer Weiterverhandlung ihres Falls, so wird dieser inklusive der Berichte des Schiedsbüros an das Familiengericht weitergeleitet und schließlich auf juristischer Ebene behandelt.

Dies dauert dann aber nicht mehr mehrere Jahre, sondern nur noch wenige Monate, u.a. auch deshalb, weil eine Klage erst dann vor dem tatsächlichen Familiengericht landet, wenn zuvor mit Hilfe des jeweiligen Schiedsbüros versucht wurde, den Streitfall außergerichtlich zu lösen.

Die Initiative der ägyptischen Regierung für die Einrichtung von Familiengerichten erfolgte aufgrund der um ein Vielfaches gestiegenen Scheidungsrate in den vergangenen Jahren. Rund sieben Millionen Ägypter und Ägypterinnen wenden sich jährlich an die Justiz, um Streitigkeiten innerhalb der Familie zu lösen. Studien des Nationalen Frauenrats zufolge hätte aber in siebzig Prozent dieser Prozesse zuvor eine außergerichtliche Einigung erzielt werden können.

"Versöhnen ist besser"

Die Mitarbeiter der Schiedsbüros konnten bislang bei mehr als 300 familiären Streitfällen Einigungen erreichen, dabei ging es u.a. um Scheidung, Unterhaltszahlungen sowie das Besuchsrecht bezüglich der Kinder.

Einer dieser Fälle ist der von Iman, die vor den Mitarbeitern des Schiedsgerichts im Kairoer Viertel Schabra in Tränen ausbrach. Sie beharrte darauf, sich von ihrem Ehemann scheiden lassen zu wollen, da er sie schlecht behandle.

Nach vier Stunden konnte aber doch eine Versöhnung erreicht werden, ihr Mann zeigte Reue und versprach, sein Verhalten ihr gegenüber zu ändern. Dabei verpflichtete er sich mit seiner Unterschrift unter einen entsprechenden Vertrag, die nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich bindend ist.

Nach Aussage von Rechtsanwältin und Frauenrechtsaktivistin Muna Zou Al-Fakar gelten die Familiengerichte als Fortschritt im ägyptischen Rechtswesen, da sie Aufgaben anderer Gerichte übernommen haben, die diese aufgrund der Anforderungen und Entwicklungen der heutigen Zeit nicht mehr erfüllen können.

Probleme der Familiengerichte

Die ägyptischen Familiengerichte haben allerdings seit Aufnahme ihrer Tätigkeit mit vielen Problemen zu kämpfen. Den Mitarbeitern der Schiedsbüros mangelt es an Grundlegendem: Büroeinrichtung, Büromaterial sowie der Möglichkeit zur Kommunikation.

Ebenso gibt es Probleme durch die Vielzahl der Verfahren, die vorher an anderen Gerichten verhandelt wurden. Mehr als 200.000 Fälle wurden nun an die Familiengerichte übergeben.

Auch sieht sich das Familiengericht harscher Kritik ausgesetzt. Muhammad Masir, Dozent für Islamisches Recht an der Al-Azhar-Universität, meint, dass man sich durch diese Gerichte nur dem internationalen Druck beuge. Sie seien nicht mit der Scharia vereinbar, da ihnen eine religiöse Autorität fehle, was gegen islamisches Recht verstoße.

Außerdem seien die zügigen Entscheidungen der Gerichte ein zweischneidiges Schwert: Einerseits schöbe es dem Phänomen, dass Frauen nur noch auf dem Papier verheiratet seien, einen Riegel vor, andererseits aber fördere es die Zersplitterung der Familien, da Scheidungen so immer häufiger vorkämen.

Familiengerichte in Marokko

Auch in Marokko wurden kürzlich per Gesetz Familiengerichte eingerichtet. Eine Scheidung ist nun ein gemeinsamer Beschluss beider Ehepartner und wird durch Urteil eines Familiengerichts rechtskräftig. Scheidung ist damit nicht mehr nur ein Vorrecht des Mannes, auch die Frau kann nun einen entsprechenden Antrag beim Familiengericht einreichen. Daran war in der Vergangenheit nicht zu denken.

So etwa auch im Fall von Khadija nicht, die sich telefonisch an die Autorin wandte. Seitdem Khadija verzweifelt die Hoffnung aufgegeben hatte, dass ihr Mann sich von ihr scheiden lasse und ihr Unterhalt zahle, arbeitete sie in einem marokkanischen Krankenhaus, um ihren Sohn ernähren zu können. Schließlich strebte sie aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters nicht mehr die Scheidung, sondern nur noch Unterhaltszahlungen ihres Mannes für den gemeinsamen Sohn an.

Als sie sich jedoch an die marokkanischen Gerichte wandte, um die Unterhaltszahlungen von ihrem Mann einzufordern, verlangten die Richter von ihr, sich als Polizist zu verkleiden und die Wohnung ihrer Schwiegermutter zu observieren. Sobald ihr Ehemann, der sich im Ausland befand, käme, um seine Mutter zu besuchen, sollte sie dem Gericht Bericht erstatten. Für Khadija war dies eine unmögliche Forderung und geradezu eine Beleidigung.

Durch das neue Familiengericht kam sie schließlich doch noch zu ihrem Recht. In einem schnellen, einmonatigen Verfahren verurteilte es ihren Ehemann zu monatlichen Unterhaltszahlungen und die Bereitstellung eines Wohnplatzes für eine Tagesmutter.

Viele arabische Regierungen versuchen seit Beginn 2004, mit Reformen der Familiengesetze auf die Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse zu reagieren, so z.B. in Jordanien, Bahrein, Algerien, Syrien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Allerdings wurde das Experiment der Familiengerichte bislang nur in Ägypten und Marokko eingegangen.

Nelly Youssef

© Qantara.de 2005

Aus dem Arabischen von Helene Adjouri