"Gewalt hat nichts mit dem Islam zu tun"

Malaysia förderte in den letzten Jahren die Islamisierung der Gesellschaft. Die malaysischen Islamaktivisten Hatta Ramli und Farid Shahran sprechen mit Anna Zwenger über Demokratie, die Islamisierung und über ihre Erfahrungen mit Europa. Beide waren Teilnehmer der von Farish Noor in Berlin organisierten Studien- und Lehrreise für Islamaktivisten aus Malaysia und Indonesien.

Malaysia förderte in den letzten Jahren die Islamisierung der Gesellschaft. Die Beziehung zu anderen Religionen in dem multi-religiösen wie multi-ethnischen Land wird dabei viel diskutiert. Die beiden malaysischen Islamaktivisten Hatta Ramli und Farid Shahran sprechen mit Anna Zwenger über Demokratie, die Islamisierung Malaysias und über ihre Erfahrungen mit Europa.

Dr. Hatta Ramli; Foto: Anna Zwenger
Dr. Hatta Ramli ist führendes Mitglied der malaysischen Oppositionspartei Parti Islam Se-Malaysia (PAS), die für eine Islamisierung der malaysischen Gesellschaft eintritt

​​Dr. Ramli, Ihre Partei war die erste Oppositionspartei im unabhängigen Malaysia. Wie beurteilen Sie die Demokratie in Malaysia, für welche demokratischen Werte steht Ihre Partei?

Hatta Ramli: Meine Partei formierte sich bereits vor der Unabhängigkeit. Von Anfang an akzeptierten wir die Tatsache, dass dieses Land einen demokratischen Ansatz haben wird. Wir nahmen und nehmen an den Wahlen teil, wir praktizieren die Demokratie also.

Wir glauben an die Meinungsfreiheit, an die Menschenrechte und an das Wahlrecht. Man kann also sagen, wir stehen für demokratische Werte, wir sind eine demokratische Partei!

Dr. Shahran, kann eine islamische Organisation wie die Muslimische Jugendbewegung von Malaysia (Angakatan Belia Islam Malaysia, ABIM) eine prägende Rolle im Hinblick auf soziale Veränderungen, Reformen und den demokratischen Prozess spielen?

Dr. Farid Shahran; Foto: Anne Zwenger
Dr. Farid Shahran ist Mitglied der malaysischen Nichtregierungsorganisation Angakatan Belia Islam Malaysia / Muslim Youth Movement of Malaysia (ABIM), die sich im Bildungs- und Sozialbereich für die Verbesserung der Zivilgesellschaft einsetzt

​​Farid Shahran: Meine Organisation ist eine Nichtregierungsorganisation, wir sind keine Partei. Trotzdem sind wir stark involviert in den Prozess, die Zivilgesellschaft zu entwickeln. Wir organisieren Seminare und Konferenzen und engagieren uns im sozialen Sektor. Wir sind im ganzen Land aktiv, senden unsere Mitarbeiter zu bedürftigen Menschen, und wir sind im Bildungssektor tätig.

All dies stärkt unserer Meinung nach demokratische Werte. Dazu wollen wir auf der Basis unserer religiösen Werte beitragen.

Sind Sie mit den Ergebnissen Ihrer Arbeit zufrieden?

Shahran: Ja, sehr. Wir erleben immer wieder Erfolge und haben das Gefühl, viele Menschen mit unseren Programmen zu erreichen. Aber natürlich haben wir auch viele Probleme, allen voran die Finanzen. Wir bekommen keinerlei staatliche Förderung und hängen von Mitgliedsbeiträgen und Spenden ab.

Trägt in einer pluralistischen Gesellschaft wie Malaysia, in der viele Religionen nebeneinander existieren, nicht die Islamisierung der Politik zu einer Spaltung der Gesellschaft bei?

Ramli: Gesellschaften sind immer gespalten, z.B. entlang von ökonomischen Linien. Aber vor allem gibt es die religiösen und ethnischen Grenzen. In Malaysia haben wir allerdings noch keine größeren religiösen Konflikte erlebt, aber wir hatten 1969 ethnisch bedingte Ausschreitungen. Verantwortlich dafür war das enorme ökonomische Ungleichgewicht.

Als islamische Partei haben wir keine Spaltung vorangetrieben. Wir kämpfen für die Wählerstimmen von Muslimen genauso wie von Nicht-Muslimen.

Shahran: Ich denke nicht, dass wir die Gesellschaft spalten. Die Werte, für die wir stehen und die unserer Arbeit zugrunde liegen, sehen wir als universal gültig an. Sie gelten für Muslime genauso wie für Menschen anderer Religionszugehörigkeit.

Natürlich bleibt unser Hintergrund immer der Islam, aber wir versuchen niemanden von unserem Glauben zu überzeugen oder zu Feindschaften beizutragen. Wir wollen das menschliche Zusammenleben verbessern, und zwar unabhängig vom Glauben.

Es gibt viele Vorurteile gegen die Islamisierung der Gesellschaft, besonders durch die Rhetorik des "Kriegs gegen den Terror". Dr. Shahran, sehen Sie sich als islamische Bewegung ungerecht kritisiert oder eingeschränkt, sowohl von nationaler wie internationaler Seite?

Shahran: Durch Vorurteile sowohl in westlichen Medien, aber auch in nationalen Auseinandersetzungen existiert die Tendenz, alle Muslime zu stereotypisieren. Gewalt hat nichts mit der Ideologie des Islam zu tun.

Es gibt viele Gründe, warum sich Radikalismus und Terrorismus entwickeln, aber das hat immer politische Hintergründe und keine religiösen. Manche islamischen Gruppen setzen leider die Konflikte mit der Religion und dem Glauben in Verbindung.

Auch wir spüren die Vorurteile, Furcht und Skepsis werden auf uns projiziert. Aber wir sind nicht extremistisch und haben als islamische Organisation mit unserer Arbeit eigentlich keine Probleme.

Kann Malaysia als religiös pluralistisches Land und mit islamischem Staatsmodell trotzdem säkulare Strukturen aufbauen?

Ramli: Das aktuelle System funktioniert. Und wir glauben nicht, dass Säkularisierung richtig ist. Wir wollen mit religiösen Menschen arbeiten und leben, wir glauben, dass dies ein Wertesystem schafft, das für unsere Politik unerlässlich ist.

Shahran: Der Islam kann mit jeder Religion existieren, das ist das Prinzip der Religion. Wir konzentrieren uns darauf, die Gemeinschaft der Muslime zu stärken. Das heißt nicht, dass wir andere schwächen wollen, wir wollen auch zu besserem Verständnis beitragen, aber nicht zu einer Säkularisierung des Systems.

Welche Erfahrungen haben Sie in Bezug auf den Dialog zwischen islamischer und nicht-islamischer Welt gemacht?

Shahran: Für mich bedeutet Dialog nicht nur, Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Es gibt große Unterschiede in der Interpretation von Religion und Religiosität. Im Westen sieht man Religion als etwas Persönliches, für uns Muslime handelt es sich aber um eine Lebensweise. Daher greift der Islam in alle Lebensbereiche ein. Ein Dialog muss daher die Unterschiede zum Inhalt haben, nur so kann er wirklich Früchte tragen.

Sie haben in Deutschland engen Kontakt zu einer westlichen, einer europäischen Gesellschaft aufgenommen. Was haben Sie für einen Eindruck von dieser Gesellschaft?

Ramli: In Deutschland als Teil von Europa wird ein starkes Gefühl der Solidarität spürbar, das "Europäische-Union-Gefühl". Gleichzeitig schlägt uns Furcht vor dem Islam und der Scharia entgegen, die Menschen fürchten unsere politischen Ambitionen.

Aber Deutschland sucht ernsthaft den Dialog, nicht zuletzt, weil es hier innere Spannungen mit Muslimen gibt. Auch die Türkei als muslimisches Land kann zu diesem Dialog beitragen, das wird zu wenig diskutiert.

Shahran: Deutschland und die Europäische Union werden von vielen Muslimen als Hoffnung gesehen, der Supermacht USA ein Gegengewicht zu bieten. Deutschland sollte die religiösen und kulturellen Probleme mit den Muslimen im Land überwinden.

Das Interview führte Anna Zwenger

© Qantara.de 2006

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