Tückischer Segen

Vergangene Woche hatte das US-Militär verlauten lassen, die in Afghanistan vorhandenen Bodenschätze hätten einen Wert von einer bis drei Billionen US-Dollar. Wie realistisch ist ein rascher Einstieg in den Abbau der Vorkommen und welche Chancen und Risiken birgt der neue Wettlauf um die afghanischen Rohstoffe? Martin Gerner berichtet.

Afghanische Tagelöhner bei einem Steinbruch in der Provinz Badakhshan; Foto: Martin Gerner
Afghanistan ist reich an Bodenschätzen - doch Experten sehen deutlich mehr Risiken als Chancen in einer künftigen Nutzbarmachung der Rohstoffe.

​​ Die schiere Zahl eine Billion – eine eins mit zwölf Nullen – löst Staunen und überschwängliche Reaktionen aus. So viel sollen die unter der afghanischen Erde schlummernden Vorräte an Eisen, Kupfer, Kobalt, Edelsteinen, Gold und Lithium – letzteres unentbehrlich für die Produktion von Handy-Batterien, Laptops und Blackberries – laut einer Studie des US-Militärs und der US-Behörde für Geologie wert sein. Dies würde Afghanistan auf dem Papier zu einem der reichsten Länder der Erde machen.

Als "Saudi-Arabien des Lithiums", als ein "zweites Dubai" titulieren internationale Gazetten das bisherige Armenhaus Asiens bereits. Selbst afghanische Regierungsvertreter geben sich beglückt und sprechen von der besten Nachricht der vergangenen Jahre.

Bei nüchterner Betrachtung wird allerdings schnell klar, welche schier unüberwindbaren Hürden sich der neuen Goldgräber-Stimmung in den Weg stellen. So sehen Experten deutlich mehr Risiken als Chancen in einer künftigen Nutzbarmachung der Rohstoffe.

Theorie und Praxis

"Die Erschließung der Vorkommen ist äußerst aufwendig. Außerdem ist die Verhüttung notwendig", meint Ulrich Schwarz-Schampera, Experte an der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Zwar könne die Verhüttung der Erze zu Metallen in Afghanistan erfolgen. Meist aber würden diese abtransportiert. Afghanistan verfüge allerdings über keinerlei Eisenbahnen und schnelle Wege zum offenen Meer, die einen solchen Transport realistisch erschienen ließen.

Afghanische Tagelöhner bei einem Steinbruch in der Provinz Badakhshan; Foto: Martin Gerner
Die Nachricht über die afghanischen Rohstoff-Vorkommen ist alles andere als neu. Die US-Schätzung beruht unter anderem auf sowjetischem Karten- und Datenmaterial aus den 1970er Jahren.

​​ Auch Stephanie Sanok vom Center for Strategic and International Studies in Washington D.C. sieht die vermeintliche Entdeckung kritisch: "Ich kenne kein Beispiel, wo diese Art von Rohstoffen mitten in einem anhaltenden Krieg gefördert werden konnten", so die Sicherheitsexpertin. "Afghanistan fehlt es nicht nur an Infrastruktur, an Straßen, Eisenbahnlinien und Wasser, sondern auch an den grundlegenden Gesetzen und Mechanismen, die entsprechende Investitionen erlauben würden."

Viele der Vorkommen liegen zudem in umkämpften Gebieten, in denen von zunehmender Taliban-Aktivität berichtet wird – so etwa in der Provinz Ghazni. Hier werden erhebliche Lithium-Reserven verortet; ähnliches gilt für die Provinzen Kandahar und Zabul – hier sollen große Eisen-Vorräte lagern.

Korruption und Transparenz

Ein weiteres Problem sind die Besitzverhältnisse, die vollkommen ungeregelt sind. "Viele Fundorte werden sowohl von Stämmen als auch vom Staat beansprucht", so Conrad Schetter vom Zentrum für Entwicklungsforschung in Bonn. "Außerdem gilt die afghanische Regierung als extrem korrupt, was die jeweiligen Begehrlichkeiten nur noch weiter anstachelt."

Tatsächlich gibt es hartnäckige Gerüchte, wonach sich Afghanistans Minister für Minen und Bergbau die Vergabe der Rechte für die Aynak-Kupfermine in Logar, südlich von Kabul, vor zwei Jahren mit einem Bestechungsgeld von 30 Millionen-Dollar versüßen ließ.

Afghanischer Arbeiter trägt Gesteinsbrocken in den Händen, Steinbruch in der Provinz Badakhshan; Foto: Martin Gerner
Zu den Bodenschätzen, die unter der afghanischen Erde schlummern, gehören Eisen, Kupfer, Kobalt, Edelsteine, Gold und Lithium.

​​ Sein Nachfolger, der amtierende Minister Wahidullah Shahrani, hat denn auch gleich mehr Transparenz zugesagt für die Konferenz potentieller Investoren, die diese Woche in London stattfindet. Dabei wird es vor allem um die Ausschreibung für die Schürfrechte an der Hajigak-Mine in der Provinz Bamiyan gehen, Heimat der weltberühmten Buddha-Statuen. Die Mine ist eines der größten Eisen-Lager im Land.

NGO-Experten aus dem Westen sollen der afghanischen Regierung helfen, den Ausschreibungsprozess dabei transparent zu gestalten. Spekulationen über mögliche Korruption würden sowohl der Karsai-Regierung als auch den westlichen Geberländern schaden. So sollen Vertragsmuster für den Erhalt von Schürfrechten auf der Webseite des Ministeriums abrufbar sein. Außerdem werde man afghanischen Parlamentariern und Multiplikatoren der Zivilgesellschaft Einsicht in die Verträge gewähren.

Gier und Gemeinwohl

Die Eigendynamik der US-Meldung hat allerlei Spekulationen in Gang gesetzt.

Pro Kopf, so haben afghanische Medienvertreter errechnet, würden die Reserven für jeden der 29 Millionen Afghanen ein virtuelles Guthaben von 34.482 US-Dollar bedeuten. Eine Zahl, die sich möglicherweise mehr als Fluch denn als Segen erweisen könnte. Denn angesichts eines neoliberalen Wirtschaftssystems in Afghanistan dürften, so prognostizieren Fachleute, sich Großunternehmen die Bergbau-Rechte untereinander aufteilen, während die Bevölkerung das Nachsehen hätte. "Die Konflikt-Forschung in anderen rohstoffreichen Ländern wie Kongo, Sierra Leone, Angola oder Nigeria belege auch ein Mehr an gewaltsamen Konflikten als Folge neuer Funde", so Schetter.

Teerung einer Straße in Afghanistan; Foto: Martin Gerner
"Die Schlagzeile könnte den Extremisten in die Hände spielen", so der ehemalige CIA-Mitarbeiter Paul Pillar, "und zwar in Form einer Rhetorik, dass der Westen dabei ist, die Rohstoffe der muslimischen Welt zu plündern."

​​ Ein Ausweg sieht der Experte im Beispiel Norwegen, wo seinerzeit für Erdgas- und Ölvorkommen Fonds aufgelegt wurden, mit der Auflage, dass mit den Mitteln zu einem späteren Zeitpunkt soziale Projekte finanziert werden müssen.

Reichtum und Rhetorik

Die Nachricht über die afghanischen Rohstoff-Vorkommen ist alles andere als neu. Die US-Schätzung beruht unter anderem auf sowjetischem Karten- und Datenmaterial aus den 1970er Jahren. Afghanische Studenten wissen seit langem um die Ressourcen ihres Landes und die Schwierigkeiten diese auszubeuten. Im Grunde waren Rohstoff-Vorkommen also längst bekannt, nur hat sich bisher keiner die Mühe gemacht, ihren Wert medienträchtig zu lancieren.

In erster Linie dürfte es für die Obama-Regierung darum gehen, gute Nachrichten aus Afghanistan zu produzieren, um der Heimatfront zu zeigen, dass der US-Einsatz in Afghanistan auch Sinn macht; diese Neuigkeit ist deshalb auch in erster Linie an die US-Presse gerichtet. Tatsächlich sind die Militär-Operationen in Helmand und Kandahar ins Stocken geraten.

Kritische Beobachter meinen dagegen, dem Feind werde so nur noch mehr Munition geliefert: "Die Schlagzeile könnte den Extremisten in die Hände spielen", vermutet der ehemalige CIA-Mitarbeiter und Georgetown-Dozent Paul Pillar, "und zwar in Form einer Rhetorik, dass der Westen dabei ist, die Rohstoffe der muslimischen Welt zu plündern."

Martin Gerner

© Qantara.de 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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