Arabische Meinungswüsten

Die arabischen herrschenden Eliten reden zwar viel von demokratischen Reformen, befördern sie aber nicht. Im Gegenteil: Sie versuchen mit allen Mitteln, die neu gewonnene Medienfreiheit zu beschneiden. Amr Hamzawy analysiert den Umgang arabischer Herrscher mit unliebsamen Medien.

Symbolbild: Medien im arabischen Raum; Foto: AP Graphics/DW
Die neu gewonnene Medienfreiheit im arabischen Raum ist unter Beschuss.

​​In der arabischen Welt ist der kritische Journalist schnell weg vom Bildschirm. Anfang April hat die ägyptische Regierung dem arabischen Satellitensender Dialog aus London die Sendelizenz entzogen.

Angeblich habe der Sender den gesellschaftlichen Frieden gefährdet - tatsächlich wollte das Regime die Ausstrahlung einer Talkshow verhindern, in der die ägyptische Regierung häufig kritisiert wurde.

Bereits im Februar unterzeichneten die Informationsminister der Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga ein Abkommen zur "Organisation der Satellitenübertragung im arabischen Raum". Der von Ägyptern und Saudis ausgearbeitete Beschluss ermöglicht den Regierungen, hart gegen unliebsame Satellitensender vorzugehen.

Der Vorgang wirft ein grelles Licht auf den Stand der Demokratie in der arabischen Welt: Er zeigt, wie gut es der Mehrheit der arabischen Regime gelingt, die Instrumente ihrer autoritären Herrschaft stets zu erneuern und zu modernisieren.

Wenig demokratische Fortschritte

Treffen Arabische Liga; Foto: picture alliance/dpa
Die Arabische Liga ist sich einig: Kritischer Journalismus ist unerwünscht.

​​Tatsächlich hat die Demokratie zwischen Kairo und Maskat in den vergangenen Jahren wenig Fortschritte gemacht. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Arbeitslosigkeit und Armut spielen eine Rolle, genauso wie die Schwäche der Akteure, die die Demokratisierung vorantreiben müssten.

Denn freiwillig werden die Herrscher ihre undemokratischen Regime niemals erneuern. Sie müssen dazu gezwungen werden. Entweder durch eine Mittelklasse, die für ihre bürgerlichen und politischen Rechte kämpfen will, oder durch demokratische Bewegungen, die breite Unterstützung im Volk genießen.

Doch viele arabische Regime verbieten es Oppositionsparteien und Bewegungen, zu demonstrieren und ihre Wähler zu den Wahlkabinen zu bringen. Sollten sie doch einmal bei Wahlen zu Erfolgen kommen, wird das Abstimmungsergebnis durch Fälschung korrigiert. Die Unterdrückung durch Geheimdienste betoniert die Macht der herrschenden Klasse und sorgt für ein Klima der Angst und politischen Apathie.

Arabische Satellitensender im Visier

Arabischer Fernsehsender El Arabiia in Dubai; Foto: picture alliance/dpa
Kritische Berichterstattung erreicht oft nur die Elite.

​​In diesem schwierigen Umfeld haben es die populären arabischen Satellitensender seit den neunziger Jahren geschafft, das Informationsmonopol arabischer Regime infrage zu stellen und weiten Teilen der Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, sich selbst frei zu äußern und unabhängige Meinungen zu hören.

Denn selbst in den wenigen Ländern, in denen Informationsfreiheit und freie Meinungsäußerung an der Tagesordnung waren, wie etwa im Libanon vor dem Bürgerkrieg (1975 bis 1990) und in Kuwait in den liberalen achtziger Jahren, sprang der Funke nicht auf die Masse der arabischen Gesellschaften über.

Auch die inzwischen pluralistische Landschaft der überregionalen Tages- und Wochenzeitungen bietet nur einer belesenen Minderheit Meinungsvielfalt.

Al-Dschasira, Vorreiter der Medienrevolution

Erst mit der Gründung von al-Dschasira im Jahre 1996 und weiteren 400 arabischen Satellitensendern begannen in der Wüste der arabischen Informationsdespotie Oasen der Meinungsfreiheit aufzublühen.

Die neuen Sender durchkreuzten die offizielle Zensur und konfrontierten die arabischen Zuschauer mit einer bis dahin unbekannten Vielfalt an Informationsquellen, Meinungen und ideologischen Deutungen. Da sich die Satellitensender den herkömmlichen staatlichen Zensurinstrumenten entzogen hatten, reagierten die arabischen Regime äußerst unterschiedlich.

al-Dschasira Fernsehstudio in Doha; Foto: picture-alliance/dpa
Mit der Gründung von al-Dschasira 1996 kam es zu einem Boom an Satellitensendern.

​​Die ägyptische und die jordanische Regierung etwa gewährten den Sendern Übertragungsrechte vom jeweiligen Territorium, setzten aber gleichzeitig ihr Repressionsarsenal ein: polizeiliche Überwachung des Personals, Einschränkung der journalistischen Bewegungsräume, Verhaftungen. Länder wie Syrien und Tunesien erschwerten mehreren Sendern die Arbeit vor Ort, indem sie keine Korrespondentenbüros zuließen und auf jeden kritischen Bericht mit staatlich geleiteten Medienkampagnen reagierten.

Die herrschenden Dynastien der arabischen Halbinsel verließen sich dagegen ganz auf die Kraft ihrer Petrodollars. Als maßgebliche Geldgeber der größten Sender verhinderten sie negative Berichterstattung.

So unterschiedlich die arabischen Regime reagierten, hatten sie doch ein gemeinsames Ziel: die neu gewonnene Medienfreiheit zu beschneiden. Was immer sie auf nationaler Ebene taten, sie konnten die Medien nicht vollständig gängeln. Deshalb bedurfte es eines überregional legitimierten Kontrollwerkzeugs, das diese Lücken im System schließen sollte.

Drakonische Maßnahmen

Das vor einigen Wochen unterzeichnete Abkommen der Arabischen Liga zur Satellitenübertragung spricht hier eine klare Sprache: Es verbietet den Satellitensendern, "den nationalen Stolz arabischer Länder und Völker zu verletzen sowie die Führer und nationalen Symbolfiguren anzugreifen".

Den Sendern wird außerdem auferlegt, "die Souveränität der arabischen Staaten zu achten, nicht gegen den gesellschaftlichen Frieden zu agieren und die arabische Identität zu schützen".

Logo Katar Medien al-Dschasira in Doha; Foto: AP
Die Medien und ihre Macher sind unter permanenter Beobachtung.

​​Obwohl sich die unterzeichnenden Regierungen dazu verpflichten, die Informationsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung zu schützen, wird im letzten Artikel des Abkommens ausdrücklich das Recht zugestanden, den Sendern, die die Bestimmungen des Abkommens nicht achten, die Lizenz zu entziehen und ihre Mitarbeiter juristisch zu verfolgen.

Die drakonischen Maßnahmen zeugen von einer seltenen Einmütigkeit in der notorisch zerstrittenen Arabischen Liga. Unter den 22 Mitgliedsstaaten äußerten nur der Libanon und Qatar Vorbehalte. Sonst hat man weniger Gemeinsamkeiten.

Außer beim Umgang mit unliebsamen Medien können sich die Mitgliedsstaaten gerade noch bei der regionalen Sicherheitskoordinierung im Kampf gegen Terroristen und Kriminelle einigen.

Die arabischen herrschenden Eliten reden zwar viel von demokratischen Reformen, befördern sie aber nicht. Sichtbare Fortschritte machen sie nur bei der Modernisierung der riesigen Verwaltungsapparate und der Instrumente ihrer autoritären Herrschaft.

Amr Hamzawy

© Qantara.de 2008

Amr Hamzawy ist Senior Associate für die Politik des Nahen Ostens am US-amerikanischen "Carnegie Endowment for International Peace" in Washington.

Qantara

Interview mit Amr Hamzawy
Kurzer Frühling des demokratischen Aufbruchs
Der renommierte Politikwissenschaftler Amr Hamzawy beschreibt im Gespräch mit Bassam Rizk, weshalb sich die Demokratisierung in der arabischen Welt gegenwärtig in der Sackgasse befindet und warum die dringend nötigen Reformen in der Region nur von innen erfolgen können.

Buchtipp Amr Hamzawy
Politisches Denken in der arabischen Welt
In seinem Buch "Zeitgenössisches politisches Denken in der arabischen Welt" gibt der Nahostexperte Amr Hamzawy Einblicke in die Debatten, welche die arabische Welt bis heute prägen: Diskussionen um Zivilgesellschaft, Globalisierung und islamische Reform. Von Ines Braune

Krise der arabischen Intellektuellen
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Warum gab es in den vergangenen Jahrzehnten, in denen die modernen arabischen Gesellschaften durch totalitäre Machtsysteme geprägt waren, unter den arabischen Intellektuellen keine Persönlichkeit wie Andrej Sacharow? Diese Frage stellt sich der Nahost-Experte Amr Hamzawy.