Eine Parabel über Not und Würde

Der Film "Als der Wind den Sand berührte" der belgischen Regisseurin Marion Hänsel erzählt vom Schicksal einer Familie, die ihr Heimatdorf verlassen muss, nachdem dort alle Brunnen versiegt sind. Ariana Mirza hat sich den Film angesehen.

​​Die kleine Shasha lacht gern. Am liebsten macht sie Scherze über ihren Vater. Für die große Reise, die sie gemeinsam mit ihren Eltern und Brüdern antritt, zieht sich das Mädchen sein schönstes Kleid an.

Diese "Reise", auf die sich Shasha freut, ist eine Wanderung ins Ungewisse.

Ein ganzes Dorf macht sich auf den Weg, und folgt doch nur einer Ahnung. Denn wo noch Wasserstellen zu finden sind, das ist unklar. Irgendwo im Norden, wie Shashas Vater, der Lehrer, hofft, oder doch eher im Westen, wie der Dorfälteste vermutet?

Shashas Vater wählt einen langen, schmerzhaften Weg, der seine Familie nach und nach mit allen Plagen Afrikas konfrontiert. Und doch ist seine Route keine schlechtere, als diejenige, die andere Dorfbewohner eingeschlagen haben.

​​Denn Krieg, Minen und Willkür der Machthaber sind in allen Himmelsrichtungen anzutreffen. Die Dürre hat das Land ringsum verwüstet, korrupte Regierungstruppen und marodierende Rebellen drangsalieren hier wie dort die Bevölkerung.

In "Als der Wind den Sand berührte" gelingt Marion Hänsel das Porträt einer Familie, die sich selbst in größter Not niemals ihrer Würde berauben lässt. Dabei kommt der Film ohne jedes Pathos aus, es reicht das genaue Hinschauen.

Kleine Gesten und knappe Dialoge vermitteln das Bild eines Alltags, der den Zuschauern umso verständlicher wird, je länger sie Shasha und ihre Familie begleiten. Irgendwann sind die Protagonisten so vertraut, dass es nur natürlich erscheint, dass Shasha trotz aller Geschehnisse ihren Humor nicht verliert, und ihr Vater weiterhin stoisch versucht, verantwortungsbewusst zu handeln.

Majestätische Schönheit der Wüste

So sehr die Nähe zu den Figuren wächst, so fremd und unnahbar erscheint die Landschaft in Hänsels Film. In wunderbaren Bildern gelingt es, die majestätische Schönheit der Wüste in all ihren Facetten einzufangen.

​​Die Odyssee von Shashas Familie beginnt in karger Steppe, wo grüne Bäume rar geworden sind. Schon hier reißt die anhaltende Trockenheit tiefe Furchen in den Boden. Je weiter die Wanderung führt, umso mehr bestimmen Salzkrusten und Dornen die Szenerie. Und letztlich verliert sich jeder verbliebene Pfad in einem gigantischen Meer aus Sand, beschienen von einer unbarmherzigen Sonne.

Die belgische Regisseurin Marion Hänsel drehte "Als der Wind den Sand berührte" im ostafrikanischen Dschibuti. In dem seit 2001 befriedeten Land herrscht nach wie vor große Armut, und die Problematiken des Films spielten auch bei den Dreharbeiten eine Rolle: "Es kamen jeden Tag 150 Leute, die nach Arbeit fragten."

Zudem überschatteten kurzfristig Feindseligkeiten zwischen den Volksgruppen der Issa und der Afar die Dreharbeiten. "Aber das gab es nur in einer bestimmten Region, ich wurde auch gewarnt, dort nicht zu drehen, habe es aber trotzdem gemacht."

Einen konkreten Ort der Handlung zu benennen, hat die Regisseurin in ihrer Inszenierung bewusst vermieden. Hänsel meint, wovon sie erzähle, gelte für so viele Länder Afrikas, dass eine genauere Festlegung nur irreführend sei.

Aufmerksamkeit für menschliches Leid

Bei der Familie handelt es sich zwar um Muslime, sie könnten aber auch Christen sein, oder Animisten – gezeigt wird das allgemein Menschliche ihrer Geschichte und ihres Leidensweges. Die existenzielle Not, die aus Klimawandel und politischen Konflikten erwächst, so die Botschaft des Films, beschränkt sich nicht auf eine bestimmte Religionsgemeinschaft oder Volksgruppe.

Den Ausgangsstoff für ihre Geschichte fand die Regisseurin im Roman "Chamelle" von Marc Durin Valois. Sie sei begeistert von dieser Vorlage gewesen, erklärte Hänsel in einem Interview. "Weil dieser Roman all das enthält, worüber ich in meinem Film sprechen wollte."

Welches Anliegen die engagierte Filmemacherin verfolgt, darüber lässt sie keinen Zweifel. Ihr geht es darum, die Aufmerksamkeit auf eine der größten Tragödien zu lenken, die sich derzeit auf der Welt abspielen.

Wie wenig die Not der betroffenen Menschen bislang ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit gerückt ist, das verdeutlicht die Schlüsselszene des Films. Als in weiter Höhe ein Flugzeug über die Wüste fliegt, fragt Shasa ihren Vater: "Meinst du, sie können uns sehen?" Die Antwort ist ebenso einfach wie ernüchternd: "Ich denke nicht, dass sie überhaupt wissen, dass wir existieren."

Ariana Mirza

© Qantara.de 2007

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Als der Wind den Sand berührte