Heikle Vermittlungsmission

Der von der Hisbollah favorisierte neue Ministerpräsident Nadschib Mikati tritt ein schwieriges Amt an. Er muss versuchen, die Vertreter der rivalisierenden Lager an einen Tisch zu bringen. Doch die nächste Runde des innenpolitischen Konflikts scheint vorprogrammiert. Von Birgit Kaspar

Der von der Hisbollah favorisierte neue Ministerpräsident Nadschib Mikati tritt ein schwieriges Amt an. Er muss versuchen, die Vertreter der rivalisierenden Lager an einen Tisch zu bringen, um eine neue Regierung zu bilden. Doch die nächste Runde des innenpolitischen Konflikts scheint vorprogrammiert. Hintergründe von Birgit Kaspar aus Beirut

Saad Hariri (rechts) und Libanons neuer Ministerpräsident Nadschib Mikati; Foto: AP
Machtwechsel im Zedernstaat: Die Regierung unter Saad Hariri war vor eineinhalb Wochen zusammengebrochen, als die Hisbollah und deren Verbündete ihre Minister aus dem Kabinett abzogen.

​​Brennende Reifen auf den Straßen Beiruts sowie der nordlibanesischen Stadt Tripoli. Aufgeregte Jugendliche skandieren "Das Blut der Sunniten kocht!" und "Mit unserer Seele und unserem Blut verteidigen wir dich, Saad!"

Hunderte gingen am so genannten "Tag des Zorns" auf die Straße, als klar war, dass Präsident Michel Suleiman den sunnitischen Geschäftsmann Nadschib Mikati mit der Regierungsbildung beauftragen werde. Abgeordnete der Zukunfts-Bewegung des amtierenden Übergangspremier Saad Hariri hatten zu den Kundgebungen gegen diesen "Coup der Hisbollah" aufgerufen.

Komplexe politische Gemengelage

Der Libanon steckt wieder einmal tief in einer politischen Krise und die Gemengelage ist sehr komplex. Es geht im Kern aktuell um das Hariri-Sondertribunal, das mit Hilfe der UNO 2007 eingesetzt wurde, um das Attentat gegen den ehemaligen Regierungschef Rafik Hariri, den Vater von Saad, aufzuklären.

Hariri Senior und 22 weitere Opfer waren im Februar 2005 bei einer Autobombenexplosion getötet worden. Der Chefankläger des Sondergerichtes in Den Haag legte vor kurzem die erste Anklageschrift vor, die aber bis zur Bestätigung durch den Untersuchungsrichter geheim bleibt. Berichten zufolge werden darin Hisbollah-Mitglieder der Mittäterschaft bezichtigt – ein Vorwurf, den Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah kategorisch ablehnt.

Nasrallah charakterisierte das Hariri-Tribunal als ein israelisch-amerikanisches Komplott gegen seine "Partei Gottes". Deshalb forderte er die libanesische Regierung auf, die Zusammenarbeit mit dem Sondergericht einzustellen.

Als Saad Hariri das trotz saudisch-syrischer Vermittlungsbemühungen, ablehnte, traten elf der mit der Hisbollah verbündeten Kabinettsminister zurück und brachten so die Hariri-Regierung nach 14-monatiger Amtszeit zu Fall. Hariri hatte Medienberichten zufolge dem saudisch-syrischen Kompromisspaket in weiten Teilen zugestimmt, bevor er mit Rückendeckung aus Washington einen Rückzieher machte.

Schwierige Regierunsgbildung

Nun soll der 55-jährige Milliardär aus der Sunnitenhochburg Tripoli, Mikati, ein neues Kabinett zusammenstellen. Denn auf Grund eines ungeschriebenen Gesetzes muss im Libanon der Premier immer ein Sunnit sein, während der Präsident von den Christen und der Parlamentspräsident von den Schiiten gestellt wird.

​​Die Regierungsbildung dürfte nicht einfach werden, meint der Soziologe Talal Atrissi, der der Hisbollah nahe steht. "Aber man kann das Land nicht in einem solchen Vakuum lassen." Mikati, der gute Verbindungen nach Syrien und Saudi-Arabien unterhält, habe die Zustimmung aus Damaskus, Ankara, Teheran, Doha und Paris. Auch der saudische König, dessen Mann eigentlich Saad Hariri ist, habe sich nicht gesperrt. Deshalb stünden seine Chancen nicht schlecht.

Mikati, der sich selbst als einen Mann des Konsenses sieht und nicht als Kandidaten der Hisbollah, erklärte nach seiner Nominierung, er werde allen die Hand reichen. "Ich werde eine Regierung bilden, welche die nationale Einheit und die Souveränität des Libanon schützen wird."

Saad Hariri erklärte jedoch bereits, dass er sich nicht beteiligen werde. Niemand im Libanon hat Zweifel daran, dass eine von Mikatis dringlichsten Aufgaben die Einstellung der Zusammenarbeit mit dem Hariri-Sondertribunal sein wird. Sonst hätte die Opposition, die jetzt die Mehrheit im Parlament stellt, ihn nicht als Premier nominiert, betont der Soziologe Atrissi. "Für die Opposition ist der Bruch mit dem Tribunal das wichtigste."

Danach könne Mikati eine Politik der nationalen Einheit verfolgen, aber erst müsse das Problem mit dem Sondergericht gelöst sein, so Atrissi. Keine einfache Aufgabe, meint der Kolumnist Rami Khouri. "Aber es scheint, als wolle die Mehrheit genau das und wenn sie die Stimmen im Parlament haben, dann werden sie es wohl tun." Mikati werde versuchen, es in einer Weise zu tun, die den innenpolitischen Effekt abfedere, so Khouri.

Imageverlust der Hisbollah

Das Image der Hisbollah in der Region als schiitische aber dennoch überkonfessionell agierende Widerstandsbewegung gegen Israel hat alleine durch den Verdacht, sie könnte in den Hariri-Mord 2005 verwickelt sein, gelitten.

Hisbollah-Anhänger in einem südlichen Vorort von Beirut, Foto: AP
"Falls das Sondergericht in Den Haag glaubhafte Beweise vorlegen kann, dann dürfte das 'saubere' Image der Hisbollah weitere Kratzer erhalten", meint Birgit Kaspar.

​​Sollte das Sondergericht in Den Haag eine Anklage gestützt durch glaubhafte Beweise vorlegen, dann dürfte das "saubere" Image der Schiitenmiliz, die in den USA auf der Terrorliste steht, weitere Kratzer erhalten. Wahrscheinlich nicht in den Augen ihrer zahlreichen treuen Anhänger, aber in den Augen vieler Skeptiker im Libanon und in der Region.

Die Hisbollah will diesen Effekt abmildern, indem der Libanon, also das Land, das um das Hariri-Tribunal gebeten hatte, die Zusammenarbeit einstellt, weil das Gericht seine Glaubwürdigkeit verloren habe. Karim Makdisi, Politologe an der Amerikanischen Universität in Beirut, erklärt: "Die Haltung der Hisbollah ist: Wenn wir die Glaubwürdigkeit und die Legitimität in unserem eigenen Land haben, dann interessiert uns nicht, was die amerikanisch-zionistischen Verschwörer dazu sagen."

Wie Washington und die europäischen Staaten mit einer Mikati-Regierung umgehen werden, die von der Hisbollah maßgeblich unterstützt wird, bleibt abzuwarten. Angesichts der angesehenen Persönlichkeit des designierten Premiers dürfte es schwer fallen, ihn als Marionette zu charakterisieren. Der Telefon-Tycoon aus Tripoli genießt unter den Libanesen eine hohe Glaubwürdigkeit, auch wenn er nicht als der natürliche Sunnitenführer gelten kann.

Tiefe politische Einschnitte

Die Ereignisse der letzten Wochen bedeuten für den Libanon einen tiefen Einschnitt. Seit dem Mord an Rafik Hariri 2005 und seit dem erzwungenen Rückzug der syrischen Schutzmacht kurz darauf wurde der Libanon von einem pro-westlich dominiertem Kabinett regiert, wenn auch mehr schlecht als recht. Wobei die Hisbollah im Hintergrund seit 2008 entscheidenden Einfluss ausübte.

Nun hat die "Partei Gottes" mit ihren Verbündeten weiter an Einfluss gewonnen. "Ich glaube wir befinden uns in einer neuen Ära", sagt Khouri. Dies sei die Konsequenz eines Systems, in dem mit einer Kombination aus militärischer Stärke und Parlamentsstimmen um die Macht gestritten wird. Khouri: "Faszinierend ist, wie dies durch einen sauberen, verfassungsmäßigen Prozess geschehen ist, der einen starken Machtzuwachs für die Hisbollah reflektiert."

Es scheint, als habe Nadschib Mikati, wenn ihm die Bildung einer halbwegs ausgewogenen Regierung gelingt, gute Chancen, die Wogen im Libanon vorübergehend zu glätten. Doch die Kernprobleme des Landes wird er nicht lösen können. Denn die vier Millionen Libanesen, von denen je rund ein Drittel Christen, Sunniten und Schiiten sind, haben Visionen von ihrem Heimatland, die nicht miteinander vereinbar scheinen.

Die Anhänger des pro-westlichen Bündnisses um den Sunnitenführer Saad al-Hariri wünschen sich einen prosperierenden Staat, der ein "Paradies für Geschäftsleute und Touristen" ist.

Die Unterstützer der schiitischen Hisbollah sehen ihre vornehmste Aufgabe darin, den bewaffneten Widerstand gegen Israel fortzusetzen, um – wie sie sagen – die Freiheit des Libanon zu verteidigen und gleichzeitig eine amerikanisch-israelische Vormachtstellung im Nahen Osten zu verhindern. Die Christen sind gespalten. Die nächste Runde des Konflikts ist also vorprogrammiert.

Birgit Kaspar

© Qantara.de 2011

Birgit Kaspar war 2003 Studioleiterin des ARD-Nahoststudios (Hörfunk) in Amman. Heute arbeitet sie als Korrespondentin aus Beirut für das Journalistennetzwerk "Weltreporternet".

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

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