Messbare Reformschritte notwendig

Die deutsche Regierung drängt auf eine Lockerung der Sanktionen gegen Usbekistan, da diese keine positiven Resultate gebracht hätten. Doch nach Ansicht von Veronika Leila Szente Goldston habe die EU nicht konsequent genug nötige Reformen von Usbekistan eingefordert.

Die deutsche Regierung drängt auf eine Lockerung der Sanktionen gegen Usbekistan, da diese keine positiven Resultate gebracht hätten. Doch nach Ansicht von Veronika Leila Szente Goldston von "Human Rights Watch" habe die EU nicht konsequent genug nötige Reformen von Usbekistan eingefordert.

Außenminister Steinmeier zu Gesprächen beim usbekischen Präsidenten Karimow in Taschkent; Foto: AP
Thema Menschenrechte nur am Rande der Gespräche: Außenminister Steinmeier beim usbekischen Präsidenten Karimow in Taschkent.

​​Was denken Sie über die Entscheidung der EU von letzter Woche, das Embargo und die Visasperre für Usbekistan zu verlängern?

Veronika Leila Szente Goldston: Die Europäische Union hat die Sanktionen zwar formal verlängert, doch im Grunde ging es lediglich um eine Verlängerung des Waffenembargos um 12 Monate. Das ist die harmloseste aller Varianten und hat höchstens symbolischen Charakter. Schließlich gibt es zwischen der EU und Usbekistan keinen Waffenhandel und so war es auch für Deutschland ein leichtes, diesem Beschluss zuzustimmen.

Dabei gab es schon Berichte, dass die Sanktionen gänzlich fallengelassen werden sollten, und das vor allem Deutschland hierauf besonders gedrängt hätte. Wie kam es Ihrer Meinung nach zu diesen Gerüchten?

Goldston: Sicher trug der Besuch des deutschen Außenministers in Zentralasien und die dazugehörige Berichterstattung in den Medien hierzu bei. Man musste den Eindruck gewinnen, dass der Besuch im Zusammenhang mit der erwarteten Entscheidung über die Sanktionen zu sehen ist.

Die Presseberichte spielten eine positive Rolle, insofern sie den Druck auf die EU-Mitgliedsstaaten hochhielten, an den Sanktionen festzuhalten. Zumindest musste ihnen danach bewusste sein, dass ihre Entscheidung aufmerksam verfolgt wurde und sie nicht einfach im 'stillen Brüsseler Kämmerlein' würden entscheiden können. Die Gerüchte über eine Aussetzung der Sanktionen hingegen kamen durch entsprechende Äußerungen einzelner EU-Beamter zustande.

Das Treffen mit Usbekistan am Vorabend der eigenen Ministerentscheidung resultiert dabei aus einer merkwürdigen Logik: Warum hält man ein Treffen mit Usbekistan auf Ministerebene ab, kurz bevor man sich zwischen den eigenen Ministern auf eine neue Politik gegenüber Usbekistan einigen will? Natürlich wurde das Treffen dementsprechend als Zeichen dafür gesehen, dass die EU Usbekistan entgegenkommen will.

Die Außenminister der EU, die sich auf die Verlängerung der Sanktionen verständigten, stellten zugleich fest, dass sie über die Menschenrechtslage in Usbekistan 'zutiefst besorgt' seien. Was können sie außerdem tun, um zu einer Verbesserung dieser Situation beizutragen?

Goldston: Jede dementsprechende Äußerung ist nur zu begrüßen, doch sind die Schlussfolgerungen, die hieraus gezogen werden, noch immer sehr vage. Schließlich wurde auch darauf verzichtet, Reformschritte von der usbekischen Regierung einzufordern.

Eine unserer dringendsten Forderungen an die EU ist die Formulierung fester Benchmarks, die von der usbekischen Regierung erfüllt werden müssen, und zwar ab sofort bis Februar, wenn die dreimonatige Überprüfungs-Phase abgelaufen sein wird.

Dies ist deshalb besonders wichtig, weil es bei einigen EU-Mitgliedern die Neigung gibt, auch schon die geringsten und vagesten Gesten Usbekistans als Fortschritt zu interpretieren. Deshalb müssen wirkliche, spürbare und vor allem messbare Ziele festgelegt werden, die von Usbekistan erreicht werden müssen, um den EU-Forderungen nachzukommen.

Während seines jüngsten Besuchs in Zentralasien äußerte der deutsche Außenminister Steinmeier, dass er feste Zusagen bezüglich der Abschaffung der Todesstrafe und der Verbesserung der Menschenrechtssituation bekommen hätte.

Goldston: Diese Maßnahme wurde schon 2003 vom UN-Sonderberichterstatter für Folter gefordert. Obwohl die usbekische Regierung durch Verträge daran gebunden ist und obwohl sie es immer wieder versprochen hatte, wurden diese Forderung bis heute nicht umgesetzt.

Wir bekamen auch Berichte, dass die Zusagen durchaus konkreter gewesen wären und eine Vorverlegung der Abschaffung von 2008 auf 2007 versprochen wurde, doch auch das beeindruckt uns wenig. Schließlich ist der usbekischen Regierung schon seit Jahren bekannt, was die internationale Gemeinschaft von ihr erwartet. Gleiches gilt ja auch für systematische Folterungen, zu deren Abschaffung die Regierung bisher keine konkreten Schritte unternommen hat.

Außerdem berichteten Medien - und unsere Gesprächspartner unter den EU-Diplomaten - über die Expertenanhörung zum Thema Andijan (im Mai 2005 wurden dort bei der Niederschlagung massiver Unruhen mehrere hundert Menschen vom Militär und von Sondereinheiten des Innenministeriums erschossen; Anmerkung der Redaktion). Eine solche Anhörung kann jedoch keinesfalls als Ersatz für eine internationale Untersuchung angesehen werden, die von der internationalen Gemeinschaft gefordert wurde und wie sie die usbekische Regierung bis heute ablehnt. Somit ist auch dies eine Maßnahme, die vollkommen unzulänglich ist und in keiner Weise den konkreten Reformen entspricht, wie sie die EU verlangen sollte.

In welche diplomatische Position hat sich Deutschland, als einer der wichtigsten Anwälte internationaler Menschenrechtsinteressen Ihrer Meinung nach begeben? Schließlich geht es um ein Land, das geradezu berüchtigt ist für seine Verletzungen der Menschenrechte.

Goldston: Wir haben das Gefühl, dass Deutschland den Ruf, den es sich über Jahre aufgebaut hat, aufs Spiel setzt, worüber wir sehr besorgt sind. Vor allem sind wir besorgt über den Umstand, dass Deutschland im Januar die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt und was dies möglicherweise für die EU-Menschenrechtspolitik bedeutet. Es geht um ein Thema, das offensiv angegangen werden muss. Wir stehen in ständigem Kontakt mit Beamten des Auswärtigen Amtes in Berlin und auch mit der deutschen Botschaft in Taschkent, was uns hoffen lässt, dass andere EU-Mitglieder den Druck auf Deutschland erhöhen.

Einigen Berichten zufolge geht es Deutschland bei seiner konzilianten Haltung gegenüber Usbekistan vor allem um seinen Luftwaffenstützpunkt im usbekischen Termiz. Was sagt dies Ihrer Meinung nach über die deutsche Außenpolitik aus?

Goldston: Das würde tatsächlich eine sehr negative Botschaft aussenden. Deutsche Offizielle versichern uns zwar ständig, dass Termiz einer offenen Ansprache der Menschenrechtsverletzungen keinesfalls im Weg stünde, doch erscheint es uns doch wenig glaubhaft, dass diese Absichtserklärung wirklich die Basis der deutschen Politik gegenüber Usbekistan sein soll und dass Termiz tatsächlich keine Rolle spiele.

Ein Argument, das von der deutschen Regierung immer wieder vorgebracht wird, ist, dass die Sanktionen zu lockern seien, weil sie bisher zu keinen positiven Resultaten geführt hätten. Ein solches Statement aber entbehrt jeder logischen Grundlage. Der Grund, aus dem die Sanktionen bisher keine Ergebnisse zeitigten, liegt ja schließlich gerade darin, dass die EU nicht konsequent genug vorging, als es darum ging, der usbekischen Regierung konkrete Reformschritte vorzugeben, die sie zu erfüllen hat, damit die Sanktionen aufgehoben werden können.

Aus diesem Grund führen die Äußerungen der deutschen Regierung zu den Sanktionen in die vollkommen falsche Richtung. Schließlich geht es nicht darum, dass Sanktionen und Dialog zwei Optionen sind, zwischen denen sich die EU zu entscheiden hätte.

Die deutsche Regierung hat vielmehr alles in ihrer Macht stehende getan, um die Sanktionen von Anfang an zu unterlaufen. Das begann bereits vor einem Jahr, als sie dem usbekischen Innenminister Zokir Almatow die Einreise nach Deutschland erlaubte - obwohl er ganz oben auf der Visasperrliste stand.

Wie sollten sich die Beziehungen zwischen der EU und Usbekistan Ihrer Meinung nach weiter entwickeln und welche Entwicklung halten Sie für wahrscheinlich?

Goldston: Wir fürchten, dass wenn Deutschland im Februar seinen Willen durchsetzt, die Sanktionen weiter gelockert werden und dass Deutschland sogar bereit ist, noch weiter zu gehen. Deshalb hoffen wir, dass die EU im Februar die Chance nutzt, die bisherige Politik als Fehler zu betrachten und zugleich endlich ernsthafte Reformschritte fordert, die nötig sind, damit die Sanktionen gegen Usbekistan aufgehoben werden können.

Falls die usbekische Regierung diesen Auflagen nicht nachkommen sollte - und das ist ja wahrscheinlich vor dem Hintergrund ihrer bisherigen Weigerungen, die internationalen Forderungen umzusetzen - muss die EU die bestehenden Sanktionen nicht nur verlängern, sondern auch dahingehend ausweiten, dass die bisher darauf fehlenden höheren Beamten der Visasperrliste hinzugefügt werden. Die Auslandsvermögen all derer auf dieser Liste sollten eingefroren werden, um es ihnen unmöglich zu machen, Banken innerhalb der EU zu nutzen.

Neben diesen Maßnahmen muss die EU einen intensiven und wohl überlegten Dialog mit der usbekischen Regierung aufnehmen, in dem sie auf die Durchführung konkreter Reformschritte drängt. Dazu gehören die Freilassungen gefangener Menschenrechtsaktivisten, eine unabhängige Untersuchung durch den UN-Sonderberichterstatter für Folter, die Zulassung von Parteien und Nichtregierungsorganisationen sowie der internationalen Organisationen, die in den letzten zwei Jahren aus dem Land gedrängt wurden.

Außerdem müssen Kontrollen durch die UN und durch andere unabhängige Experten zugelassen werden, die bereits seit langem erfolglos versuchen, in Usbekistan zu arbeiten und immer wieder scheiterten. Dies sind die Schritte, auf die die EU Wert legen sollte, um zu einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage beizutragen. Es muss endlich Schluss damit sein, leere Gesten zu akzeptieren.

Interview: Rachel Ryan

© DW-WORLD.DE/ Qantara.de 2006

Übersetzung aus dem Englischen: Daniel Kiecol

Veronika Leila Szente Goldston ist "Advocacy Director" der Abteilung "Europe and Central Asia Division" der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" und arbeitet in New York.

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