Respekt füreinander – Respekt für die Demokratie

Eine Voraussetzung für die erfolgreiche Integration muslimischer Mitbürger ist die Wissensvermittlung über den Islam und die Muslime in der deutschen Mehrheitsgesellschaft, schreibt Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Interkulturelle Begegnung in Bremen Gröpelingen; Foto: dpa
"Es ist vordringlich, der Mehrheitsgesellschaft ein ausgewogenes Bild der islamischen Religion und Zivilisation zu vermitteln. Solange das nicht oder nur ansatzweise geschehen ist, schießen Vorurteile ins Kraut", so Stephan J. Kramer.

​​Das Verhältnis zwischen der deutschen Mehrheitsgesellschaft und den muslimischen Bewohnern der Bundesrepublik steht wie kaum ein anderes Thema im Vordergrund der öffentlichen Debatte in unserem Land. Allerdings artet die Diskussion oft genug in Streit aus.

Die muslimischen Zuwanderer, so ein beliebter Vorwurf, der aus den Reihen der alteingesessenen Majorität kommt, seien nicht integrationswillig. Die Mehrheit der Deutschen, tönt es von der anderen Seite, sei islamfeindlich und grenze die hierzulande lebenden Muslime aus.

Freilich ist die Wirklichkeit viel komplizierter und muss in ihrer Komplexität auch erkannt und anerkannt werden.

Dazu gehört nicht zuletzt, den Hintergrund, vor dem der Integrationsanspruch zu erfüllen ist, auszuleuchten. Historisch gesehen wurde die deutsche Identität nicht nur von der deutschen Sprache und Kultur, sondern auch von der christlichen Religion geprägt.

Wer außerhalb dieser Parameter stand, wurde als fremd empfunden. Kaum eine andere Bevölkerungsgruppe erlebte das schmerzvoller als Juden, deren Präsenz auf deutschem Boden seit der Zeitenwende datiert. Das tragische Ende der jüdischen Bestrebungen um Aufnahme ins deutsche Volk ist bekannt.

Heute ist Deutschland eine freiheitliche Demokratie. Daher sind Parallelen, die manche zwischen dem nationalsozialistischen Völkermord an Juden und der in der Bundesrepublik durchaus gegebenen Feindlichkeit gegenüber den Muslimen ziehen, nicht nur eine Beleidigung der Opfer, sondern offenbaren zudem eine völlige Missachtung und Unkenntnis der demokratischen Errungenschaften in der Bundesrepublik seit 1945 .

Hürden bei der Integration von Zuwanderern

​​ Allerdings ist das historisch gewachsene Selbstverständnis der deutschen Gesellschaft noch immer präsent und wirkt sich erschwerend auf die Integration von Zuwanderern und deren Kindern aus. Das ist kein Vorwurf - eine supraethnische nationale Identität lässt sich in Deutschland ebenso wie in anderen Ländern nämlich nicht von oben verordnen – macht aber die Findung eines besseren Koexistenzmodells umso dringlicher.

Für die Mehrheitsgesellschaft lauten dabei die wichtigsten Aufgaben Wissensvermittlung über den Islam und die Muslime sowie konsequente Erziehung zu Respekt und Toleranz. Ich wage zu behaupten, dass die meisten Deutschen mit grundlegenden Tatsachen über den Islam und den islamischen Kulturkreis nicht vertraut sind.

Ist beispielsweise vom Islam die Rede, wird Gott regelmäßig "Allah" genannt – sozusagen als eine andere, separate Gottheit, härter und unnachgiebiger als der christliche "Gott der Liebe". Und wer weiß schon etwas über die islamische Soziallehre, den Gerechtigkeitsgedanken, die Pflicht zur Mildtätigkeit?

Es ist daher vordringlich, der Mehrheitsgesellschaft ein ausgewogenes Bild der islamischen Religion und Zivilisation zu vermitteln. Solange das nicht oder nur ansatzweise geschehen ist, schießen Vorurteile ins Kraut.

Bildung und Aufklärung notwendig

Ich weiß: Die Vermittlung von Wissen ist keine einfache Aufgabe. Sie erfordert die Erstellung von Unterrichtsmaterialien für das Schulwesen, wie außerschulische Einrichtungen, die Ausbildung von Lehrkräften, Zeit und stets knappe Etatmittel. Auch ist sie politisch nicht immer populär: Menschen trennen sich ungern von alten und liebgewordenen Vorurteilen, die eine Auseinandersetzung mit dem Thema vermeintlich ersetzen.

Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, Stephan J. Kramer; Foto: dpa
Gemeinsam gegen extremistische Tendenzen: Je entschlossener dies von muslimischen Führungspersönlichkeiten getan wird, um so mehr tragen sie damit zur Integration der Muslime bei, meint Kramer.

​​Und dennoch: Ohne eine umfassende aufklärerische Anstrengung auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene werden "Islamophobie" und Moslemhass immer weiter um sich greifen. Das ist nicht nur unsittlich, sondern fördert die Absonderung und zementiert die Neigung mancher muslimischer Bevölkerungsschichten zur Errichtung von Parallelgesellschaften.

Auf der anderen Seite ist die von fundamentalistisch-muslimischen Kreisen aufgestellte Forderung abzulehnen, für eine erfolgreiche Integration der Muslime müsse Deutschland Abstriche an seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung, etwa am Recht auf freie Meinungsäußerung oder an der Gleichberechtigung der Frau, machen.

Auch die Schaffung grundgesetzfreier Räume durch die Einführung einer für Muslime geltenden Scharia-Gerichtsbarkeit, ist zurückzuweisen.

Abgrenzung von den Antidemokraten

Selbstverständlich ist auch jeglicher religiös begründeter Gewalt der Kampf anzusagen, ob sich diese nun gegen andere Muslime oder gegen Nichtmuslime richtet. Dabei muss sich die grundgesetztreue und Demokratie bejahende Mehrheit der deutschen Muslime an die Seite der grundgesetztreuen und die Demokratie bejahenden Mehrheit in unserem Land stellen.

In einer freien Gesellschaft müssen sich Demokraten von Antidemokraten – und nicht Muslime und Christen oder Juden – voneinander abgrenzen. Daher bleiben muslimische Führungspersönlichkeiten - Politiker, Religionsführer, Gemeindeaktivisten, Autoren und andere - aufgerufen, sich für jedermann sichtbar von den Extremisten zu distanzieren. Je entschlossener sie es tun, um so mehr tragen sie zur Integration der Muslime bei.

Allerdings stehen nicht nur auf die eine oder andere Weise prominente Mitglieder der Mehrheits- wie der Minderheitsgesellschaft in der Pflicht, sondern alle Bürger. Wir alle sollten versuchen, den respektvollen Umgang mit anderen nicht nur in der grauen Theorie zu befürworten, sondern im Alltag zu leben.

Und wir müssen das nicht nur mit dem Kopf, sondern, im Sinne des biblischen Gebotes (3. Buch Mose, 19, 18): We-ahawta le-Reacha kamocha: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst", auch mit dem Herzen tun. Nur so wird eine gemeinsame Zukunft zum Wohle unseres Landes möglich sein.

Stephan J. Kramer

© Qantara.de 2010

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