Engagement für Glaubwürdigkeit und Transparenz

Auch bei diesen Parlamentswahlen im Libanon sind Stimmenkauf und Wahlmanipulation keine Seltenheit. Um derartige Missstände zu thematisieren, ist ein unabhängiges Beobachterteam jetzt in Aktion getreten. Eine Reportage von Bernhard Hillenkamp

Auch bei diesen Parlamentswahlen im Libanon sind Stimmenkauf und Wahlmanipulation keine Seltenheit. Um derartige Missstände zu thematisieren und das demokratische Bewusstsein der Libanesen zu stärken, ist ein unabhängiges Beobachterteam jetzt in Aktion getreten. Eine Reportage von Bernhard Hillenkamp

Anhänger Hariris vor dem ersten Wahlgang in Beirut, Foto: AP
Steiniger Weg in Richtung Demokratie: Noch immer sind Wahlfälschungen im Libanon keine Seltenheit

​​Drei Millionen Libanesen sind zu den Parlamentswahlen aufgerufen. Viele Plakate mit Köpfen der meist männlichen Kandidaten für die 128 Parlamentssitze schmücken die Strassen. Zu lesen ist meistens nur der Name des Kandidaten, manchmal eine Listenbezeichnung oder seltener die religiöse Zuordnung. Fast nie ist das Emblem einer Partei oder deren Name zu lesen.

Im kleinen Laden von Mohammed S. in Zokak al-Blat in West-Beirut kommt Wahlstimmung auf. Mohamed verkündet: "Ich habe den Jungs von Hariri gesagt, wenn sie wollen – und es zahlen – bringe ich alle meine Kinder aus Deutschland und lasse sie für Hariri wählen."

Reaktion auf politische Frustrationen

Um dagegen vorzugehen hat sich 1996 eine Gruppe von Akademikern, Studenten und Bürgerrechtler zusammengeschlossen und die "Libanesische Gesellschaft für Demokratische Wahlen" (LADE) gegründet.

"Wir wollten aus den Erfahrungen aus Osteuropa lernen", so Karam Karam, früheres Gründungsmitglied und derzeitiger Projektmanager bei den Wahlbeobachtern von LADE.

"Unsere Initiative war auch ein Stück Kompensation für die allgemeine politische Frustration. Das Innenministerium und die politische Eliten manipulierten den demokratischen Prozess. Wir wollten dagegen etwas machen."

LADE will das demokratische Bewusstsein stärken und die Libanesen über ihre politischen Rechte aufklären. Der Weg war und ist noch immer steinig.

Der Staat, vor allem das Innenministerium, war skeptisch und schickte eigene "Beobachter" zu den Wahlbeobachtern, die aber nur über eine kleine NGO in einer alten Stadtvilla an einer belebten Strasse in West-Beirut berichten konnten.

In wahlfreien Perioden arbeitet ein Geschäftsführer für LADE. Derzeit sind jedoch drei Vollzeitkräfte angestellt. In dem kleinen Büro geht es lebhaft zu. Ein junger Druse um die 20 Jahre, in traditioneller Sharwal-Hose und einer Mütze, holt sich gerade eine Liste aller Wahlberechtigten seines Heimatdorfs im Schuf ab.

"Bei uns in den Bergen kommt es zu vielen Unregelmäßigkeiten, viele Wahlberechtigte sind im Ausland, einige sind schon gestorben, aber noch auf der Liste. Dies wird von Walid Jumblat ausgenutzt. Plötzlich kommen fremde Menschen mit den Wahlausweisen und geben 'ihre' Stimme ab!"

Dokumentation und Medienanalyse

Karam erklärt ihm, dass er dies zu Protokoll geben und mit seinem Namen kennzeichnen muss. Ohne rechtskräftige Zeugenaussagen läuft bei LADE nichts. Die Berichte von LADE haben bereits zu vier Nachwahlen geführt.

An den Wahltagen wird es, so schätzt Karam, 500 freiwillige Wahlbeobachter geben. Dazu gehört auch Yara. Sie sitzt am Tisch, liest und schneidet Zeitungsartikel aus. Dies ist Teil eines anderen LADE Projekts: die Beobachtung der Wahlberichterstattung in den Medien.

Yara studiert Politologie an der Libanesischen Universität: "Meine Freunde sind alle politisch organisiert. Ich will mich anders politisch engagieren, deswegen mache ich heute den Einführungskurs für Wahlbeobachter bei LADE mit. An den vier Wahltagen will ich als Freiwillige Unregelmäßigkeiten dokumentieren."

Die Probleme bei den Wahlen sind vielfältig: "Verstorbene und verreiste Wahlberechtigte sind nur ein Aspekt. Die Kandidaten versuchen ihr Möglichstes, um Stimmen zu gewinnen. Das kann oft nicht dokumentiert werden. Im Norden wurden zum Beispiel auffällig viele Baugenehmigungen vergeben. Das kann noch zu einem Thema werden", meint Karam.

Nach den letzten drei Parlaments- und Landtagswahlen hat sich ein Fundus von Aktivisten gebildet. Universitäten, Nichtregierungsorganisationen, aber auch politische Gruppen kooperieren mit LADE, um die meist jungen Freiwilligen vorzubereiten.

Es wurden Büros in allen Landesteilen für zwei Monaten angemietet. Dort werden die Informationen für die Wahlbeobachtung gesammelt und die Freiwilligen ausgebildet.

Nun ist Yara umgeben von fünfzehn meist jungen Leuten, die den Ausführungen zum Wahlgesetz und Wahlprozess lauschen. Es wird viel gefragt und alle müssen noch ein Formular ausfüllen. Danach noch ein Passfoto beifügen und der Ausweis kann beim Innenministerium angefordert werden.

Ungehinderter Zugang zu Wahllokalen

"Der neue Innenminister hat uns den Zugang zu den Wahllokalen erlaubt, wir sind in diesen Wahlen zum ersten Mal offiziell akkreditiert. Die Regierung will ihren Bürgern und vor allem der internationalen Staatengemeinschaft zeigen, dass es demokratische Wahlen sind. Auch wurden internationale Wahlbeobachter zugelassen. Das Verhältnis zur Wahlbeobachtung hat sich verbessert." Ein Etappensieg im Libanon.

LADE hat bereits Kontakt zu anderen Initiativen in der arabischen Welt aufgenommen, im Jemen und im Irak Wahlbeobachter ausgebildet. "Bei den angekündigten Kommunalwahlen in Syrien 2007 bilden wir dann lokale Wahlbeobachter aus - inshallah", sagt Omar, ein anderer Mitarbeiter bei LADE, mit einem triumphierenden Lächeln.

Nach den Parlamentswahlen im Libanon wird sich LADE für ein neues Wahlgesetz einsetzen. Das Verhältniswahlrecht soll das bisher gültige Mehrheitswahlrecht ablösen.

Bernhard Hillenkamp

© Qantara.de 2005

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