Rico Ihle, 09. November 2009

zu Das Feindbild der Anderen von Hanan Badr

Danke für diesen Artikel!! Endlich, endlich findet sich einmal eine (selbst-) kritische Journalistenstimme!! Welch Wohltat! Wirklich vielen, vielen Dank!! Das ist Balsam für meine Meinung über deutsche Medien!

Als selbstdenkender und kritischer Mensch wird es einem ja übel, wenn die Effekthaschermaschinerie der Massenmedien anspringt... v.a. berichten dann (fast) alle Medien über DAS Thema, bei Google News findet man hunderte, ja manchmal tausende Treffer... und alle berichten sie dasselbe, d.h. dieselben Fakten und i.d.R. EINE, leider meist naive und nicht ganz richtige Sichtweise, kaum einer macht sich die Arbeit, nach Hintergründen zu fragen oder eine neue (kritische) Sicht aufzuzeigen.

Das gilt vor allem im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die arabischen Welt. Die Naivität und inhaltliche Unkorrektheit der Berichterstattung ist manchmal wirklich eine Schande, absolut haarsträubend. Ich selbst bin kein Arabist, sagen wir, interessierter Laie, habe 1 Jahr in arabischen Ländern zum Arabischlernen verbracht, bin sicher kein Spezialist, aber schon dem gesunden Menschenverstand stellen sich viel zu oft angesichts der Berichterstattung die Haare zu Berge... Deshalb wirklich vielen Dank für Ihre An- und Einsichten!!

In einem Punkt möchte ich Ihnen jedoch widersprechen: "Außerdem wurde in den ägyptischen Medien die Frage aufgeworfen, wie rasch wohl die deutschen Behörden reagiert hätten, wenn die getötete Frau, der verletzte Mann und das traumatisierte Kind eine andere Nationalität gehabt hätten – eine Nationalität, die der deutschen Gesellschaft kulturell und geografisch näher gewesen wäre." - Das Argument der Untertreibung scheint mir nicht überzeugend. Auf welche Nationalitäten spielen Sie an? Werden Afrikaner von rechstradikalen Gewalttätern angegriffen (es gab mehrere Morde in den vergangenen Jahren), passiert nichts, es gibt kaum Trauerkundgebungen, zumindest kann ich mich an nichts derartiges erinnern. Nehmen Sie die neuerlichen U-Bahnmorde (dabei starben ausschließlich Deutsche) - ja, der Innenminister empört sich kurz, das muß er tun, aber größere gesellschaftliche Anteilnahme gab es nicht... Daher ist mir dieser Punkt nicht ganz klar.

Sie gehen ja in Ihrem Artikel vorwiegend auf die ägyptische Seite ein. Leider kommt ihr letzter Abschnitt über "Überspitzung, dramatischer Stilisierung und Emotionalisierung" etwas zu kurz. Das ist schade, denn DAS ist in der deutschen Medienlandschaft heutzutage meiner Wahrnehmung nach ein massives Problem! Kann sein, daß ich bei der folgenden Einschätzung falsch liege, aber dennoch:

Wenn wir mal ehrlich sind, wie sehr hat denn der erwähnte Mord den Durchschnittsägypter beschäftigt? - Mein Menschenverstand meint: nicht viel, man nimmt das zur Kenntnis, ist auch sicher ein wenig entrüstet, aber der Durchschnittsägypter hat doch ganz andere Probleme, die viel mehr "drücken", oder liege ich damit ganz falsch?

Gab es Massendemos? - Nein, oder habe ich da etwas verpasst (Massendemo = mehrere zehn- bzw. hundertausende Menschen in verschiedenen Gebieten des Landes auf den Straßen)?? Sicherlich haben einige hunderte Menschen in Alexandria, wohl auch in Kairo demonstriert, die entweder der Ermordeten nahestanden oder der fundamentalistischen Ecke zuzurechnen sind, und das als gefundes Fressen für einen Angriff auf den "Westen" genommen haben, um dessen "Morallosigkeit" zu "beweisen". Ahmedinedschad schlug interessanterweise in die gleiche Bresche, schwang sich zum "Verteidiger des Islam" auf, trug mit populistischen Phrasen dick auf und organisierte gegen Bezahlung eine kleine staatliche Demo, die die Verdorbenheit des Westens anprangern sollte.

So. Was berichten deutsche Medien? Diese vereinzelten Demos sind wiederum gefundenes Fressen für den dt. Durschschnittsjournalisten, der sich wohl fast dankbar darauf stürzt, da es "beweist" wie hitzig, kritikunfähig etc. die Araber bzw. Moslems sind (für die meisten, aber mit Sicherheit für den Durschnittsdeutschen, wird wohl ein Moslem "natürlich" Araber sein und umgekehrt...), wie sehr die Araber den Westen hassen, wie fundamentalistisch die "arabische/ islamische Welt" ist etc...

Überall ist allen Ernstes von "Massenprotesten in der arabischen/islamischen Welt" zu lesen, die gut dazu dienen, das westliche/ europäische/ deutsche Bedrohtheitsgefühl durch "DEN" Islam zu schüren. In der Realität waren es weder Massenproteste, noch hat es die "arabische bzw. islamische WELT" betroffen. Das ist diese unerhörte Überspitzung, von der Sie sprachen. Aber das ist skandalös, denn unkorrekt und maßlos, aber wirklich astronomisch übertrieben! Ich habe in KEINEM dt. Medium eine realistische Einordnung dieser Unmutsbekundungen gefunden.

Das Problem ist dabei, daß diese tendeziöse Berichterstattung WIRKT, und zwar sich nicht in eine positive Richtung auswirkt. Der Durchschnittsdeutsche weiß kaum etwas über die arabische bzw. islamische Welt, außer dem Touristeneindrücken aus dem Hurgada Urlaub... Das ist dem Durchschnittsdeutschen ja auch nicht zu verübeln, da so ein Thema sehr, sehr fern vom Alltag mit all seinen Problemen und Herausforderungen liegt (daher meine Mutmaßung in Hinsicht auf den Durchschnittsägypter). Diesen gegenwärtigen Grundton der dt. Berichterstattung zu sehen, läßt einen leider nicht gerade zuversichtlich in die Zukunft schauen, selbst wenn man von Natur aus Optimist ist...

Aber hoffentlich wird es in Zukunft mehr Journalisten Ihres Schlages geben, deren Perspektive in der Berichterstattung (von beiden Seiten) der Berichterstattung sehr gut tut (von einem humanistischen Standpunkt aus gesehen) und dem zerütteten Verhältnis wieder allmählich auf die Beine hilft :-) Danke dafür!