Von der Flut zur Dürre

Im einst so wasserreichen Land zwischen Euphrat und Tigris gibt es bereits die ersten Dürre-Flüchtlinge. Die irakische Regierung hat nun den Ernst der Lage erkannt und will rasch handeln. Aus Bagdad informiert Birgit Svensson.

Seit Jahren ist eine zunehmende Dürre im Irak zu beobachten.

Vertrocknete Böden südlich von Bagdad; Foto: AP
Ende des biblischen Garten Edens? Sollte die Situation anhalten, könnten bis zum Jahre 2030 Zweidrittel der besiedelten Gebiete im Irak wegen Dürre und Wassermangel unbesiedelt sein, warnt die irakische Tageszeitung Al Sabah</i>.

​​ Auch wenn es Ende November endlich drei Tage geregnet hat, so ragen die Sandbänke mitten im Tigris noch immer hoch aus dem Wasser heraus. Bis weit in den Oktober hinein fegten Staub- und Sandstürme über den Irak wie seit Jahren nicht mehr. Hunderte von Menschen mussten wegen Atembeschwerden in Krankenhäuser eingeliefert werden.

Doch der feine Staub penetriert nicht nur die Atemwege. Er ist überall. Er überzieht das Land zwischen Euphrat und Tigris mit einer beigefarbenen Hülle und lässt alles darunter ersticken. Zwar wurde der Irak immer schon von Sandstürmen heimgesucht, aber nie war es so schlimm wie in diesem Jahr, sagen Meteorologen.

Kahlschlag für die Armee

Die Amerikaner seien schuld daran, sagen die einen. In den sechs Jahren seit der Invasion hätten ihre Panzer die ursprüngliche Naturböden aufgewirbelt und aus dem ökologischen Gleichgewicht gebracht. Andere machen ihren ehemaligen Präsidenten Saddam Hussein dafür verantwortlich.

Der Diktator hatte Millionen von Palmen vor allem im Süden des Landes fällen lassen, als der Krieg gegen Iran in den 1980er Jahren tobte und er freie Sicht für die irakische Armee schaffen wollte.

Nun kann Staub und Sand ungehindert durch die Wüste wirbeln. Bewiesen sind die verschiedenen Anschuldigungen nicht. Tatsache aber ist, dass das Land zwischen Euphrat und Tigris immer mehr in Staub und Sand erstickt.

Fährt man über Land, wird das Phänomen schnell sichtbar. Überall bilden sich kleine Windhosen, die sich zu regelrechten spiralartigen Sandtornados ausweiten. Sie fegen über die Steppen vor allem im Westen Iraks und hüllen alles ein, was ihnen in den Weg kommt.

Stetige Abnahme der Wassermenge

Für Aun Abdullah ist dies ein weiteres Zeichen des Klimawandels. Der Generaldirektor der Abteilung Ressourcenmanagement im Bagdader Wasserministerium beobachtet schon seit Jahren eine zunehmende Dürre in dem einst so wasserreichen Land zwischen Euphrat und Tigris.

Die Statistiken seiner Abteilung über das jährliche Volumen der beiden Flüsse reichen zurück in das Jahr 1933. Seitdem ist eine stetige Reduzierung der Wassermenge zu verzeichnen.

Luftaufnahme des Atatürk-Staudamms am Euphrat; Foto: dpa
"Es kann nicht sein, dass wir Verträge mit der Türkei abschließen, riesige Investitionen in Partnerschaft mit Ankara tätigen - und die drehen uns durch ihre Dämme buchstäblich den Hahn zu", meint Aun Abdullah.

​​Das ist zum einen dem vermehrten Bau von Dämmen in der Türkei und im Iran zuzuschreiben, aber auch der dramatisch sinkenden Niederschlagsmenge.

"In den letzten 20 Jahren gab es immer weniger Regen", sagt Abdullah besorgt, "in den letzten zwei Jahren kaum noch etwas". 30 Prozent weniger Wasser in den letzten beiden Jahren: "Eine Katastrophe bahnt sich an!" Selbst im Winter sei der Irak jetzt eine gelbliche Wüste, voll Staub und Sand.

Zum ersten Mal seit dem Sturz Saddam Husseins nehmen auch irakische Klimaexperten und Wasserspezialisten an der internationalen Klimakonferenz in Kopenhagen teil und präsentieren neueste Zahlen.

Es sei höchste Zeit, sagt Abdullah, sich mit anderen auszutauschen und auf die Problematik im Irak hinzuweisen. Seit 1968 arbeitet der graumelierte Iraker mit Wasser. Zunächst in Naserija, seiner Heimatstadt im Südirak, dann in Basra als Chef des Amtes für landwirtschaftliche Bewässerung.

Dämme bauen – oder Kriege führen

Jetzt holte ihn der kurdische Wasserminister nach Bagdad. Experten sind Mangelware im Irak nach dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins. "Das Problem für uns heute ist die Notwendigkeit, völlig umzudenken", erklärt Abdullah seine schwierige Aufgabe.

Während das Ziel der Wasserbehörden lange Jahre darin bestand, die Bevölkerung vor Fluten zu schützen, gilt es jetzt, den Mangel zu verwalten. Das letzte Abkommen mit den Anrainerstaaten von Euphrat und Tigris, der Türkei, Syrien und dem Iran, liegt 63 Jahre zurück. "In der Zwischenzeit haben diese Länder jede Menge Dämme gebaut und wir Kriege geführt."

Wie dramatisch die Situation ist, lässt sich schon bei einem Spaziergang über die Tigris-Brücken in der irakischen Hauptstadt erkennen. Selbst im Frühjahr, wenn in bisherigen Jahren die Schneeschmelze aus den kurdischen Bergen immer die Flussbetten gefüllt hatte, traten dieses Mal in der Flussmitte bloß riesige Sandbänke hervor.

Der Wasserstand ging im Laufe des Jahres immer weiter zurück. Ibrahim hat Angst, dass der Fluss einmal gänzlich austrocknen könnte. Der 45jährige Bagdader hat mit seinem kleinen Motorboot Ausflüge auf dem Wasser angeboten und seine Frau und drei Kinder davon ernährt. Bis vor sechs Jahren der Terror kam: "Dann stand alles still."

Jetzt, seitdem die Situation sich etwas entspannt und er sein Boot wieder flott machen könnte, fehlt das Wasser. Er müsse ganz vorsichtig sein, um nicht auf Grund zu laufen, sagt er leise. "Als ob wir nicht schon genug gelitten hätten!"

Dramatische Folgen des Klimawandels

Wie das irakische Wasserministerium im September mitteilte, gibt es bereits die ersten Dürre-Flüchtlinge. Die Menschen fliehen vom Land in die Städte.

Schon jetzt seien 696.000 Hektar Agrarland völlig ausgetrocknet, sagt Muhammad Amin Fars, Direktor der Abteilung landwirtschaftliche Bewässerung im Wasserministerium der kurdischen Regionalregierung im Nordosten Iraks, wo der Tigris über die Grenze aus der Türkei fließt.

Vertrocknete Reisfelder im Iran; Foto: &amp;copy Mehr
Die extreme Dürre traf in diesem Jahr auch den Iran. Sowohl im Süden als auch im Norden des Landes fiel der Niederschlag ungewöhnlich niedrig aus: Vertrocknete Reisfelder in der Provinz Mazandaran.

​​Sollte die gegenwärtige Situation anhalten, so die irakische Tageszeitung Al Sabah, würde bis zum Jahre 2030 Zweidrittel der besiedelten Gebiete im Zweistromland infolge von Dürre und Wassermangel unbesiedelt sein. Der biblische Garten Eden wäre ausgetrocknet.

Der Wasserexperte des Klimaforschungsinstituts Potsdam, Holger Hoff, geht allerdings nicht davon aus, dass der Irak eine 20jährige Dürre erlebt.

"Zumeist wurden bislang in der Region Dürren, die sich über ein bis einige Jahre erstreckt haben, dann wieder von feuchteren Jahren abgelöst." Gleichwohl glaubt der Forscher, dass Klimavariabilität und damit auch Intensität, Dauer und Häufigkeit von Dürren mit dem Klimawandel aller Wahrscheinlichkeit nach weiter zunehmen werden.

Kampf an zwei Fronten

Aun Abduallah muss also an zwei Fronten kämpfen. "Zum einen müssen wir sparsamer mit der knapp gewordenen Ressource umgehen." Die Menschen müssten begreifen lernen, dass sie nicht mehr Wasser im Überfluss verbrauchen können.

"Es sind nicht mehr die Fluten, die uns bedrohen, sondern der Mangel." Dieses Umdenken geschähe nicht von heute auf morgen, meint der Wasserexperte.

Das seien unter Umständen langwierige Denkprozesse, die angestoßen werden müssen. Und zum anderen müsse das Wasser dringend auch politische Priorität bekommen.

"Es kann nicht sein, dass wir Verträge mit der Türkei abschließen, riesige Investitionen in Partnerschaft mit Ankara tätigen und die drehen uns durch ihre Dämme buchstäblich den Hahn zu."

Irakischer Junge füllt Plastikbehälter mit Wasser auf; Foto: DW TV
Wasser als knappe Ressource: Nach Einschätzung des Generaldirektors der Abteilung Ressourcenmanagement im Bagdader Wasserministerium, Aun Abdullah, ist Wasser im Irak bereits teurer als Öl.

​​Mit Iran geschehe das gleiche. Von dort fließen die Nebenflüsse in den Tigris. Mit dem Euphrat sei es sogar noch schlimmer. An ihm hätte die Türkei bereits fünf Dämme gebaut, Syrien zwei. 90 Prozent seines Wasservolumens würden in der Türkei verbraucht, bevor der Fluss Syrien erreiche.

Von ehemals 28 Milliarden Kubikmetern jährlich, bekäme der Irak vom Euphrat derzeit nur noch 13 Milliarden Kubikmeter. Wobei der Fluss traditionell zur Bewässerung der Landwirtschaft dient, während der Tigris das Trinkwasser liefert.

"Wasser ist bei uns schon teurer als Öl", seufzt Abdullah vielsagend. Und tatsächlich: Derzeit kostet eine Flasche importiertes, türkisches Mineralwasser im Irak etwa 40 Euro-Cent, während ein Liter Öl für weniger als 20 Euro-Cent gehandelt wird.

"Von Kriegen haben wir genug!"

Mittlerweile haben Iraks Politiker die Brisanz des Themas erkannt und die Regierung will nun verstärkt auf regionale Kooperation für die Verteilung der immer knapper werdenden Wasserressourcen drängen.

Bagdad will erreichen, dass die beiden Nachbarn Türkei und Iran künftig doppelt soviel Wasser für den Irak freigeben, wie jetzt. Allerdings, so ist aus den Reihen der irakischen Parlamentarier zu hören, sind hier handfeste wirtschaftliche Interessen im Spiel.

So würde die Türkei als Gegenleistung eine Beteiligung am Ölgeschäft fordern, und der Iran möchte eine extensive landwirtschaftliche Entwicklung im Irak verhindern.

Für den östlichen Nachbarn ist das Zweistromland ein lukrativer Absatzmarkt für seine Agrarprodukte. Doch habe der Iran bereits Entgegenkommen gezeigt, berichtet Azad Aslan von der Salahuddin Universität im kurdischen Erbil.

Als der Alwan-Fluss, der nördlich in der Provinz Dijala aus Iran kommend nach Kanaquin fließt, letzten Sommer austrocknete, öffnete der Nachbar seine Dämme und ließ 20 Tage lang zusätzlich Wasser in den Irak fließen.

Allerdings, so der Wissenschaftler, müsse dringend eine dauerhafte Lösung gefunden werden, um die Spannungen nicht eskalieren zu lassen. Zunehmender Wassermangel, wie die Weltbank prophezeie, würde Zündstoff für Konflikte und sogar mögliche Kriege in der Region bergen. "Von Kriegen haben wir aber genug!"

Birgit Svensson

© Qantara.de 2009

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