Gegen Korruption und für mehr Transparenz in Afghanistan

Der frühere afghanische Planungsminister, Ramazan Bashardost, kritisiert die Partikularinteressen der ethnischen und religiösen Minderheiten im afghanischen Parlament, die den politischen Willen der Bevölkerung blockieren.

Ramazan Bashardost, &copy bashardost.com
Wenn das Parlament nur seine eigenen partikularen Interessen vertritt, würde dies eine Katastrophe für das afghanische Volk bedeuten, meint Ramazan Bashardost

​​Nach 30 Jahren hat Afghanistan wieder ein frei gewähltes Parlament. Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Herausforderungen, denen man sich in der kommenden Legislaturperiode stellen muss?

Ramazan Bashardost: Die wichtigste Aufgabe besteht natürlich in der Wahl eines Präsidenten. Das Parlament ist aus sehr verschiedenen Lagern zusammengesetzt. Die Taliban stellen einige Abgeordnete, die Mudschaheddin und auch die Kommunisten. Deshalb brauchen wir einen Präsidenten, der zwischen diesen Lagern vermitteln kann und in der Lage ist, die schwierige Situation zu meistern, in der sich unser Land befindet.

Wir brauchen jemanden, dem jeder Abgeordnete vertrauen kann und der nicht einseitig für eine der politischen oder ethnischen Gruppen Partei ergreift. Schließlich muss er auch imstande sein, uns gegenüber der internationalen Gemeinschaft gut zu repräsentieren.

Was ist das größte Problem, das in den nächsten Jahren zu lösen ist?

Bashardost: Die dringlichste Aufgabe, die wir angehen müssen, ist nach meiner Auffassung, die Arbeit des Kabinetts effektiv zu kontrollieren und genau zu prüfen, was es im vergangenen Jahr geleistet hat. Zweitens sollten die Gehälter der afghanischen Beamten erhöht werden. Das Beamtengehalt ist bis jetzt sehr niedrig, umgerechnet etwa 50 Dollar im Monat, was für ein anständiges Leben in diesem Land bei weitem nicht ausreicht.

Ferner ist es unbedingt erforderlich, die Richtung der afghanischen Wirtschaftspolitik zu ändern. Seit der Geberkonferenz 2002 in Tokio setzt sie meiner Auffassung nach die falschen Schwerpunkte. Alles wird dafür getan, Straßen zu bauen und Afghanistan zu einem reinen Transitland zu machen. Dabei wäre es wesentlich klüger, einen großen Damm zu bauen, um die Landwirtschaft zu fördern.

Aber das Ausland hilft doch ungemein beim Wiederaufbau des Landes. Denken Sie, dass das falsch ist?

Bashardost: Es ist in der Tat das erste Mal, dass Afghanistan eine so große Menge Geld bekommt. Zum ersten Mal helfen die USA, Japan, Frankreich und auch Deutschland dem afghanischen Volk. Und es ist tatsächlich auch eine große Hilfe, mit so viel Geld unterstützt zu werden. Wo liegt also das Problem, könnte man fragen. Dieses Geld wird schlichtweg nicht dazu verwendet, die Probleme in diesem Land zu lösen.

Es gibt zu viel Korruption in Afghanistan. Das gilt für bestimmte politische Einrichtungen, aber auch für einige NGOs. Das viele Geld, das Afghanistan erreicht, wird kaum dazu verwendet, um den einfachen Bürgern zu helfen – zum Beispiel dabei, einen Job zu bekommen. Aber auch die Gründung von Universitäten, der Aufbau einer funktionierenden Industrie oder der Bau von Schulen gehen nicht so voran, wie es sein müsste. Es ist wichtig, dass das afghanische Parlament gründlich kontrolliert, wer dieses Geld für welche Zwecke einsetzt.

Wirkliche NGOs gibt es gar nicht in Afghanistan. Dafür wäre es schließlich nötig, dass den armen Leuten wirklich geholfen wird, und dass die Mitarbeiter der NGOs auch unter den einfachen Menschen leben. In Afghanistan aber sind die Büros der NGOs verschlossen und für die einfachen Bürger, die dort um Hilfe bitten wollen, gar nicht zugänglich.

Aber viele Afghanen profitieren doch von der Arbeit der NGOs, weil sie dort einen Job finden können. Fast so, als ob sie für die Regierung selbst arbeiten würden?

Bashardost: Das gilt aber nicht für die wirklich bedürftigen Afghanen; die haben es sehr schwer, eine Arbeit bei den NGOs zu bekommen. Auch wäre es in meinen Augen sehr viel sinnvoller, wenn wir das Geld nutzten, um Arbeitsplätze in der privaten Wirtschaft zu schaffen.

Was würden Sie noch anders machen?

Bashardost: Es geht um einen grundlegenden Wandel in der afghanischen Wirtschaftspolitik. Wenn wir einen großen Damm bauen könnten, hätten wir ausreichend Wasser, um unsere Landwirtschaft nachhaltig zu entwickeln. Viele junge Menschen strömen momentan in die Großstädte, weil sie auf dem Land keine Arbeit finden. Mit einem groß angelegten Bewässerungsprojekt könnten wir unser Land kultivieren und den jungen Menschen eine wirkliche Perspektive bieten und dafür sorgen, dass sie in ihren Dörfern bleiben könnten.

Zum anderen muss der Entwicklung der Privatwirtschaft Vorrang eingeräumt werden. So könnte man im Straßenbau oder durch den Aufbau neuer Schulen zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Außerdem müssen wir die Korruption im Land wirkungsvoll bekämpfen. Viele Afghanen leben noch im Ausland, vor allem im westlichen Ausland. Genauso wie die Ausländer zögern sie aber, ihr Geld in Afghanistan zu investieren, solange die Korruption solche Ausmaße hat.

Glauben Sie, dass das gerade gewählte Parlament über ausreichend Macht verfügt, diese Probleme anzugehen oder denken Sie, dass letztlich doch jeder nur auf seinen eigenen Profit aus ist?

Bashardost: Nimmt man das afghanische Verfassungsrecht als Maßstab, verfügt das Parlament über recht großen Einfluss. Wir können die Arbeit der Regierung kontrollieren und wir haben es beispielsweise auch in der Hand, einen Minister abzulehnen. Schließlich haben wir auch die Kontrolle über den Staatshaushalt.

Alles in allem ist es also sicher kein rechtliches Problem. Möglicherweise aber wird es ein politisches Problem geben. Es wird letztlich darum gehen, ob es dem Parlament gelingt, seine Macht wirklich für das afghanische Volk einzusetzen oder ob es allzu viele politische Rücksichten nehmen muss.

Aber wird das Parlament in Kabul auch mächtig genug sein, um es mit den Warlords in der Provinz aufzunehmen?

Bashardost: Auch im Parlament sitzen einige mächtige Warlords. Die Frage ist also, ob sie für sich selbst oder für das afghanische Volk arbeiten werden. Wenn sie sich besinnen und ihren Einfluss im Sinne des Volkes und der Nation einsetzen, ist es durchaus möglich, dass das Parlament insgesamt eine gute Arbeitet leistet . Wenn sie aber nur ihre eigenen partikularen Interessen und religiöse oder ethnische Minderheiteninteressen vertreten, wird es eine Katastrophe für das afghanische Volk insgesamt sein.

Interview: Rashid Abdul-Ahmad

© Qantara.de 2006

Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Qantara.de

Demokratie in Afghanistan
Erste konstituierende Sitzung des afghanischen Parlaments
Afghanistan hat drei Monate nach den Wahlen erstmals eine Legislative als dritte Gewalt im Staat. Die Arbeit der Abgeordneten wird jedoch nicht einfach sein. Einzelheiten von Said Musa Samimy

Interview Emma Bonino:
"Islam und Demokratie sind vereinbar"
Emma Bonino, Leiterin der EU-Mission zur Beobachtung der Parlamentswahlen vom 18. September in Afghanistan, ist optimistisch, dass die Demokratie im Land am Hindukusch Fortschritte macht - auch wenn der Weg dorthin noch weit erscheint.