Koalition gegen Fundamentalisten

Mit der Wahl des Ex-Präsidenten Rafsandschani an die Spitze des Expertenrats in Teheran konnte eine totale Kontrolle des politischen Systems durch die radikal-islamistischen Kräfte abgewendet werden. Von Faraj Sarkohi Mehr ... → Neue Repressionswelle gegen Intellektuelle im Iran

Mit der Wahl des als pragmatisch geltenden Ex-Präsidenten Hashemi Rafsandschani an die Spitze des Expertenrats in Teheran konnte eine totale Kontrolle des politischen Systems durch die radikal-islamistischen Kräfte abgewendet werden. Möglich gemacht hat dies ein Zweckbündnis von religiösen Konservativen, Pragmatikern und Reformern, wie Faraj Sarkohi berichtet.

Iranerin hält ein Bild von Rafsandschani hoch; Foto: dpa
Ex-Präsident Hashemi Rafsandschani konnte bei der Wahl zum Expertenrat die meisten Stimmen für sich verbuchen

​​Die Medien und Kommentatoren, die den deutlichen Sieg Rafsandschanis bei den Wahlen zum Expertenrat als ein Zeichen für die angeblich abnehmende Popularität Ahmadinedschads und des ihn unterstützenden Geistlichen, Ayatollah Mesbah Yazdi, werten, offenbaren nur einen Teil der weitaus komplizierteren politischen Wirklichkeit im Iran.

Bei einer solchen Interpretation der Wahlergebnisse spielt vorrangig der Wunsch der europäischen oder westlichen Staatengemeinschaft eine Rolle, dass Ahmadinedschad mit seiner Politik scheitert und sich die Islamische Republik allmählich in einen moderaten Staat verwandelt.

Die Ergebnisse der drei zeitgleich abgehaltenen Wahlen vom 15. Dezember –die der Wahl des Expertenrats, welche den religiösen Führer bestimmt und dessen Entscheidungen überwacht, die Wahlergebnisse der Stadt- und Gemeinderäte sowie die Resultate der Zwischenwahl zum Parlament – sind zu vielschichtig, um von einer Trendwende oder einem Siegeszug der gemäßigten Kräfte im Iran zu sprechen, wie dies einige westliche Medien behaupten.

Rafsandschani als politischer Dreh- und Angelpunkt

Die 1,5 Millionen abgegebenen Stimmen für Rafsandschani bei der Wahl zum Expertenrat, die ihn an die Spitze der Teheraner Kandidaten setzten, sind wohl eher ein Ausgleich für seine schmerzlichen Niederlagen – sowohl bei den Präsidentschafts-, als auch bei den Parlamentswahlen.

Sie stärken seine Stellung innerhalb der herrschenden Machtstrukturen und festigen seine Position als Dreh- und Angelpunkt der Koalition zwischen den drei Flügeln der traditionalistischen Konservativen, der religiösen Reformer und der religiösen Pragmatiker.

Doch auch die Anzahl der Stimmen von Ayatollah Mesbah Yazdi, der Platz sechs auf der fünfzehnköpfigen Kandidatenliste belegen konnte, ist im Vergleich zu den letzten Wahlen gestiegen. Die Mehrheit der gewählten Mitglieder des Expertenrats aus Teheran und aus den anderen Provinzen des Landes entstammt den Wahllisten der drei Vereinigungen von Geistlichen, die den traditionalistischen Konservativen zuzurechnen sind.

Iranische Männer stehen vor den Wahllisten für die Kommunalwahlen; Foto: AP
Wahllisten der Kommunalwahlen 2006 - auch hier erlitten die religiösen Reformer eine Niederlage

​​Indem sie die Mehrheit im Expertenrat erhielten und bei den Zwischenwahlen zum Parlament einen Sieg erringen konnten, haben die traditionalistisch orientierten Konservativen gezeigt, dass sie ihre Wurzeln innerhalb der Geistlichkeit und im Umfeld der Moscheen bewahrt haben.

Durch ihren Sieg bei den Wahlen zum Expertenrat blieb die gegenwärtige Struktur des Rates, der den religiösen Führer unterstützt, erhalten. Rafsandschani, der mit den meisten Stimmen in den Expertenrat einzieht, bereitet sich schon jetzt darauf vor, auf dem Führungssessel Platz zu nehmen. Der derzeitige Vorsitzende des Expertenrats, Ayatollah Meshkini, wird aller Voraussicht nach – aufgrund seines Alters und schlechten Gesundheitszustandes – zurücktreten.

Der Widerstand der Hardliner

Der Führungswechsel wird jedoch sicherlich nicht reibungslos vonstatten gehen, denn die Fraktion der radikal-islamistischen Kräfte (Usulgera) unter der Führung von Mesbah Yazdi hat ihre Stellung als zweitstärkste Gruppe im Expertenrat bewahren können.

Zudem fällt der Sieg Rafsandschanis bei den Wahlen zum Expertenrat mit dem Scheitern der Koalition aus religiösen Reformern und Pragmatikern bei der Wahl der Stadt- und Gemeinderäte zusammen: Die radikal-islamistischen Kräfte, die Ayatollah Mesbah Yazdi als einen ihrer Ziehväter ansehen, konnten bei dieser Wahl mit über 60 Prozent der Stimmen eine deutliche Mehrheit erzielen. Und damit kontrollieren sie die meisten Stadt- und Gemeinderäte im Iran.

Eins zeigt der Ausgang der Abstimmungen sehr deutlich: Bei der Wahl zum Expertenrat vereinigten sich zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik die drei Regierungsflügel der religiösen Reformer, der traditionalistischen Konservativen und der religiösen Pragmatiker gegen die radikal-islamistischen Kräfte.

Neue Allianzen

Die traditionalistischen Konservativen der ersten Generation der Revolutionsjahre sehen in Ahmadinedschads politischer Agenda, insbesondere in seinem Programm zur Bekämpfung der Korruption, eine Gefahr. In der Hoffnung, den Machteinfluss der radikal-islamistischen Kräfte beschneiden zu können, setzen sie auf Rafsandschani.

Der religiöse Führer Irans: Ayatollah Ali Khamenei; Foto: AP
Favorisierte die Wahl Rafsandschanis: der religiöse Führer Irans, Ayatollah Ali Khamenei

​​Die religiösen Reformer, die in den letzten Jahren bei den Präsidentschafts-, Kommunal- und Parlamentswahlen eine Niederlage nach der anderen einstecken mussten, versuchen nun den Schulterschluss mit Pragmatikern und traditionalistischen Konservativen und akzeptieren nun die Führungsrolle Rafsandschanis.

Einmalig in der Geschichte der Islamischen Republik ist auch, dass der religiöse Führer, Ayatollah Ali Khamenei, der in dem Machtgewinn Mesbah Yazdis und seiner Anhänger eine Gefahr für seine eigene Position sieht, zum ersten Mal offen die Wahl Rafsandschanis favorisierte – eine Strategie, die übrigens auch der ehemalige Präsident Khatami rückhaltlos verfolgte.

Wenn die radikal-islamistischen Kräfte ihre internen Streitigkeiten nicht beilegen können und es Rafsandschani gelänge, die Koalition der drei Flügel zusammenzuhalten – vorausgesetzt er gewinnt die Mehrheit bei den in zwei Jahren anstehenden Parlamentswahlen - wird die politische Landkarte im Iran einen Wandel erfahren.

Außenpolitischer Kurswechsel in Sicht?

Dieser Wandel bedeutet jedoch nicht, dass die iranische Regierung auf die Fortsetzung des Atomprogramms verzichten wird oder Israel offiziell anerkennt. Er könnte jedoch auf internationaler Ebene einen nachgiebigeren Kurs gegenüber den USA sowie hinsichtlich des Nahostkonflikts und des Irakkriegs implizieren und im Inneren eine Stärkung des Privatsektors bedeuten.

Selbstredend sind derartige Veränderungen auch von internationalen Entwicklungen abhängig und in einer Krisenregion wie der des Nahen und Mittleren Ostens schwer voraussagbar.

Rafsandschani hat den Menschen im Iran jedenfalls den Eindruck vermittelt, dass er gegen die Hervorrufung weiterer Spannungen auf internationaler Ebene eintritt. Diese Botschaft spielte bei der Stimmabgabe der Iraner eine wichtige Rolle, die eine politische Isolation ihres Landes, eine zunehmende Verschärfung der wirtschaftlichen Krise und mögliche Militärschläge gegen den Iran befürchten.

Jedoch lässt das Eintreten Rafsandschanis für das Atomprogramm Irans sowie die Unterstützung radikaler palästinensischer Vereinigungen diese Botschaft recht fraglich und als wahltaktisches Manöver erscheinen. Doch zumindest lässt die Stärkung der Position Rafsandschanis die gemäßigten religiösen Kräfte hoffen, ihre Machtpositionen wahren und ausbauen zu können.

Faraj Sarkohi

Aus dem Persischen von Sabine Kalinock

Qantara.de

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