Ein dritter Weg zum Frieden?

Die PKK sucht das Gespräch mit der türkischen Regierung, doch diese lässt sich Zeit mit den mutigen Reformen, die zur Lösung des Kurdenkonflikts in der Türkei nötig sind. Indessen eröffnet eine zivilgesellschaftliche Bewegung einen dritten Weg: einen, der strikt gegen den Einsatz von Gewalt ist, aber das Recht auf Nutzung der kurdischen Sprache einfordert. Von Ayşe Karabat

Die PKK sucht das Gespräch mit der Regierung, doch diese lässt sich Zeit mit den mutigen Reformen, die zur Lösung des Kurdenkonflikts in der Türkei nötig sind. Indessen eröffnet eine zivilgesellschaftliche Bewegung einen dritten Weg: einen der strikt gegen den Einsatz von Gewalt ist, aber das Recht auf Nutzung der kurdischen Sprache einfordert. Von Ayşe Karabat

Bewaffneter PKK-Kämpfer im Südosten der Türkei; Foto: creative commons/James Gordon
Bewaffneter PKK-Kämpfer im Südosten der Türkei: Ein Großteil der türkischen und kurdischen Bevökerung findet, dass Gewalt keine Lösung für den Konflikt ist.

​​ Zwischen dem Angebot des Waffenstillstands durch die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) auf der einen Seite und den Reformbemühungen der Regierung, um den Weg zu einer friedlichen Lösung des Kurdenkonflikts zu ebnen, auf der anderen Seite, ist eine dritte Kraft in der pro-kurdischen Politik aufgetaucht – eine aus der Zivilgesellschaft.

Noch ist unklar, ob diese neue Kraft in der Lage ist, alle Hindernisse zu überwinden und eine starke politische Bewegung zu werden, aber immerhin wird sie sowohl von der türkischen Bevölkerung, als auch von den Medien ernst genommen. Und eines haben ihre Anhänger deutlich klargestellt: Sie glauben fest daran, dass eine Lösung nur gefunden werden kann, wenn die Waffen schweigen, und sie sind entschlossen, dieses Ziel zu erreichen.

Osman Baydemir, der Bürgermeister von Diyarbakir und Mitglied der pro-kurdischen Partei für Frieden und Demokratie (BDP) – eine Partei, der regelmäßig vorgeworfen wird, sie schaffe es nicht, aus dem Schatten der PKK herauszutreten – sagte: "Waffen sind kein Mittel zur Lösung des Konfliktes; im 21. Jahrhundert haben Waffen keine Bedeutung mehr."

Er unterstrich, dass Gewalt nicht die Ursache des Kurdenproblems sei, sondern dessen Konsequenz. Eine Lösung würde durch Dialog, Beratung und Verhandlung herbeigeführt werden, fügte er hinzu.

Gespräche zwischen Regierung und Öcalan

Der inhaftierte PKK-Anführer Abdullah Öcalan reagierte auf diese Worte, indem er Baydemir aufforderte, entweder zurückzutreten oder selbstkritisch zu sein oder aber der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) beizutreten. Nach Meinung von Experten ist Öcalan besorgt, dass eine andere Führungspersönlichkeit innerhalb der pro-kurdischen Politik hervortreten könne.

Selbstmordattentat auf dem Taksim-Platz am 31.Oktober 2010; Foto: dpa
Selbstmordattentat auf dem Taksim-Platz in Istanbul: Einen Tag vor der Verlängerung des Waffenstillstands zwischen der PKK und der Regierung wurden bei einem Anschlag 30 Menschen verletzt; eine Untergruppe der PKK bekannte sich zur Tat.

​​ Baydemirs Äußerung kam genau einen Tag nachdem die PKK verkündete, den Waffenstillstand ihrerseits bis zu den für Juni 2011 geplanten Parlamentswahlen zu verlängern. Die PKK würde keine Angriffe ausführen solange sie nicht angegriffen wird, hieß es. Sie erklärte, dass sie eine Möglichkeit schaffen wolle für eine offene Diskussion über notwendige Verfassungsänderungen und für die Fortsetzung der Gespräche, die angeblich bereits zwischen dem Staat und dem inhaftierten PKK-Anführer Abdullah Öcalan aufgenommen wurden. Der Charakter dieser gerüchteumwobenen Gespräche ist bislang unklar.

Einen Tag vor der Verlängerung des Waffenstillstands wiederum gab es einen Bombenanschlag auf dem Taksim-Platz in Istanbul. Der Attentäter selbst und über 30 weitere Personen wurden dabei verwundet. Die PKK wies jede Beteiligung daran kategorisch zurück, aber kurz darauf bekannte sich eine Untergruppe der PKK dafür verantwortlich. In einer zweiten Stellungnahme drängte die PKK alle mit ihr in Verbindung stehenden Gruppierungen, die Anschläge zu beenden oder die Konsequenzen zu tragen – sprich, die betreffenden Gruppen würden bestraft werden.

Neue Phase im Konflikt

Laut Sedat Laçiner von der International Strategic Research Organisation (ISRO) ist der Kurdenkonflikt in eine neue Phase getreten, in der die Regierung sich um eine friedliche Lösung bemüht und der Großteil der Bevölkerung – Kurden wie Türken – den Reformprozess unterstützen, auch wenn unklar ist, welche Art von Reformen benötigt werden.

Pro-Öcalan-Demonstration; Foto: dpa
Unter Druck: "Nach Meinung von Experten ist Öcalan besorgt, dass eine andere Führungspersönlichkeit innerhalb der pro-kurdischen Politik hervortreten könne", schreibt Karabat.

​​ "Dieser Prozess ist schwieriger als die Kämpfe, weil alle Seiten sich anpassen müssen, das gilt für die Regierung, die Gesellschaft und die PKK. Aber es gibt Kräfte innerhalb der PKK, die die Waffen nicht niederlegen wollen. Zudem zieht sich bereits eine Kluft durch die pro-kurdischen Kreise; die Zahl derjenigen, die Gewalt nicht länger unterstützen, wächst. Öcalan weiß sehr gut, dass sich diese Kluft vertiefen wird, wenn die Regierung [notwendige] Maßnahmen ergreift, und darum hat er es eilig, mit dem Dialog Ergebnisse zu erzielen. Anderenfalls wird er jegliche Verhandlungsmacht verlieren", sagt Laçiner.

Der frühere Vorsitzende der Diyarbakır Bar Association, Sezgin Tanrıkulu, weist darauf hin, dass der Einfluss der PKK auf oder die Macht der BDP über die pro-kurdische Politik dank des ausgeprägten Sinnes für gegenseitige Loyalität in der kurdischen Kultur trotzdem immer noch groß ist: "Solange es keine Lösung für die Menschen, die im Gebirge leben, gibt, wird diese dritte Kraft nicht stark genug sein. Die Phase der Kämpfe muss erst beendet werden."

Staatliche Blockaden

Angesichts staatlicher Unterdrückung tendieren die kurdischen Fraktionen dazu, sich zusammenzuschließen. Im derzeitigen Prozess gegen die Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK) werden 151 Verdächtige (darunter einige Bürgermeister und pro-kurdische Politiker) beschuldigt, Mitglieder der urbanen Ausläufer der PKK zu sein. "Der Staat ist äußerst talentiert darin, Kurden zu vereinen. Bedingt durch diesen Prozess ist der durchschnittliche Kurde ungeachtet aller politischen Meinungsverschiedenheiten solidarisch mit den anderen", fügt Tanrıkulu hinzu.

Türkische Soldaten bei einem Einsatz gegen die PKK; Foto: dpa
"Es gibt einen radikalen sozialen Wandel innerhalb der kurdischen Gesellschaft. Der spiegelt sich in der großen Zahl von Menschen wieder, die glauben, dass Gewalt keine Lösung ist" sagt der Unternehmer Bedirhanoğlu.

​​ Während des KCK-Verfahrens sagten die Beschuldigten, sie wollten sich in kurdischer Sprache verteidigen, doch das Gericht lehnte dies ab. Als die Angeklagten darauf bestanden, Kurdisch zu sprechen, beschrieb das Gericht die Situation wie folgt: "Die Beschuldigten bestehen darauf, in einer unbekannten Sprache zu sprechen." Eine Beleidigung für viele Kurden.

Die Freiheit, die kurdische Sprache zu sprechen, ist eine der Schlüsselforderungen der Bewegung des dritten Weges. Ein Bericht, der vor kurzem vom Diyarbakır Political and Social Research Centre (DİSA) und der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegeben und von der Industrie- und Handelskammer in Diyarbakır unterstützt wurde, spricht sich für ein bilinguales Schulsystem aus.

Interessant ist der Hinweis in dem Bericht, dass zu den ersten türkischen Ausdrücken, die ein kurdisches Kind im türkischsprachigen Schulsystem lernt, "sei still" gehört. Obwohl beide Parteien eingeladen waren und das Medieninteresse an der Veranstaltung riesig war, erschien kein einziger Abgeordneter von der BDP oder der AKP zur Vorstellung des Berichts.

"Gewalt ist keine Lösung"

Şah İsmail Bedirhanoğlu, Vorsitzender des Verbandes der Geschäftsleute und Industriellen Südostanatoliens (GÜNSİAD), meint, ungeachtet ihrer politischen Ansichten sei kurdischsprachiger Schulunterricht das zentrale Anliegen aller Kurden.

Die Kurden seien auch für eine Stärkung der lokalen Verwaltung im Südosten, aber nicht alle wollten eine vage "demokratische Autonomie", wie die PKK und BDP sie forderten. Das grundlegende Prinzip der "dritten Kraft" sei die Senkung der 10-Prozent-Hürde bei Wahlen (die die Parteien überwinden müssen, um ins Parlament einzuziehen).

"Die Kurden sind keine homogene Gesellschaft. Sie haben unterschiedliche politische Meinungen. Die Dominanz der BDP kann nicht geleugnet werden, aber es gibt einen radikalen sozialen Wandel innerhalb der kurdischen Gesellschaft. Der spiegelt sich in der großen Zahl von Menschen wieder, die glauben, dass Gewalt keine Lösung ist, die es aber auch inakzeptabel finden, den Kurden ihre Rechte als Gruppe zu verweigern. Das sind Leute aus dem Mittelstand oder der oberen Gesellschaftsschicht, Intellektuelle, Geschäftsleute und Fachleute verschiedenster Gebiete. In der nahen Zukunft könnte ihre Zahl und Stärke noch wachsen", sagt Bedirhanoğlu.

Ayşe Karabat

© Qantara.de 2010

Übersetzung aus dem Englischen: Sabine Kleefisch

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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