Hoffen auf neue Finanzspritzen

Auf der zweitägigen Afghanistan-Konferenz in Berlin wird es auch um die Finanzierung des Wiederaufbaus gehen. Ein strittiges Thema, denn zwischen den Erwartungen Afghanistans und der bisherigen Zahlungsbereitschaft der Geberländer klafft eine deutliche Lücke. Näheres von Said Musa Samimy

Auf der zweitägigen Internationalen Afghanistan-Konferenz in Berlin wird es auch um die Finanzierung des Wiederaufbaus gehen. Ein strittiges Thema, denn zwischen den finanziellen Erwartungen Afghanistans und der bisherigen Zahlungsbereitschaft der Geberländer klafft eine klare Lücke. Näheres von Said Musa Samimy

Foto: AP
Geberkonferenz für Afghanistan in Tokio, Januar 2002

​​Der internationalen Gemeinschaft war von Anfang an klar, dass die eigentliche Unterstützung für Afghanistan erst nach Vertreibung des Taliban-Regimes und der mit ihm verbündeten El-Kaida-Kämpfer beginnen würde. Das Land war nach Jahrzehnten der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft völlig abgewirtschaftet. Ohne kräftige und dauerhafte internationale Unterstützung konnte und kann Afghanistan nicht zu Frieden, Stabilität und bescheidenem Wohlstand kommen.

Vielmehr bestünde eine ernstzunehmende Gefahr, dass das Land erneut zum Rückzugsgebiet für Terroristen werden könnte. Der Wiederaufbau der völlig zerstörten Infrastruktur, die Demobilisierung von Hunderttausenden Mudschaheddin, die Bewältigung der Last von Millionen afghanischer Flüchtlinge - als dies zusammen galt von Anfang an als Herkulesaufgabe, die die alleinigen Kräfte der afghanischen Interimverwaltung weitaus überfordern würde.

Finanzielle Versprechen nicht eingelöst

Um möglichst schnell und effektiv Aufbauhilfe zu leisten, wurde im Januar 2002 in Tokio eine internationale Geber-Konferenz abgehalten. Teilnehmer waren Vertreter aus insgesamt rund 60 Staaten sowie über 20 Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO). Am Ende der zweitägigen Konferenz standen finanzielle Zusagen über insgesamt 4,5 Milliarden US-Dollar. Allerdings ist bisher nur ein Bruchteil davon auch tatsächlich überwiesen worden.

Um Geld geht es natürlich auch auf der Konferenz in Berlin. Erwartet werden über 60 Delegationen, darunter Vertreter aus allen EU-, G8- und NATO-Staaten sowie den Nachbarländern Afghanistans. Man will in Berlin auch finanziell die Weichen für die weitere Entwicklung Afghanistans stellen. Die afghanische Regierung selbst reist durchaus mit konkreten finanziellen Erwartungen nach Berlin.

Zusätzliche Kosten für den Wiederaufbau

Der Minister für Wiederaufbau, Mohammad Amin Farhang, bezifferte die erforderlichen zusätzlichen Investitionshilfen der internationalen Staatengemeinschaft in den kommenden fünf Jahren auf rund zehn Milliarden US-Dollar. Ein Mehrbedarf von zwei Milliarden pro Jahr:

"Laut neuesten Berechnungen müsste Afghanistan jährlich bis zu vier Milliarden US-Dollar für seinen Wiederaufbau ausgeben. Hierzu verweise ich auf die Äußerungen der deutschen Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit, die einen geschätzten zusätzlichen Bedarf von jährlich bis zu zwei Milliarden Dollar für die Verwirklichung der Entwicklungsprojekte in Afghanistan genannt hat. Wenn man zu dieser Summe die jährliche Sonderhilfe der USA über zwei Milliarden Dollar hinzuzählt, beläuft sich der benötigte Gesamtbetrag auf etwa vier Milliarden US-Dollar pro Jahr", erklärte Farhang.

Zwischen den finanziellen Erwartungen Afghanistans und der bisherigen Zahlungsbereitschaft der internationalen Gemeinschaft klafft demnach pro Jahr eine Lücke von zwei Milliarden US-Dollar.

Kabuls neues Entwicklungskonzept

Afghanistans Regierung begründet seine Forderung nach mehr Geld mit seiner neuen Entwicklungsstrategie: Man benötige zusätzliche Mittel, weil es inzwischen nicht mehr ausreiche, nur die elementaren Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Genauso wichtig seien künftig der Aufbau einer funktionierenden Infrastruktur und Maßnahmen zur Etablierung einer Zivilgesellschaft in Afghanistan.

Tatsächlich fehlt es aber auch heute noch oft am Nötigsten. Afghanistan musste 2002 und 2003 die Rückkehr von rund drei Millionen Flüchtlingen aus Pakistan und Iran verkraften.

Nach UN-Schätzungen leben immer noch 60 bis 80 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsschwelle. Das heißt, ihnen steht pro Tag weniger als ein US-Dollar für den Lebensunterhalt zur Verfügung. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt nur knapp über 40 Jahren, über 50 Prozent der Kinder unter 5 Jahren sind unterernährt.

Immerhin: Durch die internationale Unterstützung gibt es langsam erste kleine Anzeichen für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage. Zugleich jedoch muss sich die afghanische Regierung um Infrastrukturmaßnahmen kümmern, die ebenfalls viel Geld verschlingen dürften.

Das Spektrum dieses Vorhaben erstreckt sich vom Straßen- und Brückenbau über die Instandsetzung traditioneller Bewässerungsanlagen bis hin zur Förderung der Landwirtschaft.

Wiederaufbau-Minister Farhang gibt sich optimistisch, dass die internationale Gemeinschaft das Entwicklungskonzept der afghanischen Regierung unterstützen werde. Der wirtschaftliche Aufbau sei schließlich ein unverzichtbarer Bestandteil bei der Schaffung von Sicherheit und Stabilität, die sein Land dringend benötige:

"Wir wollen eine umfassende und angemessene Wiederaufbauarbeit leisten. Deswegen tragen wir unsere Erwartungen vor und weisen auch auf die internationalen Verpflichtungen hin. Ich bin sicher, dass wir auf der Berliner Konferenz letzten Endes einen Kompromiss finden werden", so Farhang.

Afghanistans Regierung selbst hat allerdings inzwischen die hohen finanziellen Erwartungen an die Geberländer deutlich relativiert. Finanzminister Ashraf Ghani signalisierte, dass er als Kompromiss auch mit 60 Prozent der geforderten Finanzmittel leben könne.

Said Musa Samimy

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004