Grausame Logik der Ausbeutung

Der Dokumentarfilm "Eisenfresser" gewährt einen Blick in die harte Realität der Abwrack-Industrie in Bangladesch. Sonja Ernst hat den preisgekrönten Film von Shaheen Dill-Riaz bereits gesehen.

​​Mächtig erheben sich die alten Ozeanriesen am Strand im Süden Bangladeschs aus dem Sand. Alte Öltanker und Containerschiffe liegen hier zum Ausschlachten bereit – der Müll der "Ersten Welt". In den aufgeschlitzten Wracks hallt der Lärm von Hämmern und die Rufe der Schweißer weit über den Strand. Stück für Stück werden die alten Schiffe zerlegt.

Zwischen den Ozeangiganten wirken Kholil und seine Männer wie Ameisen. Auf ihren Schultern tragen sie ein dickes Eisenseil über den breiten Strand zu einem der Schiffe. "Was ist los da vorn! Ziehen, nicht einschlafen", schreit ein Vorarbeiter. Unter dem Gewicht des Seils pendeln ihre Körper bedrohlich hin und her, der Schlamm lässt sie knietief einsinken.

Am Ziel befestigen sie das Seil an einem der Wrackteile, die dann zur Werft gezogen werden. Reißt das Seil, kann es einem der Männer leicht ein Bein abtrennen oder ihn sogar töten.

"Frieden, Glück und Wohlstand"

Über die Arbeiten in der Abwrack-Industrie in Indien, China oder eben Bangladesch ist nur wenig bekannt. Arbeitsrechtler oder Medienvertreter sind nicht gern gesehen. Shaheen Dill-Riaz liefert mit seinem 85-minütigen Dokumentarfilm "Eisenfresser" erstmals eine umfassende Momentaufnahme.

​​Vier Monate drehte er auf der Werft "Frieden, Glück und Wohlstand" in der Hafenstadt Chittagong. Es habe viel Überzeugungsarbeit gekostet, so der 38-jährige Bangladeschi. "Wir haben unter strengen Bedingungen mit den Dreharbeiten begonnen."

Das Geschäft mit den alten Schiffen gehört zu den Kindheitserinnerungen des Filmemachers, der im Süden aufwuchs. Später, 1995, ging Dill-Riaz nach Deutschland und studierte Kamera. "Eisenfresser" ist bereits sein dritter Dokumentarfilm über die Heimat. "Mein großer Vorteil ist, ich bin nicht nur aus Bangladesch und nicht nur aus Deutschland bzw. Westeuropa. Ich bin dazwischen."

Ein Geschenk Gottes

Seit den 1960er Jahren ist in Bangladesch eine wahre Abwrack-Industrie entstanden, die mittlerweile drei Millionen Menschen ernährt. Jedes Jahr kaufen die Werftbesitzer für mehrere hundert Millionen US-Dollar Schiffe. Das Eisen aus den Wracks wird vor allem in die Bauindustrie verkauft. Rund 60 Prozent der weltweiten Abwrackung findet heute in den Werften Bangladeschs statt.

Die Küste ist dafür besonders geeignet: Das tiefe Wasser des Meeres geht rasch in den flachen Strand über. Die Schiffe laufen erst spät auf Sand auf. "Der Strand ist ein Geschenk Gottes", so heißt es im Film. Doch das eigentliche "Geschenk" sind die billigen Arbeitskräfte.

Da ist Kholil: Seit 15 Jahren kommt er immer wieder zur Werft und bringt Männer und Jungen aus seinem Dorf mit. Zum Beispiel den jungen Riazur, der für seine ganze Familie Sorge trägt. Oder Ershadul, der sein Land durch Erosionen verloren hat. Die Armut in ihren Dörfern treibt sie in den Süden. Und jedes Mal kehren sie mit fast nichts zurück: Nur mit stiller Wut und oft um ihren Lohn geprellt.

Schuften wie die Tiere

Nach und nach legt der dichte und intensive Film ein System der Ausbeutung bloß und eine Hierarchie, an der niemand zu rütteln wagt. "Der ganze Inhalt des Films beruht darauf", so Dill-Riaz. Die Seilträger aus dem Norden sind die "Dummen", die noch Ärmeren. Sie übernehmen die körperlich schwerste Arbeit – für 70 Cent am Tag.

Ebenso die Plattenträger. Zu acht oder zehnt tragen sie Eisenplatten auf ihren Schultern zum Abtransport zu den LKWs. Gerade erst aus den Schiffsteilen herausgeschweißt, glühen noch die Ränder. Doch Zeit ist kostbar. Mit schmerzverzerrten Gesichtern verrichten sie ihre Arbeit, gleichmäßigen Schrittes, Sargträgern gleich.

Aus dem Süden kommen alle anderen. Vor allem die Vorarbeiter und die Contractors, eine Art Sub-Unternehmer mit Gewinnbeteiligung, und der Werftbesitzer. Den Contractors hat einmal das Land gehört, auf dem die Werft heute steht. Sie tragen die Aufsicht, sie zahlen die Löhne.

"Hunger und Armut sind zu mächtig"

​​Den ersten Vorschuss haben die Seilträger längst aufgebraucht. Bei den Lebensmittelhändlern – Verwandte der Contractors – lassen sie anschreiben. Derweil rückt zu Hause in ihren Dörfern die Reisernte näher und ihre Frauen brauchen Hilfe. Doch sie bekommen keinen Lohn.

"Wenn ich denen jetzt ihr Geld gebe, hauen alle ab und ich kann die Werft schließen", so einer der Contractors. Die Situation spitzt sich zu: Die Männer sind verzweifelt und aufgebracht. Kholil soll endlich den Lohn besorgen. Sie wollen heim. Doch im Büro der Contractors knickt Kholil ein, schluckt seine Wut runter und lässt sich abwimmeln. Was soll er auch tun?

Es gibt ein oben und unten, es gibt Gewinner und Verlierer. "Doch wenn die Wirtschaft erste Priorität bleibt und nicht der soziale Ausgleich, dann kann man es nicht mehr viel länger in diesem Land aushalten. Hunger und Armut sind zu mächtig", so Dill-Riaz. Doch die Seilträger fahren heim ohne ihren gesamten Lohn.

Und sie werden wiederkommen: Kholil, Riazur, Ershadul und die anderen. Bald nach den Dreharbeiten wurden die Felder im Norden einmal mehr überschwemmt. Hunger brach aus. Die Armut hat die Menschen fest im Griff.

Sonja Ernst

© Qantara.de 2007

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