"Der äußere Druck bringt dem Regime Sympathien"

Nadim Shehadi, Experte beim britischen Think Tank Chatham House, sagt, dass UN-Sanktionen gegen Syrien kein wirkungsvolles Instrument sind, da sie – wie im Falle Iraks oder Libyens – eher der Bevölkerung schaden als dem Regime.

Nadim Shehadi, Foto: Jane Ricketts, &copy www.sant.ox.ac.uk
Zwar steht die Führung in Damaskus unter massivem politischen Druck, allerdings kann Assad noch viel Zeit für sich gewinnen, falls die Mehlis-Untersuchung in ein internationales Tribunal mündet, meint Nadim Shehadi

​​Wie würden Sie den Spielraum der syrischen Regierung nach dem Mehlis-Report und den drohenden Sanktionen der UN gegen Syrien einschätzen? Welche Handlungsmöglichkeiten hat die Führung in Damaskus noch?

Nadim Shehadi: Syriens einzige Optionen scheinen darin zu bestehen, erstens Zeit zu gewinnen, indem das Land vorgibt, den amerikanischen Forderungen nachzukommen, zweitens die diplomatischen Kontakte mit den arabischen Staaten zu intensivieren, denen auch an der Stabilität der Region gelegen ist, und drittens besteht eine weitere Option in der Hoffnung, dass sich mit der Zeit eine Lage ergibt, die die USA dazu zwingt, sich Syrien wieder anzunähern.

Das Regime kann allerdings auf vielfältige Weise diese Zeit gewinnen. Wenn die Mehlis-Untersuchung in ein internationales Tribunal mündet, wird dies ein sehr kostspieliger, sehr bürokratischer und extrem zeitaufwendiger Prozess sein. Die Zeit läuft also kurz- wie mittelfristig für das Assad-Regime. Langfristig aber wird sich einiges ändern müssen, da sich diese Option nicht lange als tragfähig erweisen wird und die Möglichkeit innerer Reformen praktisch ausschließt. Solange aber wird Syrien isoliert bleiben, und das sogar innerhalb der arabischen Welt.

Wie wird Syriens Armee auf den politischen Druck reagieren? Würden Sie Volker Perthes, dem Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit, zustimmen, der in der "International Herald Tribunal" kürzlich argumentierte, dass ein Putsch nach dem Vorbild des pakistanischen Präsidenten Musharraf zwar keine Ideallösung wäre, doch vielleicht eine Option darstelle, die schlimmere Entwicklungen verhindern könne?

Shehadi: Dies ist sicher eines von mehreren möglichen Szenarien, die in Syrien kursieren, und es gibt Stimmen, die den angeblichen Selbstmord des Innenministers Ghazi Kanaan damit in Verbindung bringen. Er wäre als Mitglied des engsten Führungszirkels einer der möglichen Kandidaten gewesen, um einen "syrischen Musharraf" abzugeben.

Eine solche Vorstellung basiert natürlich auf der Annahme, dass die Macht von Präsident Baschar al-Assad bereits stark geschwächt ist und darauf, dass er geopfert werden könnte, um den Rest des Regimes zu retten. Dafür aber ist kein Kandidat in Sicht, und selbst wenn es einen gäbe, räumen ihm Experten kaum eine Chance ein. Ich glaube, dass Syrien bereits seinen Musharraf hatte, und zwar Baschars Vater Hafiz.

Zudem sind solche Machtübernahmen inzwischen genauso aus der Mode gekommen wie die stalinistische Politik der regierenden Baath-Partei. Dennoch stimme ich Volker Perthes zu, wenn er diese Option als wohl wünschenswerteste bezeichnet. Nur basiert eben ein großer Teil dieses Szenarios auf der Schwäche des gegenwärtigen Präsidenten Baschar al-Assad – eine Annahme, die sich als falsch herausstellen könnte.

Welche Glaubwürdigkeit hat der Mehlis-Bericht in Syrien? Gelingt es der Regierung weiterhin, ihn als Teil einer westlichen, insbesondere US-amerikanischen Verschwörung hinzustellen?

Shehadi: Das Regime versucht, den Mehlis-Bericht zu diskreditieren und ihn als ein gegen Syrien gerichtetes Instrument der US-amerikanischen Politik und Teil eines Planes hinzustellen, die politische Landkarte in der Region neu zu gestalten. Es scheint, dass der Druck von außen Sympathien für das Regime einbringt, wenn auch größtenteils aus Unsicherheit darüber, was nach einem möglichen Regimewechsel geschähe. Niemand schließlich will sich mit der Aussicht anfreunden, dass eine Situation entsteht, die dem Chaos und dem Bürgerkrieg im Irak ähnelt.

Nach meinem Eindruck zeigt sich das Regime weiterhin gefestigt; es gibt keinerlei Anzeichen für Unruhen, und das Leben in Damaskus verläuft in gewohnten Bahnen. Im Falle von Sanktionen könnte sich dies jedoch ändern. Allerdings zeigte sich in der Vergangenheit, dass Sanktionen nicht wirklich effektiv sind und sie, wie im Falle Iraks oder Libyens, meist eher die Bevölkerung, nicht aber das Regime treffen. Ein solches Regime erscheint dann oft sogar noch stärker, bis es zusammenbricht, wie das Ceaucescus in Rumänien.

Die US-Führung wirft Damaskus unter anderem vor, irakische Dschihadisten auf ihrem Territorium zu dulden …

Shehadi:Wenn Syrien tatsächlich Aufständische begünstigt oder zumindest die Grenzkontrollen vernachlässigt hat, dann nur deshalb — so scheint es die offizielle Haltung zu sein —, weil man darauf beharrt, für ein härteres Durchgreifen auch etwas zurück zu bekommen. Die Forderungen der USA aber werden als unvernünftig angesehen, sowohl was die Grenze zum Irak als auch was das Exil betrifft, das den ehemaligen Funktionären der irakischen Baath-Partei geboten wird.

Kurz, die Syrer schlagen einen Handel vor und wollen gleichzeitig das eigene Regime erhalten. Ein solcher Deal würde syrische Hilfe im Irak gegen Konzessionen im Falle des Libanon beinhalten. Keinesfalls aber wollen die Syrer mehr Hilfe anbieten als unbedingt nötig, also ohne dafür entsprechende Gegenleistungen seitens der USA zu bekommen. Dabei zu helfen, eine Situation zu verschlimmern, kann von Zeit zu Zeit auch als Druckmittel dienen.

Wird die syrische Opposition in der Lage sein, die gegenwärtige Schwäche des Regimes auszunutzen? Kann man überhaupt von einer nennenswerten Opposition sprechen?

Shehadi: Die Opposition scheint ziemlich schwach zu sein und eher bereit, der Regierung schrittweise Zugeständnisse abzutrotzen, als dass sie sich auf das Risiko eines Regimewechsels nach irakischem Vorbild einließe, bei dem niemand weiß, was er mit sich brächte. Die syrische Wirtschaft ist schwach, und jede Form von Instabilität könnte verheerende Folgen haben.

Mit der erst kürzlich erlassenen so genannten "Damaskus-Erklärung" wird versucht, dem Prozess einer Verfassungsreform auf die Beine zu helfen, doch ist bisher überhaupt nicht absehbar, welcher Erfolg ihr beschieden sein wird. Noch immer ist nur schwer vorstellbar, wie unter den herrschenden Gesetzen, die die Bildung politischer Parteien außerhalb der regierenden Baath-Partei verbieten, eine wirksame Opposition arbeiten könnte.

Welche Richtung wird die französische Diplomatie einschlagen? In welcher Weise könnte sich Europa als politische Kraft einbringen?

Shehadi: Frankreich steht einem möglichen Regimewechsel skeptisch gegenüber und ist vor allem daran interessiert, Syrien aus den inneren Angelegenheiten Libanons herauszuhalten und dessen volle Souveränität wieder herzustellen. Europa besitzt verschiedene Instrumente, um einen positiven Einfluss zu nehmen, vor allem das Assoziationsabkommen im Rahmen der euromediterranen Partnerschaft (Barcelona-Prozess), wie auch den Aktionsplan der "European New Neighborhood Policy".

Diese Art der Politik, die natürlich voraussetzt, dass das Regime überhaupt reformierbar ist, ist in jedem Fall langwierig und deshalb in Situationen eines solch extremen Drucks, wie er derzeit zu beobachten ist, kaum geeignet. Eine international abgestimmte Politik gegenüber Syrien oder gar eine Vision, wie das Land nach Assad aussehen könnte, ist für mich bisher nicht ersichtlich. Darin und in der damit zusammenhängenden Unsicherheit liegt wohl nach wie vor die größte Stärke des syrischen Regimes.

Interview: Lewis Gropp

© Qantara.de 2005

Übersetzung aus dem Englischen: Daniel Kiecol

Nadim Shehadi ist seit 1997 Stiftungsmitglied und Experte für das Nahost-Programm am "Royal Institute for International Affairs" (Chatham House).

Qantara.de

UN-Resolution gegen Damaskus
Das Dilemma des syrischen Präsidenten
Nach dem Bericht des Berliner UN-Ermittlers Detlev Mehlis fürchten Baschar al-Assad und das Baath-Regime und um ihre Macht. Der syrische Präsident ist deshalb gezwungen, für sein politisches Überleben einen hohen Preis zu bezahlen, meint Abdel Mottaleb al-Husseini.