Weit von einer echten Demokratie entfernt

Hamid Karsai ist der klare Sieger der Präsidentschaftswahl in Afghanistan. Doch solange er sich nicht gegen die Warlords durchsetzen kann, bleibt er ein schwacher Präsident. Ein frei gewähltes Parlament könnte helfen. Peter Philipp kommentiert.

Hamid Karsai, Foto: AP
Hamid Karsai

​​Nach fast drei Wochen sind alle Stimmen ausgezählt: Hamid Karsai ist der klare Sieger der ersten freien Präsidentschaftswahl in Afghanistan. Letzte Zählungen hatten ein Ergebnis von über 55 Prozent für den alten und neuen Präsidenten ergeben. Eine Überraschung war das Ergebnis nicht.

Auch nicht, dass es Tage vor der offiziellen Bekanntgabe und vor der Auszählung aller Stimmen bereits feststand. Hämische Bemerkungen sind unangebracht, anders sei es von dem Favoriten der Vereinigten Staaten und des Westens auch nicht zu erwarten gewesen.

Ebenso überflüssig sind Erinnerungen an den Skandal mit der abwaschbaren Tinte. Die Wahlen sind trotz aller Widrigkeiten korrekt verlaufen, und das ist gewiss ein großer Erfolg. Wenn es auch nur der erste kleine Schritt Afghanistans in Richtung freiheitliche Demokratie war.

Ein nächster Schritt in diese Richtung müssen die Parlamentswahlen sein, die ursprünglich zusammen mit der Wahl des Präsidenten stattfinden sollten. Man tat gut daran, die beiden Wahlen voneinander zu trennen. Denn die jetzt für April 2005 geplanten Parlamentswahlen werden eine ungleich größere Herausforderung sein: Neben 250 Abgeordneten sollen auch noch die Mitglieder regionaler Räte gewählt werden.

Ohne solch eine frei gewählte regionale und nationale Volksvertretung hängt in Afghanistan alles vom Wort des Präsidenten ab. Damit ist das Land noch weit entfernt vom angestrebten Ziel der Demokratie.

Das ist wohl auch der Hauptgrund für den reibungslosen Ablauf der Präsidentschaftswahlen: Wie fast immer in seiner Geschichte hat Afghanistan nun zwar einen zentralen Führer, dessen Macht sich aber hauptsächlich auf die Hauptstadt und einige wenige Gegenden beschränkt.

In den meisten Regionen muss er sich mit den dortigen Herrschern verständigen: Die traditionellen Warlords profitieren wie mittelalterliche Regionalfürsten von ihrer Macht - bis hin zum Anbau und Verkauf von Rauschgift.

Hamid Karsai hat sich zwar in den Wochen vor der Wahl gegen einige dieser Warlords durchsetzen können. So hat er den "starken Mann" von Herat, Ismail Khan, entmachtet. Aber Karsai bleibt doch immer noch weitgehend dem Wohlwollen der regionalen Herrscher ausgeliefert.

Ein frei gewähltes Parlament wäre also nicht nur ein Regulativ des Präsidenten, sondern es würde ihm auch den Rücken stärken, wenn er künftig nationale Interessen gegen die der Warlords durchsetzen will.

Solange es dazu nicht kommt, wird Karsai ein schwacher Präsident sein, der sich auf die Unterstützung des Auslands verlassen muss. Amerikanische Leibwächter und eine internationale Truppe sind aber auf Dauer nicht die geeigneten Mittel, sich als Symbol von Freiheit und Unabhängigkeit zu profilieren.

Das funktioniert in keinem Land, erst recht nicht in Afghanistan, dessen Einwohner sich wenigstens in einem einig sind: in ihrer stolzen Ablehnung jeder fremden Bevormundung.

Die internationale Gemeinschaft muss nun alles daran setzen, dass Karsai sich auch in den Kreisen der Bevölkerung Ansehen und Respekt verschafft, die ihm bislang noch skeptisch gegenüber standen. Der neue alte Präsident darf aber auch kein absoluter Herrscher werden, sondern er muss sich - sobald die Abgeordneten gewählt sind - ihrem Willen unterordnen.

Das ist viel verlangt in einem Land, das bisher weit entfernt war von demokratischen Grundsätzen und Strukturen. Von Erfolg oder Misserfolg der nächsten Monate wird aber abhängen, welchen Weg Afghanistan in Zukunft gehen wird.

Peter Philipp

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004