Darf man über Mullahs lachen?

"Früher hatten die Geistlichen einen besonderen Platz im Herzen der Iraner, sonst wäre die Revolution nicht zustande gekommen", erinnert sich der Filmemacher Kamal Tabrizi. "Doch heute ist dieses Vertrauen beschädigt." Ein Porträt von Charlotte Wiedemann

"Früher hatten die Geistlichen einen besonderen Platz im Herzen der Iraner, sonst wäre die Revolution nicht zustande gekommen", erinnert sich der populäre iranische Filmemacher Kamal Tabrizi. "Doch heute ist dieses Vertrauen beschädigt." Charlotte Wiedemann hat den unbequemen Regisseur getroffen.

Kamal Tabrizi; Quelle: isna
Mit seiner bissigen Kino-Komödie "Marmulak"</wbr> (Eidechse) brach Tabrizi im Iran sämtliche Kassenrekorde.

​​ Wie andere angesehene Filmemacher des Iran ist der Regisseur Kamal Tabrizi von der Revolution geprägt. Das mag im ersten Moment überraschen, denn Tabrizi hat vor ein paar Jahren dafür gesorgt, dass im ganzen Iran herzhaft über die Geistlichen gelacht wurde.

In seiner Satire "Marmulak" ("Die Eidechse") flieht ein Dieb als Mullah verkleidet aus dem Gefängnis und spielt nun gaunerschlau den Frommen. Der Film brach alle Kassenrekorde; nach drei Wochen wurde er aus den Kinos verbannt, aber kursierte nun erst recht als DVD.

Kamal Tabrizi ist der Erfolg nicht zu Kopf gestiegen. Der 49-Jährige, ein in Teheran geborener Aserbaidjaner, wirkt angenehm unprätentiös. Ein Mann mit Lachfalten, der genau zuhört und bereitwillig über sein Leben Auskunft gibt.

Revolution und Kinobrand

Als 19-Jähriger war er bei den Anti-Schah-Demonstrationen mit seiner Super-8-Kamera dabei; wenn geschossen wurde, rannte er, um sich selbst und sein Material zu retten.

​​ "Ich kam aus einer traditionell religiösen Familie. Diese Art Religiosität, beten, fasten und alles, was dazu gehört, das war für uns Jüngere nicht besonders attraktiv. Erst an der Universität lernte ich einen Islam kennen, der sich in die Verhältnisse einmischt. Das zog mich an! Religion muss das Leben der Menschen verbessern. Das denke ich auch heute noch."

Vor der Revolution hörte er von seinen Eltern oft: Kino ist kein gesunder Ort für dich! "Kinos galten als schmutzig, quasi als Bordelle. Darum wurden wegen der Revolution Kinos in Brand gesetzt. Aus manchen wurden Moscheen gemacht, um sie zu reinigen. Es gab eine große Kluft zwischen Kino und Geistlichkeit. Und bis heute haben sich manche Leute nicht mit dem Kino versöhnt. Dazu gehört die jetzige Regierung."

Pädagogischer Film

Die islamische Revolution als film- und kunstfeindlich anzusehen, sei trotzdem falsch, sagt Tabrizi. "Wir, die Jungen, lehnten das Schah-Kino ab, weil es meistens flache, billige Unterhaltung war, geistig anspruchslos. Wir wollten einen völlig neuen Stil entwickeln, wir wollten ein Kino machen, das wirklich zum Iran passt. Film sollte erziehen, eingreifen. Wir sahen die Kamera als Werkzeug, um zu zeigen, was die Revolution sein soll."

Unterstützung kam von Khomeini persönlich. Er stellte einen anspruchsvollen Minderheiten-Film aus der Schah-Zeit als Vorbild heraus – eine erstaunlich feinsinnige Entscheidung. "Die Kuh" war in Venedig ausgezeichnet worden: eine metaphorische Tragödie um einen Bauern, den der Verlust seiner einzigen Kuh in den Wahnsinn treibt - er wird selbst zur Kuh.

Anti-Schah-Demonstration am Azadi-Platz in Teheran; Foto: AP
Bei den Demonstrationen gegen den Schah war auch Tabrizi dabei - mit seiner Super-8-Kamera.

​​ Wenn man den Film heute sieht, beeindruckt vor allem die archaische Gewalt des iranischen Dorfes, völlig unberührt von der Modernisierungspolitik des Schah. "Das war der Schlüssel", erinnert sich Tabrizi, "wir konnten loslegen."

Noch während er das Filmemachen lernte, begann 1980 der Irak den Krieg gegen Iran. Am zweiten Kriegstag war Tabrizi schon an der Front, drehte seinen ersten Dokumentarfilm. Kriegsfilme - der westlichen Filmkritik gelten sie als Jugendsünden jener später auf Festivals gefeierten, iranischen Regisseure.

"Ich schäme mich nicht, wenn ich meine frühen Filme ansehe", sagt Tabrizi. "Sie sind einfach gestrickt, aber sie haben etwas Reines. Sie handeln von Menschen, die jeden Tag sterben konnten."

Die Geistlichen haben sich verändert

Die Reinheit – im Verhältnis der Iraner zu ihrer Religion ist sie verloren gegangen. Darum verbarg sich hinter dem Gelächter über Tabrizis Mullah-Komödie auch viel Melancholie.

"Früher hatten die Geistlichen einen besonderen Platz im Herzen der Iraner", sagt der Regisseur, "sonst wäre die Revolution nicht zustande gekommen. Dieses Vertrauen ist beschädigt. Die Gesellschaft hat heute viele Probleme mit den Geistlichen, und sie ist reif genug, sich damit zu befassen."

Bevor "Die Eidechse" in den Kinos anlief, gab es einen Preview für Geistliche. Viele brachten ihre Familien mit, alle waren so neugierig auf den Film. Frauen und Kinder saßen auf einer Seite des Kinosaals, die Mullahs auf der anderen.

An den amüsantesten Stellen des Films wurde auf der Familien-Seite laut gelacht, auf der Kleriker-Seite verbissen geschwiegen. "Das zeigt, wie weit sich die Geistlichen von der Gesellschaft entfernt haben", sagt Tabrizi. "Ich bin ein religiöser Mensch", fügt er hinzu, "heute kaum weniger als zur Zeit der Revolution. Die Geistlichen haben sich geändert, nicht ich."

Charlotte Wiedemann

© Deutsche Welle 2009

Qantara.de

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