Liberales Selbstdementi

In den Einbürgerungstests, die von Stuttgart bis Wien, von Den Haag bis Frankfurt groß in Mode sind, wird eine Laissez-Faire-Kultur postuliert – und ihr Gegenteil vollzogen, meint Robert Misik in seinem Kommentar.

Hessischer Einbürgerungsfragebogen; Foto: dpa
Der hessische Fragebogen sei "etwas für Siebengescheite", schrieb Heribert Prantl in der Südeutschen Zeitung

​​Es ist in Europa eine hübsche Mode geworden, einbürgerungswillige Immigranten kniffligen Tests zu unterwerfen, in denen meist in Frage-Antwort-Form, gelegentlich auch mittels raffinierterer Operationen die Kompatibilität des Antragsstellers mit dem freiheitlich-demokratischen Betriebssystem des Westens überprüft werden soll.

Im Detail und auch im rhetorischen Gestus unterscheiden sich die Tests. Der baden-württembergische Test ist, wie Heribert Prantl in der "Süddeutschen Zeitung" schrieb, "missgünstig und vorurteilsbeladen", der hessische Fragebogen "eher etwas für Siebengescheite". In Österreich geht es – abgesehen von 18 staatsbürgerlichen Grundfragen – eher um lokalkulturelles Wissen, das eigentlich nur für die Bewohner eines Bezirkes oder eines Bundeslandes von Interesse ist.

In den Niederlanden dagegen haben sich die Zuständigen etwas ganz Originelles einfallen lassen: die erste Stufe der Prüfung besteht in der Betrachtung einer 105 Minuten langen DVD, auf der nackte Frauen und knutschende Homosexuelle zu sehen sind. Einbürgerungswillige, die da schon schreiend den Raum verlassen, brauchen zum Rest des Tests gar nicht mehr anzutreten.

Fremde auf Abstand halten

Bei allen Differenzen zieht sich ein Grundmotiv durch die Tests: Man will sich die Fremden auf Abstand halten. Aufnahme in die Gemeinschaft findet nur, wer a) über ein erstaunlich hohes Maß an nationalkulturellem Wissen verfügt ("Welche Versammlung tagte im Jahr 1848 in der Frankfurter Paulskirche") und wer b) die liberalistischen Fangfragen erfolgreich meistert ("Erläutern Sie den Begriff ‚Existenzrecht’ Israels", "Einer Frau soll es nicht erlaubt sein, sich ohne Begleitung eines nahen männlichen Verwandten allein in der Öffentlichkeit aufzuhalten oder auf Reisen gehen zu dürfen: Wie ist Ihre Meinung dazu?").

Tatsächlich ist der Liberalismus, der sich durch diese Tests zieht, ein paradoxer. Er behauptet eine Liberalität, die in den westlichen Gesellschaften selbst doch keineswegs selbstverständlich und unumstritten ist: gleiche Rechte für Frauen, Respekt vor anderen Lebensentwürfen, Achtung vor Schwulen und Lesben, Ächtung des Antisemitismus.

Der schöne Schein des Liberalismus

Fast meint man, der Laissez-Faire-Hedonismus der Post-68er wäre in Frage-Form gegossen worden. Erstaunlich: In jenen konservativen Milieus, in denen die "Moslemtests" – oder besser: "Anti-Moslemtests" – ausgeheckt werden, ist eine solche Liberalität – das Prinzip "jeder solle nach seiner eigenen Facon glücklich werden" – ja gerade nicht Mainstream.

Man muss dies nicht kritisieren, im Gegenteil. Man kann einem solchen postulierten Liberalismus eine performative List unterstellen: wenn die westlichen Gesellschaften von sich nur oft und fest behaupten, sie seien derart liberal, dann sind sie es womöglich irgendwann einmal auch. Das Postulat eilt vielleicht der Realität voraus, was aber nicht ausschließt, dass die Realität dem Postulat nachwächst.

Dies wäre die freundliche Interpretation der Chose. Einer solchen Interpretation steht aber eine zweite Aporie gegenüber, die schwerer wiegt. Der postulierte Liberalismus dementiert sich im selben Augenblick nämlich selbst. Das entscheidende an der behaupteten Weltoffenheit ist nicht diese selbst, sondern der Subtext, den sie zu transportieren erlaubt: "Wir wollen Euch hier nicht haben. Ihr passt nicht zu uns."

Phobie vor dem Anderen

So enthüllt die neue Testkultur eine Wahrheit des Westens, aber eine völlig gegensätzliche als die, die intendiert wird: die westeuropäische Kultur ist nicht die Liberalität, sondern die Phobie vor dem Anderen. Man will sich die Moslems vom Halse halten und formuliert Fragen, von denen man überzeugt ist, sie würden alle aus der Bahn werfen, die ihre Frauen schlagen, für ihre Religion in den Krieg ziehen und von Pressefreiheit keine Ahnung haben.

Die Tests, kurzum, sind kein Mittel zur Integration oder positiven Steuerung der Einwanderung, sondern ein Mittel, um der autochthonen Bevölkerung zu signalisieren, dass alles getan wird, damit so wenige wie möglich die Hürden zur Einbürgerung überspringen. Bei denen, die diesen Tests unterzogen werden, kommen sie als das an, was sie sind: als Ausladung.

Das schließlich ist freilich die Pointe allen Geredes über Integration – dass kein Moment darauf verschwendet wird, darüber nachzudenken, wie das vis-à-vis meine Handlungen verstehen muss. Die Mühe der Empathie, der Einfühlung in den Anderen, des kulturellen Verständnisses – wer will sich ihr noch unterziehen?

Das zieht dann bisweilen auch hübsche unfreiwillige Pointen nach sich. So heißt es im Wiener Wissenstest: "Wann wurde die Hochquellwasserleitung errichtet?" Für die, die’s interessiert: Die in Wien 1873. Die in Istanbul 1560.

Robert Misik

© Qantara.de 2006

Der Autor ist freier Publizist und Journalist und lebt in Wien.

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