Chance für Perspektivwechsel

Zum ersten Mal veranstaltete der Deutsche Bundestag die "Tage der Arabischen Welt". Über 300 arabische Politiker und Wissenschaftler trafen sich zum Dialog. Sabine Ripperger war dabei.

Glaskuppel des Deutschen Bundestags, Foto: ap
Glaskuppel des Deutschen Bundestags

​​Die im Deutschen Bundestag vom 1. bis 3. Dezember veranstalteten "Tage der Arabischen Welt" waren ein wichtiger Schritt zu einem besseren gegenseitigen Verständnis. Ein solcher Perspektivwechsel war geradezu überfällig in einer Welt voller alter und neuer Feindbilder, wie Bundestagspräsident Wolfgang Thierse bei der Eröffnung der dreitägigen Veranstaltung betonte.

Mehr als 300 Politiker, Parlamentarier und Wissenschaftler aus dem Nahen und Mittleren Osten, aus Nordafrika und von der Arabischen Halbinsel waren zu einem Forum des Dialogs und der Begegnung nach Berlin gekommen.

In seiner Eröffnungsrede bemerkte Thierse: "Unsere Vorstellungen von dieser, für viele von uns noch immer fremden Welt, sind nicht ganz frei von Unkenntnis, Vorurteilen und gelegentlich auch falschen Verallgemeinerungen, obwohl die arabischen Staaten unsere unmittelbaren Nachbarn sind."

Zum Auftakt der Veranstaltung sprachen sich die Teilnehmer gegen Extremismus aus und riefen zum Abbau von Vorurteilen auf. Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder warnte vor einem Kampf der Kulturen: "Wir brauchen in unseren Ländern den Kampf um die Kultur. Aber was wir nicht brauchen können, ist der Kampf der Kulturen gegeneinander."

Öffnung für Reformen

Amr Moussa, der Generalsekretär der Arabischen Liga und frühere ägyptische Außenminister, warnte davor, Islam und Terrorismus in einen Topf zu werfen. Er rief zu gegenseitigem Respekt und zum Abbau von Vorurteilen auf. Es gelte, gemeinsam Fanatismus und Extremismus abzuwehren und sich den Extremisten entgegenzustellen, die versuchten, die arabische und islamische Welt zu ihrer Plattform zu machen.

Dringende Reformen in den arabischen Ländern angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit forderte Mohamad Safadi, Vorsitzender der Libanesisch-Deutschen Freundschaftsgruppe der Nationalversammlung im Libanon. Dabei erhofft er sich Hilfe von den Europäern.

"Wir hätten gern eine Art Prozess, der von Europa ausgeht, um die arabischen Regierungen von den Vorteilen von Reformen zu überzeugen. Wir brauchen Reformen im Demokratie-Bereich, bei den Menschenrechten. Es gibt nichts, wo wir nicht Reformen bräuchten", betonte Safadi.

Nach seiner Auffassung glaubten einige arabische Regierungen, dass diese Reformen gegen ihre eigene innere Sicherheit gerichtet sein könnten. Safadi sieht hierbei im Dialog ein entscheidendes Schlüsselelement: "Wir brauchen eine Art von überzeugendem Dialog zwischen Europa und den arabischen Ländern, damit diese sich für Reformen öffnen."

Der Dialog in der arabischen Welt müsse mit allen Gruppen der dortigen Gesellschaften geführt werden, so Safadi. Das hieße, nicht nur mit den offiziellen Regierungsvertetern und den kulturellen Eliten, sondern auch mit der Zivilgesellschaft, soweit sie schon vorhanden ist. Vorrangiges Interesse sollte der Jugend entgegen gebracht werden, zumal sie rund 60 Prozent der Bevölkerung in der arabischen Welt ausmache, sowie den Frauen.

Wirtschaft als Brückenbauer

Michael Inacker, Mitglied des Direktoriums von DaimlerChrysler, schlug dazu einen Schüler- und Studentenaustausch vor, der Vorurteile und Feindbilder abbauen könne. Als Vorbild könnte das Deutsch-Französische Jugendwerk dienen, das nach dem Zweiten Weltkrieg viel zur Annäherung beider Gesellschaften erreicht habe.

Für Inacker ist es die Aufgabe der Politik, gemeinsam mit der Wirtschaft solche Modelle für die Beziehungen zur arabischen Welt zu nitiieren: "Hier spielt die Wirtschaft als Brückenbauer tagtäglich eine ganz entscheidende Rolle."

DaimlerChrysler selbst bilde in seinen Einrichtungen im Iran Frauen zu Führungskräften aus, berichtete Inacker. Außerdem veranstalte das Unternehmen zusammen mit dem Internationalen Olympischen Komitee ein humanitäres Projekt im Irak. Dieses Projekt bestehe darin, in der Nähe von Bagdad ein Sportzentrum aufzubauen, in dem Frauen trainieren könnten, so Innacker.

Interessenvertretung der Muslime in Deutschland

Auch in Europa, wo inzwischen nahezu 13 Millionen Muslime leben, bleibt nach Ansicht von Bundestagspräsident Thierse viel zu tun. Er möchte, dass sich die Muslime in Deutschland eine klare Organisationsstruktur auf Länder- und Bundesebene geben und sich auf eine gemeinsame Interessenvertretung einigen.

Denn die Politik brauche Ansprechpartner zum Beispiel in Fragen des Religionsunterrichts oder bei der offenen Auseinandersetzung mit fundamentalistischen Bestrebungen.

Europäische Verantwortung in der arabischen Welt

Die marokkanische Völkerrechtlerin Assia Bensaleh Alaoui meinte, dass der Westen große Verantwortung habe, in der arabischen Welt die Glaubwürdigkeit von Demokratie und Menschenrechten wieder herzustellen. Und das nicht nur wegen der um die Welt gegangenen
Folter-Bilder aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib.

Alaoui sagte in Berlin, dass die arabische Welt den Westen brauche, um "von einer Strategie der Konfrontation mit dem Islam wegzukommen". Man könne nicht bekämpfen, was man als 'Dschihad' - 'heiligen Krieg' – bezeichne und selbst Kreuzzüge führen, so Alaoui. Diese Haltung sei fatal für die arabische Welt, weil hierdurch der Islam herhalten müsse "für alles, was nicht richtig funktioniert".

In Europa könne es dauerhafte Stabilität nur geben, wenn auch in der Nachbarschaft Frieden herrsche, so Bundeskanzler Gerhard Schröder auf der Veranstaltung in Berlin. Die Konflikte im Irak und zwischen Israelis und Palästinensern nannte Schröder "die beiden großen Herausforderungen im Nahen Osten".

Hier sei auch die Europäische Union mit ihrem so genannten "Barcelona-Prozess" gefragt, betonte Joachim Hörster, der der Parlamentarier-Gruppe "Arabische Welt" vorsitzt. Diese Zusammenarbeit mit den Mittelmeer-Staaten sei äußerst wichtig.

Nach Hörsters Auffassung spreche der Barcelona-Prozess das Miteinander der Mittelmeer-Anrainer-Staaten an. Außerdem verfolge der Prozess den Aufbau sowohl einer politischen und sicherheitspolitischen als auch einer Wirtschafts- und Finanzpartnerschaft untereinander. Und schließlich fördere man auch die kulturelle und menschliche Partnerschaft zwischen den Ländern im Mittelmeerraum, so Hörster.

Auf gleicher Augenhöhe

Aus deutscher Sicht gehe es nach Hörster darum, eine Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe zu pflegen. Grundvoraussetzung dabei sei, dass in den Ländern der arabischen Welt Richtungsentscheidungen getroffen werden müssten, um die Chancen des einzelnen Menschen nachhaltig zu verbessern und zu fördern.

Dazu könnten die Deutschen mit ihrem Rat und ihrer Hilfe beitragen, so Hörster. Die Entscheidungen zu treffen, sei jedoch Aufgabe der Länder selbst.

Sabine Ripperger

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004

Tage der arabischen Welt im Bundestag