Wichtiger Schritt in Richtung Souveränität

Der Erfolg der ersten freien irakischen Parlamentswahl steht außer Frage. Denn den Terroristen ist es nicht gelungen, die Mehrheit der Iraker an der Ausübung ihres Wahlrechts zu hindern. Ein Kommentar von Peter Philipp.

Vor einem Wahllokal im Südirak, Foto: AP
Vor einem Wahllokal im Südirak

​​Wahlen hatte es im Irak ja schon des Öfteren gegeben, aber deren Ergebnis war - besonders unter Saddam Hussein - vorhersehbar und näherte sich fast immer der 100-Prozent-Marke. Oder sie wurden - wie 1954 - einfach annulliert, weil es den Mächtigen nicht gefiel. So wäre es kaum überraschend gewesen, wenn die Mehrheit der Iraker diesmal "dankend abgelehnt" und sich nicht an den Wahlen beteiligt hätte.

Denn im Gegensatz zu früheren Wahlen waren diese mit hohem persönlichem Risiko verbunden und es gab - ja gibt weiterhin - keine Garantie, dass diese Wahlen wirklich etwas verändern werden im Irak. Den Irakern kann man nur gratulieren: Alle Achtung, dass sie den Gefahren getrotzt haben und dennoch an die Wahlurnen gezogen sind. Mit einer Wahlbeteiligung, auf die so manche etablierte Demokratie neidisch wäre.

Das ist der große Unterschied zwischen diesen Demokratien und dem Irak, der auch nach der Wahl immer noch weit von einer Demokratie entfernt ist: In manchen europäischen Staaten und in Nordamerika wird der Urnengang als fast lästige "Bürgerpflicht" betrachtet, im Irak war die Abstimmung klarer Ausdruck des Wunsches nach politischer Mitbestimmung und Beteiligung. Eine Hoffnung, sicher. Aber doch auch die Überzeugung, dass diese Hoffnung ohne eigenen Einsatz nie wahr wird.

Dies gilt besonders für die bisher Unterprivilegierten des Irak. Das sind in erster Linie die Schiiten, dann die Kurden. Zum ersten Mal sah die schiitische Mehrheit eine Chance, durch freie Wahlen ihren Anteil an der Macht zu reklamieren, und sie hat diese Chance genutzt. Auch die Kurden wussten, welche Gelegenheit sich ihnen hier bot. Ohne beide Gruppen wird im künftigen Irak nichts gehen.

Und nun kommen die Zweifler und argumentieren, diese Wahlen seien nichts wert, weil doch die Sunniten kaum teilgenommen haben. Selbst beim größten Respekt davor, dass viele Sunniten aus begründeter Furcht nicht gewählt haben: Entwertet dies die Wahlen insgesamt? Wohl kaum, denn die Sunniten sind ohnehin nur eine 20-Prozent-Minderheit, und ein Teil der Nichtwähler unter ihnen wollte nicht wählen, weil man sich nicht damit abfinden wollte, dass die sunnitische Vormachtstellung mit diesen Wahlen endgültig gebrochen sein würde.

Die Mehrheit der irakischen Sunniten war mit Sicherheit vom Terror der Extremisten aus ihren eigenen Reihen eingeschüchtert - und von den "importierten" Terroristen vom Schlage eines Mussab al-Sarkawi. Man kann es ihnen kaum verdenken, dass sie nicht gewählt haben. Aber dass auch diese Iraker von einer Normalisierung des Landes profitieren werden, dafür muss jede künftige Regierung Sorge tragen. Von einer Normalisierung im Übrigen, die lang und mühsam werden dürfte und weiterhin Opfer fordern wird. Weil die Radikalen und die Fanatiker weiterhin da sind.

Die Mehrheit der irakischen Wahlberechtigten hat diesen Extremisten aber eine deutliche Abfuhr erteilt. Ein klarer Auftrag auch für das frei gewählte Parlament und für die Regierung, die nun entstehen wird.

Die Ablehnung der Extremisten freilich bedeutet nicht, dass man die amerikanische Besatzung akzeptiert hätte. Diese wird vorerst sicher andauern. Je mehr die Iraker sich aber als politisch mündig und verantwortungsbewusst zeigen, desto näher dürfte auch das Ende der Besatzung rücken. Die Wahlen waren ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung.

Peter Philipp

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