Frömmelnde Mekka-Wallfahrer

Die Förderung des Dialogs gilt als zentrale Pflicht der massenmedialen Aufklärer, dies insbesondere mit Blick auf die multikulturelle Neuformierung Europas. Doch zuweilen droht dabei Blindheit, gibt Herbert Seifert zu bedenken.

Mekka-Pilger an der Kaaba; Foto: AP
"Die Distanz zwischen Journalist und Ereignis ist aufgehoben": Eine kritische Analyse entfällt im Mekka-Blog zugunsten der Wallfahrt-Begeisterung, beklagt Seifert.

​​Dialog gilt als das Zauberwort, das den "Kampf der Kulturen" zwischen islamischer und westlicher Welt befrieden soll. Vor allem für Medien ist die Dialogformel suggestiv, verstehen sie sich doch als Veranstalter des grossen gesellschaftlichen Gesprächs, in dem die Betroffenen sich ohne Vorbedingungen zusammensetzen und sich im Geiste gegenseitigen Respekts ihre Geschichten erzählen.

Das wechselseitige Verständnis zu fördern und damit irgendwie das friedliche Zusammenleben von Menschen ganz unterschiedlicher ethnischer, religiöser und kultureller Herkunft zu ermöglichen, gilt geradezu als zentrale Pflicht der massenmedialen Aufklärer in Zeiten der multikulturellen Neuformierung europäischer Gesellschaften. Was so einfach klingt, steckt in der Praxis allerdings voller Fallen.

Eine ZDF-Chefsache

In Deutschland hat das ZDF die Dialog-Mission zur Chefsache erklärt. Nach der Installierung eines muslimischen "Forums zum Freitag" und der Programmierung einer herzensguten "Integrationswoche" im November präsentierte der Mainzer Sender im Dezember auf seiner Website ein neues Vorzeigestück seiner Dialogbemühungen:

Mehrere Wochen lang berichteten drei muslimische Mitarbeiter des ZDF in einem Mekka-Blog von ihrem ganz persönlichen "Hadsch", mit dem sie ihre Glaubenspflicht zur Teilnahme an der Pilgerreise nach Mekka erfüllten. Texte, Fotos und Videos nehmen Nichtmuslime mit auf einen Ortstermin im saudiarabischen Wallfahrtsort, der "Ungläubigen" sonst versperrt ist.

Wir lesen und sehen, wie das "Verkehrschaos in Mekka" den Pilgern die Fahrt zu den heiligen Stätten beschwerlich macht, hören, was Mariam, eine Konvertitin aus Hamburg, vom Besuch der Kaaba erwartet ("Ich bin total neugierig"), und sind dabei, wenn persische Pilger in freudiger Aufregung dem Besuch des iranischen Präsidenten entgegenfiebern.

Da gibt es schon einmal Misstöne, wenn die frommen Pilger plötzlich in "Tod Amerika"-Rufe ausbrechen, was vielleicht nicht ganz zur spirituellen Atmosphäre des Ortes passt, von dem die ZDF-Blogger sonst schwärmen.

Wandbild zeigt saudische König Abdullah bin Abd al-Aziz, rechts, and Kronprinz Sultan bin Abdul Aziz; Foto: AP
Kein Wort von Menschenrechten: "Über Saudiarabien erfährt der Besucher des Mekka-Blogs nur, dass es sich hier um ein 'streng islamisches Land' handelt."

​​Diese Spiritualität wird allerdings eher beschworen als beschrieben oder ins Bild gesetzt: Ansichten vom kollektiven Haar- und Bartschneiden, wacklige Bilder von Menschenmassen in rituellen Körperbewegungen, investigativ mit verdeckter Kamera gedrehte Videosequenzen aus der Kernzone der heiligen Stätte geben dafür wenig her.

Und bei den Berichten und Bildern, in denen immer wieder von Vorbereitung und Durchführung der rituellen "Steinigung des Teufels" erzählt wird, will sich beim Betrachter die rechte spirituelle Anmutung nicht einstellen.

Es mag unter den nichtmuslimischen Besuchern der ZDF-Website eher manchen geben, der sich da an andere Steinigungsrituale in der muslimischen Welt erinnert, die mit Gottesdienst nichts, mit atavistischem Totschlag aber viel zu tun haben.

Das Mekka-Blog des ZDF weiss davon ebenso wenig wie von den repressiv-terroristischen Verhältnissen im Gastland des Hadsch. Wenn Kritik laut wird, dann tönt das so wie aus dem Mund von Jalal, einer kalifornischen Reisebekanntschaft der ZDF-Pilger, der darüber klagt, dass "die Muslime hier ihren Müll einfach wegschmeissen", dass "die Hygienesituation katastrophal und verantwortungslos" sei.

Fragwürdige Seiten des Medien-Zauberworts Dialog

Über Saudiarabien erfährt der Besucher des Mekka-Blogs nur, dass es sich hier um ein "streng islamisches Land" handle mit strengen Sitten. Lakonisch heisst es weiter: "Was die Toleranz des Islams gegenüber Judentum und Christentum betrifft, so spielt diese in Saudiarabien keine grosse Rolle." Das muss man schmecken: Die permanente Verletzung von Menschenrechten durch das autokratisch-klerikale Regime wird beiläufig erwähnt wie ein Phänomen regionaler Folklore.

Das ist kein Wunder, wenn ein öffentlicher Sender seinen Mitarbeitern gestattet, ihre Pflicht zu kritischer Beobachtung und Berichterstattung aufzugeben zugunsten einer frömmelnden Wallfahrer-Begeisterung.

Die Distanz zwischen Journalist und Ereignis ist aufgehoben. Die Mekka-Blogger haben sich in Beter und Büsser verwandelt, die nicht wahrnehmen, dass zur selben Zeit eine junge Frau Opfer der infamen saudischen Willkürjustiz wurde, die dem Opfer einer Vergewaltigung noch 200 Peitschenhiebe zumisst, welches Urteil nur durch einen Gnadenakt des Herrschers aufgehoben wird.

Kein Gedanke daran, dass etwa das Mekka-Blog seine Passagen zu Saudiarabien mit dem jüngsten Interview des deutschen Kardinals Lehmann verlinkte, der im Streit um deutsche Moscheebauten vehement für die religiösen Rechte der Muslime eintritt, im Gegenzug aber die "Reziprozität in der Gewähr von Grundrechten" verlangt. So einfach wäre mit den Mitteln des Internets ein Dialog in Gang zu setzen.

Was auf der ZDF-Website als journalistisches Angebot daherkommt, ist im Grunde religiöse Propaganda, die zwischen frömmelndem Kitsch und Belanglosigkeit hin und her pendelt und deren Ignoranz gegenüber der gesellschaftlichen Wirklichkeit im Lande den publizistischen Auftrag des Senders verrät. Es ist erstaunlich, wie bereitwillig einige Medien gegenüber dem Islam kritisch-säkulare Positionen aufgeben, die sie gegenüber dem Christentum hartnäckig verteidigen.

Berechtigte und unberechtigte Kritik

So nötig die Kritik an einer solchen Vernachlässigung journalistischer Standards zugunsten eines falsch verstandenen Dialogs ist, so unberechtigt ist die Aufregung über den Protest der Aleviten Deutschlands gegen den am 4. Adventssonntag ausgestrahlten "Tatort", in dem der Täter einer Inzest- und Ehrenmord-Geschichte Angehöriger jener muslimischen Glaubensrichtung war.

Dass sich gesellschaftliche Gruppen dagegen wehren, wenn sie im Unterhaltungsfernsehen mit Negativfiguren repräsentiert werden, gehört zu den erlaubten Protesten in pluralen Gesellschaften, sofern der Widerspruch in den zugelassenen Formen artikuliert wird. Auch die christlichen Kirchen haben sich wiederholt gegen bestimmte Programme ausgesprochen und Demonstrationen dagegen organisiert.

Selbstverständlich ist es das gute Recht der Aleviten, ihr Missfallen über den "Tatort" öffentlich bekanntzumachen und einschlägige Entschuldigungen zu fordern. Zu den bewährten Dialog-Regeln einer säkularen Gesellschaft gehört freilich auch, dass der angegriffene Sender diese Forderung zurückweist.

Herbert Seifert

© Neue Zürcher Zeitung 2008

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