Wer vertritt Deutschlands Muslime?

Der Zentralrat der Muslime bekennt sich auf einer Veranstaltung der Heinrich Böll Stiftung und der Muslimischen Akademie zu Grundgesetz und Verfassung. Doch nicht jeden hat das überzeugt. Lennart Lehmann berichtet.

Tag der offenen Moschee , Foto: AP
Tag der offenen Moschee

​​Seit Jahren drängen Muslime in Deutschland darauf, dass von staatlicher Seite aus mehr auf ihre Bedürfnisse eingegangen wird. Etwa durch Islamunterricht in Schulen oder staatliche Ausbildung für Prediger.

Doch nach wie vor sucht der Staat einen repräsentativen Ansprechpartner. Anspruch auf die Stelle erhebt der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD).

Aber nicht nur Verfassungsschützer tun sich schwer, sich mit dem 1994 gegründeten Dachverband anzufreunden: Er habe sich noch immer nicht zufrieden stellend zum Grundgesetz bekannt und repräsentiere außerdem kaum ein Prozent der geschätzten 3,2 Millionen Muslime in Deutschland.

Die Islamische Charta

Vor zwei Jahren landete der ZMD einen medienwirksamen Coup mit der "Islamischen Charta". In dieser Deklaration wollte er Deutschlands Muslime in Gesellschaft und Politik positionieren. An Kritik daran hat es nie gemangelt.

Durch Formelkompromisse versuche der ZMD, heiße Eisen zu umgehen, sagen Kritiker. In Absatz 10 der "Islamischen Charta" steht zum Beispiel: "Das islamische Recht verpflichtet Muslime in der Diaspora, sich grundsätzlich an die lokale Rechtsordnung zu halten."

Fühlen sich die ZMD-Mitglieder also in Deutschland nicht beheimatet? Oder, wie Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung es formuliert: "Was ist dann die Sehnsucht der Muslime?" Er wirft dem ZMD außerdem vor, die Universalität der Menschenrechte anzuzweifeln - die Charta bezeichnet sie als "westlich" und will nur einen "Kernbestand der Menschenrechte" mit der islamischen Lehre vereinbaren.

Wen repräsentiert der ZMD?

Das strukturelle Problem des ZMD ist, dass er für möglichst viele Anhänger des Islam sprechen möchte. Also auch für die, die als besonders konservativ, fromm und aktivistisch gelten. Ihre Anzahl schätzt der Freiburger Islamwissenschaftler Ludwig Amman auf ein Drittel aller in Deutschland lebenden Muslime.

Gerade diesem Drittel bringen aber Staat und Bürger spätestens seit dem 11. September 2001 höchstes Misstrauen entgegen. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Marie Luise Beck (Grüne), weist darauf hin, dass nach wie vor in vielen Moscheen Antisemitismus gepredigt wird und Gelder aus Deutschland an Terrororganisationen in Palästina fließen.

Sogar vom Vorsitzenden des ZMD, dem aus Saudi-Arabien stammenden Dr. Nadeem Elyas, seien Steinigungen von Ehebrecherinnen als "diskutabel" bezeichnet worden.

Unterstützung erfuhr der ZMD zuletzt durch ein Grundsatzpapier der Schura Hamburg, ein Zusammenschluss von 40 islamischen Gemeinden der Hansestadt. Der Vorsitzende der Schura, Milli-Görüs-Mitglied Mustafa Yoldas, sagt, das Papier sei "ein Kommentar zu den Passagen der "Islamischen Charta", wo diese sich nicht konkret äußert."

Etwa zu Geschlechterfragen, Gewalt als politischem Mittel oder Religionsfreiheit. Diese Grundsatzerklärung wurde sogar von Kritikern gelobt. Doch Yoldas, der ebenfalls von Verfassungsschützern beobachtet wird, beklagt, dass es nur wenig Resonanz gefunden hat.

Kontroverse Ansichten

Einen fundamentalen Punkt der Kontroverse berührt eine eher beiläufige Äußerung des Medienberaters des ZMD, Aiman Mazyek: Er setze sich für eine "öffentliche Religion" ein. Das steht konträr zum europäischen Konsens, nach dem Religion Privatsache und im öffentlichen Raum wenig präsent ist.

Auch deswegen schrillen bei Vertretern der Mehrheitsgesellschaft die Alarmglocken, wenn der ZMD "Respektierung islamischer Kleidungsvorschriften in Schulen und Behörden, Beteiligung von Muslimen an den Aufsichtsgremien der Medien, staatlichen Schutz der beiden islamischen Feiertage" fordert.

Yoldas, ansonsten nie zimperlich, den anklagenden Zeigefinger der deutschen Mehrheitsgesellschaft entgegen zu schleudern, räumt ein, Deutschlands Muslime machten zu wenig Öffentlichkeitsarbeit. "Wir haben uns in die Gesellschaft nicht eingebracht."

Mayzek fordert alle Muslime auf, mehr in den eigenen Reihen zu diskutieren. Probleme und Vorstellungen über das Leben in der BRD müssten mal alle auf den Tisch gepackt werden. Immerhin: Die Debatte geht weiter.

Lennart Lehmann

© Qantara.de 2004

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