Eine Frage der Gleichheit

Während Frankreich das Kopftuch aus den Klassenzimmern verbannt hat, schafft Großbritannien neue Religionsschulen. Wieder einmal dreht sich die Bildungsdebatte um den Islam. Von Chris Reynolds

Schüler vor Tafel in Schweriner Grundschule; Foto: dpa
In Deutschland fordern islamische Verbände seit Jahren, Religionsunterricht an öffentlichen Schulen zu erteilen oder zumindest über Lehrinhalte mitzubestimmen.

​​Die Franzosen nennen es "rentrée", die Deutschen "Schulbeginn". Während überall in Europa die Kinder nach den Sommerferien an die Schule zurückkehren, ist ein Thema nach wie vor heftig umstritten.

In Frankreich wurden erst 2004 "auffällige religiöse Symbole" aus den Schulen verbannt, um die den Franzosen heilige Tradition der "laicité", also die Trennung von Kirche und Staat, gegen eine in den Augen der Regierung zunehmende religiöse Bedrohung zu verteidigen.

In Deutschland wird indessen in verschiedenen Ländern diskutiert, ob man an staatlichen Schulen muslimischen Mädchen und Lehrerinnen das Tragen des Kopftuchs verbieten solle. Die Frage, welche Rolle – wenn überhaupt – die Religion an europäischen Schulen spielen soll, sorgt in ganz Europa für Schlagzeilen.

4700 christliche Schulen

In Großbritannien war die Debatte nicht weniger heftig, selbst wenn sie sich nicht um die Trennung von Kirche und Staat drehte. Beide sind im Königreich seit langem eng verbunden, da der Monarch zugleich der "Verteidiger des Glaubens" ist und der Premierminister de facto den Kopf der Anglikanischen Kirche ernennt.

Stattdessen füllt derzeit das Thema Religionsschulen die Zeitungskolumnen. Obwohl solche Schulen in Großbritannien nichts Neues sind – die Kirche von England ist verantwortlich für die Bildung von mehr als einer Million britischer Kinder an mehr als 4700 Schulen – hat die Frage inzwischen neues Gewicht bekommen.

Denn die Regierung Blair möchte nun auch Schulen unterstützen, die andere Religionen vertreten – wie etwa die landesweit 1,5 Millionen Muslime. Die prominente liberale Kommentatorin, Polly Toynbee, drückt es so aus: "Dass eine staatlich etablierte Kirche verfassungsrechtlich absurd ist, erschien früher belanglos. Doch heute zwingt sie dazu, allen anderen Glaubensgemeinschaften dieselben Privilegien einzuräumen."

Das Ergebnis ist die Zunahme vom Staat geförderter islamischer Schulen: Die Regierung plant in den kommenden Jahren, bis zu 100 dieser Schulen in das staatliche Bildungssystem zu integrieren. Zudem will sie in Hillingdon in West-London eine staatliche Schule für Sikhs gründen. Auch eine Schule der Hindus hat grünes Licht erhalten.

Distanz oder Verständigung?

Die jüngst vereitelten Terroranschläge haben erneut die Frage aufgeworfen, wie integriert Großbritanniens ethnische Minderheiten tatsächlich sind und warum einige – wenn auch sehr wenige – britische Muslime zum islamischen Fundamentalismus neigen.

Daneben bezeichnen Kritiker der Regierung, wie etwa die "National Secular Society" (NSS), die Trennung von Schulkindern nach religiösen Gesichtspunkten als einen Schritt in die falsche Richtung. Ihr Direktor, Keith Porteous Wood, argumentiert, dass "die zunehmende Tendenz, Kinder nach der Religion ihrer Eltern zu definieren, Unwissenheit und Misstrauen zwischen den Gemeinschaften verstärkt. Sie werden noch weniger als zuvor die Möglichkeit haben, sich kennen zu lernen."

Keineswegs, erwidern die zuständigen Minister. Die beste Möglichkeit, die Kontrolle über das zu behalten, was die Kinder an religiösen Schulen lernen, sei es, diese in das staatliche Bildungssystem zu integrieren: So könnten sie genauer überwacht werden. Zudem, so betonen sie, werden Austauschprogramme zwischen Religionsschulen helfen, die interkulturelle Verständigung zu fördern.

Dr. Muhammad Mukadam von der "Association of Muslim Schools UK" weist zudem darauf hin, dass Schüler auf Relgionsschulen bessere Noten erzielen als Schüler staatlicher Schulen. Die religiöse Ethik, die solche Schulen fördert, bringe diszipliniertere und konzentriertere Schüler hervor.

Kritiker entgegnen, dies habe weniger mit religiöser Erziehung als mit der Tatsache zu tun, dass Religionsschulen ihre Schüler aussuchen können, staatliche Schulen hingegen nicht.

Doch wie Trevor Phillips, Leiter der "Commission for Racial Equality" argumentiert, laufen die Kritiker der Regierungspolitik Gefahr zu unterstellen, dass "Muslime keine Schulen führen können, so wie es Christen seit Jahrhunderten tun". Solange das bisherige System kirchlich geförderter Staatsschulen nicht abgeschafft wird, stellt sich die Frage, auch anderen Religionen ihre eigenen Schulen zu erlauben.

Ob die Strategie der Regierung Blair im Kampf gegen soziale Ausgrenzung und religiösen Fundamentalismus Erfolg haben wird, bleibt ungewiss. Doch die jüngste Enthüllung eines Terrorplans junger britischer Muslime, zeigt einmal mehr das Ausmaß der Herausforderung.

Das integrative Modell Frankreichs

Die Befürworter der Regierungspolitik verweisen auf das "integrative" Modell in Frankreich, dessen Scheitern sich in den gewaltsamen Unruhen in den Vorstädten Ende 2005 gezeigt habe. Für sie sind diese Unruhen der Beweis dafür, dass die strikte Trennung von Staat und Kirche, so wie der Druck auf die Einwander, staatlich definierte Normen und Werte zu übernehmen, nicht erfolgreicher ist als sein "multikulturelles" Gegenstück in Großbritannien.

Überhaupt ist selbst in Frankreich die Lage weit weniger eindeutig als manche es gerne hätten. Zum "rentrée" ist allein dieses Jahr jedes fünfte französische Kind in eine weitgehend staatlich geförderte katholische Schule zurückgekehrt.

Da nun die säkular organisierte Türkei offizieller EU-Beitrittskandidat ist, wird uns die Debatte, ob religiöse Glaubensvorstellungen wohl noch über das nächste Schuljahr hinaus weiter beschäftigen.

Chris Reynolds

Übersetzung aus dem Englischen: Ulrich Schwerin

© Café Babel 2006

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