Für eine Politik der Versöhnung

Bakir Izetbegovic, Sohn von Alija Izetbegovic, dem Führer der bosnischen Muslime in den Kriegsjahren von 1992 bis 1995 und erstem Präsidenten der Republik Bosnien-Herzegowina, ist als Vertreter der bosnischen Muslime in das dreiköpfige Staatspräsidium gewählt worden. Enver Robelli stellt ihn vor.

Bakir Izetbegovic; Foto: AP
Versöhnliche Töne: Bakir Izetbegovic möchte die Beziehungen zwischen Bosniaken, Serben und Kroaten schrittweise verbessern. "Ich glaube, ich bin die richtige Persönlichkeit für diesen Versöhnungsprozess", sagt er.

​​ Die Bosniaken sind die größte Volksgruppe des Balkanstaates, vor den Serben und Kroaten. Formal sind die Bosniaken Muslime, obwohl längst nicht alle es mit dem Islam so genau nehmen. Gerade in größeren Städten wie Sarajevo oder Tuzla definieren sich viele vor allem deshalb als Bosniaken, weil sie keine (orthodoxen) Serben oder (katholischen) Kroaten sind.

In der Stunde des Triumphs schlägt Bakir Izetbegovic versöhnliche Töne an. Der neu gewählte Vertreter der bosnischen Muslime im dreiköpfigen Staatspräsidium sagt, er wolle in den nächsten vier Jahren allen Ethnien die Hand reichen und die Zusammenarbeit fördern. Nur so komme die gelähmte Republik Bosnien-Herzegowina voran.

Izetbegovic wirbt um das Vertrauen seines serbischen und seines kroatischen Kollegen im Präsidium. Gemeinsam sollen die drei ihr Land repräsentieren und seine Außen- und Sicherheitspolitik bestimmen. Der Vorsitz im Präsidium wechselt alle acht Monate, weil Bosnien-Herzegowina ein höchst kompliziertes Staatsgebilde ist, zusammengesetzt aus der kroatisch-muslimischen Föderation und der serbischen Teilrepublik.

Gegen die serbische Teilrepublik

In Sarajevo wird Bakir Izetbegovic nur der "Sohn" genannt. Er profitiert vom Ansehen seines 2003 verstorbenen Vaters Alija Izetbegovic, der in den 1990er Jahren als erster bosnischer Staatspräsident den Widerstand gegen die serbische Aggression organisierte.

Alija Izetbegovic; Foto: Wikipedia
Berühmter Vater: Als Sohn des 2003 verstorbenen ersten Präsidenten der Republik Bosnien-Herzegowina, Alija Izetbegovic, profitiert Bakir Izetbegovic von dessen Ansehen.

​​ Die bosnische Tragödie hat Bakir Izetbegovic von Anfang an geprägt. Während der vom 4. April 1992 bis zum 29. Februar 1996 andauernden Belagerung Sarajevos durch die Jugoslawische Armee und serbische Milizen diente er seinem Vater als Berater und Kabinettschef. "Ich habe die Geschichte aus nächster Nähe erlebt und das politische Handwerk von meinem Vater erlernt", sagt der 54-Jährige.

Entsprechend scharf wandte er sich in der Vergangenheit gegen die Existenz der Serbischen Teilrepublik. Diese sei, so Izetbegovic, "auf Gewalt, Ungerechtigkeit, furchtbaren ethnischen Säuberungen, Massengräbern, auf Srebrenica und planmäßigen Massenvergewaltigungen von Frauen gegründet".

Politik der Annäherung

Im Wahlkampf mäßigte er aber seine Rhetorik. Izetbegovic weiß, die Forderung nach Abschaffung der Republika Srpska stärkt nur das nationalistische Lager der Serben und deren Abspaltungstendenzen. Deshalb plädiert er nun für eine Politik der schrittweisen Annäherung.

"Wir Bosniaken (gemeint sind die Muslime) teilen das Land mit Serben und Kroaten und haben eine gemeinsame Grenze mit Serbien, Kroatien und Montenegro. Wir müssen die Beziehungen verbessern", betont Izetbegovic jetzt und fügt hinzu: "Ich glaube, ich bin die richtige Persönlichkeit für diesen Versöhnungsprozess." Seine patriotische Gesinnung müsse er nicht unter Beweis stellen, die Leute würden seine Verdienste um den Erhalt Bosniens kennen.

Gedenkfeier für 775 Opfer in Srebrenica, die im Jahre 2010 neu identifiziert wurden; Foto: AP
Das Massaker von Srebrenica im Juli 1995, bei dem die Serben unter Führung von Ratko Mladić bis zu 8000 Bosniaken töteten, stellt noch immer ein Hindernis im Versöhnungsprozess dar.

​​Bakir Izetbegovic wurde 1956 in Sarajevo geboren, wo er Architektur studierte. Das war Anfang der 1980er Jahre, als sein Vater vom kommunistischen Regime zu 14 Jahren Haft verurteilt wurde wegen einer "Islamischen Deklaration", die zur nationalen und religiösen Erneuerung der Muslime aufrief.

Kurz vor dem Zerfall Jugoslawiens gründete er die Partei der Demokratischen Aktion (SDA), die noch heute die wichtigste politische Kraft der Muslime ist. Sohn Bakir ist Führungsmitglied der SDA. In Sarajevo heißt es, er kontrolliere zudem die undurchsichtige Baubranche der Hauptstadt. Izetbegovic ist mit einer Gynäkologin verheiratet. Das Ehepaar hat eine erwachsene Tochter.

Enver Robelli

© Süddeutsche Zeitung 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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