Kein Hinterhof der USA

Angesichts der gescheiterten außenpolitischen Strategien der USA am Golf ist die Initiative der Europäer gefragt, als Konfliktschlichter und Vermittler aufzutreten, argumentiert Christian Koch.

Javier Solana und Condoleeza Rice; Foto: AP
Die Sicherheit in der Golfregion ist zu wichtig, als dass man sie allein den Vereinigten Staaten überlassen könnte. Europa sollte das inzwischen wissen, schreibt Christian Koch.

​​Seit der Unabhängigkeit der britischen Kolonien in Arabien im Jahr 1971 sind es die USA, die die Golfregion politisch dominieren.

Von Beginn an verfolgten die Vereinigten Staaten dabei die verschiedensten politischen Strategien, um Sicherheit und Stabilität in der Region zu erreichen.

So beispielsweise die Unterstützung Saudi-Arabiens und des Irans zur Durchsetzung US-amerikanischer Interessen in den 1970er Jahren oder im folgenden Jahrzehnt die Strategie, den Iran und den Irak gegeneinander auszuspielen, um die Machtbalance in der Region aufrechtzuerhalten. Oder etwa die US-Eindämmungsstrategie des letzten Jahrzehnts, mit der man den Irak wie den Iran gleichermaßen international zu isolieren versuchte.

Fehlgeschlagene Strategien

Sicherheit und Stabilität für die Region brachte keine dieser Strategien. Schließlich scheiterte auch der Versuch, durch den Sturz Saddam Husseins mehr direkte Kontrolle in der Region zu erlangen.

Während der ganzen Zeit aber nahm Europa die Dominanz der USA in der Region hin und beschränkte seine Beziehungen zum Golf fast ausschließlich auf den wirtschaftlichen Bereich.

Was in den letzten drei Jahren der Invasion im Irak jedoch deutlich geworden sein sollte, ist, dass die USA keine Antworten auf die Frage nach Stabilität in der Golfregion hat. Weder militärische Kraftmeierei noch die überlegene Waffentechnik vermochten den Status Quo im amerikanischen Sinne zu verändern.

Stattdessen rief sie Verbitterung hervor und trug zur Entfremdung auch befreundeter Nationen bei. Hierzu gehören auch die arabischen Staaten am Golf, die militärische Beziehungen mit den USA unterhalten und die Politik der Amerikaner zunehmend in einer Sackgasse sehen.

Als die US-amerikanische Außenministerin Condoleeza Rice Anfang Oktober Saudi-Arabien besuchte und dann in Kairo die Außenminister der Länder des Golf-Kooperationsrates traf, wurde sie zwar höflich empfangen, doch stieß ihre Botschaft auf taube Ohren. Zunehmend wird die politische Partnerschaft mit den USA zu einer schweren Belastung.

Europas Initiative gefragt

All das öffnet Europa die Möglichkeit, die Initiative zu ergreifen und sich aktiv in der Golfregion zu engagieren. Erstens würde das Festhalten an der bisherigen Politik – also die USA einfach gewähren zu lassen – nur zu noch größerer Instabilität führen; zweitens kommen die Signale aus der Region selbst, sucht sie doch, angesichts der zunehmend als Phrasendrescherei empfundenen amerikanischen Botschaft, fieberhaft nach Alternativen zur gegenwärtigen Politik.

Und drittens schließlich ist es Europa, das genau das zu bieten hat, was die Region gegenwärtig am dringendsten braucht: die historische Erfahrung in der Beilegung jahrhundertealter Rivalitäten und die erfolgreiche Etablierung eines Systems, das es unterschiedlichen Staaten erlaubt, ihre kulturellen Identitäten zu bewahren bei gleichzeitig enger Zusammenarbeit, wenn es um den Ausbau gemeinsamen Wohlstands geht.

Der Hinweis, dass es Europa an konkreten Lösungsansätzen für die Probleme der Golfregion mangele, geht von einem falschen Verständnis der tatsächlichen Herausforderung aus, der man sich hier gegenübersieht. Europa kann die USA in der Region nicht ersetzen, doch kann es dort Alternativen anbieten und neue politische Akzente setzen, wo die US-amerikanische Politik bisher heillos versagt hat.

Konfliktprävention und vertrauensbildende Maßnahmen

Dies gilt vor allem für den Bereich der Konfliktprävention und den Aufbau gegenseitigen Vertrauens. Wie die europäische Eingreiftruppe in Mazedonien zeigte, ist eine frühzeitige Intervention geeignet, Konflikte zu verhindern, wenn sie rechtzeitig erkannt und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden.

Die Erweiterung der Europäischen Union stellt zudem unter Beweis, dass es möglich ist, auch alte Bedrohungsgefühle und lange existierendes Misstrauen schrittweise abzubauen. Wesentlich hierfür ist ein ernsthaftes, partei- und ebenenübergreifendes Engagement.

Leider sieht Europa – und damit ist hier sowohl die Europäische Union insgesamt gemeint wie auch die Mitgliedsländer als Einzelakteure – die Sicherheitsfrage am Golf und im Nahen Osten noch immer als etwas an, was nur auf bilateralem Wege zu behandeln ist.

Die EU-3, also Deutschland, Großbritannien und Frankreich als stärkste Kräfte innerhalb der EU, verhandeln mit dem Iran, auch wenn es die USA sind, die im Hintergrund die Fäden ziehen. Der Irak wird fast vollständig den USA überlassen, der arabisch-israelische Konflikt wird als Sache des Nahost-Quartetts gesehen (USA, EU, Russland und die UN). In all diesen Fällen zeigt sich, dass auf die Golfregion als Gesprächspartner vollständig verzichtet wird.

Während der gesamten Verhandlungen mit Ali Larijani, dem iranischen Chefunterhändler in den Gesprächen über das iranische Atomprogramm, holte Javier Solana, Hoher Vertreter der Europäischen Union für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, nicht ein einziges Mal die Position der Golfstaaten ein oder versuchte, ihren politischen Einfluss als zusätzliches Gewicht in die Wagschale zu werfen.

Europa als Konfliktschlichter und Dialogpartner

Selbst wenn die arabischen Golfstaaten das Recht zur friedlichen Nutzung der Nuklearenergie auch unter dem Atomwaffensperrvertrag anerkennen, hält doch kein einziger dieser Staaten das iranische Atomprogramm für ebendies – friedlich. Sein einziges Ziel ist die ultimative und feste Etablierung der iranischen Vormachtstellung in der Golfregion.

Wenn ihnen nur die Wahl bleibt zwischen einem iranischem Atomprogramm und einem zu befürchtenden Vergeltungsschlag des Iran im Falle eines amerikanischen Angriffs, werden sich die Golfstaaten für die zweite Option entscheiden. Denn während man mit einigen Vergeltungsanschlägen und terroristischen Attentaten wohl umgehen zu können glaubt, ist die ständige Bedrohung durch eine iranische Atombombe für sie nicht vorstellbar.

Dies bedeutet nicht, dass sich die Golfstaaten bereits der militärischen Option verschrieben hätten. Die beiden oben skizzierten Szenarien werden nicht als wirkliche Alternativen gesehen.

Genau hier kommt Europa wieder ins Spiel. Es muss den Dialog in der Region fördern und die Konfliktparteien zum ehrlichen Meinungsaustausch ermuntern.

Die Priorität der Europäischen Union liegt darin, den Konflikt beizulegen, während es das Hauptinteresse der USA ist, den Konflikt für sich zu entscheiden. Die Sicherheit in der Golfregion aber ist zu wichtig, als dass man sie allein den Vereinigten Staaten überlassen könnte. Europa sollte dies inzwischen wissen.

Christian Koch

© Arab News 2006

Dr. Christian Koch ist Research Director für den Bereich internationale Studien am "Gulf Research Center" (GGNS) in Dubai.