Wenn der Detektiv Whiskey trinkt

Der persische Schriftsteller Said hat einen neuen deutschen Lyrikband publiziert. Im Interview spricht er mit Claudia Mende über seine "Psalmen", das Teheran seiner Kindheit und die Probleme Kulturschaffender im Iran von heute.

Der persische Schriftsteller Said hat einen neuen deutschen Lyrikband publiziert. Im Interview spricht er mit Claudia Mende über seine "Psalmen", das Teheran seiner Kindheit und die Probleme Kulturschaffender im Iran von heute

SAID, Foto: Goethe-Institut
SAID: "Der Islam erkennt die Psalmen als Teil der Bibel an, aber etwas Vergleichbares gibt es in der islamischen Tradition nicht."

​​Herr Said, wieso heißt Ihr neuester Gedichtband "Psalmen"?

Said: In meinem Leben gibt es eine wichtige Zäsur, nämlich das Jahr 1979, als im Iran die islamische Revolution ausbrach. Diese Revolution hat im Namen Gottes die furchtbarsten Verbrechen begangen, aber ich versuche, meine eigene Religiosität gegen diese islamische Republik zu bewahren. Nachdem ich kurz nach der Revolution aus dem Iran zurück nach Deutschland gehen mußte, habe ich meine Gedanken zum Thema geordnet und nach einer geeigneten Form gesucht. Die Psalmen haben mich überzeugt, weil sie eine direkte Anrede Gottes enthalten. Ich wählte diese Form, um Gefühle wie Wut und Zorn auszudrücken.

Kennt die islamische Tradition eine ähnliche Form?

Said: Nein. Der Islam erkennt die Psalmen als Teil der Bibel an, aber etwas Vergleichbares gibt es in der islamischen Tradition nicht. Ich habe elf Jahre lang Material gesammelt, die Bibel in verschiedenen Übersetzungen gelesen, nicht nur Luther sondern auch moderne wie die von Romano Guardini oder Walter Jens, der die Psalmen leider nicht übersetzt hat. Es ging mir darum, dass meine Sprache korrekt ist und meine Gefühle trägt. Im Zuge dieser Recherchen ist mein Respekt vor den Religionen gestiegen und diesen Respekt möchte ich auch beibehalten.

Darf der Gläubige im Islam mit Gott hadern?

Said: In der islamischen Mystik schon, sie kennt solche Gebete. Aber die islamische Tradition erlaubt es nicht, mit Gott zu hadern, weswegen Mystiker auch heute im Iran scharf angegriffen werden. Mystiker sind libertäre Gestalten, sie sagen, was zwischen mir und Gott passiert, das geht euch nichts an. Viele von ihnen waren großartige Lyriker. Der islamische Mystiker hadert genauso mit Gott wie der Psalmist und die christlichen Mystiker. Er sagt, ich brauche die Mullahs nicht, Gott ist in mir und die Moscheen interessieren ihn nicht. Im Iran sagt aber der Staat: Ich bin Gott, du hast zu gehorchen. Fertig.

Was hat sich für Sie durch die Revolution im Iran verändert?

Said: Meine Religiosität hat sich verändert, nicht meine Religion, denn ich gehe bis heute in keine Moschee, Kirche oder Synagoge. Das sind für mich nur Gehäuse. Mir geht es um diese Ergriffenheit, die jeder von uns persönlich mehr oder weniger hat. Aber ich respektiere die Religionen. Nur, diese Herren im Iran haben sie mit ihren Untaten total beschmutzt. Es ist ihr größtes Verbrechen, dass sie den Islam in Misskredit gebracht haben. Von allen islamischen Ländern ist der Iran das Land mit den leersten Moscheen, das haben unabhängige Untersuchungen ergeben. Man geht einfach nicht mehr dahin.

Viele Intellektuelle haben sich ganz vom Islam abgewandt.

Said: Viele sind Christen, Bahais, Juden oder Anhänger Zarathustras geworden, denn jede Religion, die geachtet wurde, ist im Iran zu einer Art Täterreligion geworden. Ich kann verstehen, dass man sich umdreht, aber mir ist der Gedanke fremd, jetzt einer anderen Religion beizutreten. Ich bleibe lieber bei meiner Religiosität.

Was für ein religiöses Klima herrschte im Iran Ihrer Kindheit?

​​Said: Ich komme selber nicht aus einer religiösen Familie. Als ich etwa 16 Jahre alt war und in Teheran zur Schule ging, fasteten einige Schulkameraden im Ramadan. Die ganze Klasse hat das respektiert. In der Pause hat keiner vor ihnen gegessen, wir haben noch nicht mal geraucht. Ich finde diese Haltung großartig. Freunde, die im Gefängnis waren, erzählen, dass selbst stramme Kommunisten es respektiert haben, wenn die Religiösen fasteten. Diesen Respekt vor Religion gab es immer im Iran, aber diese Herrschaften haben ihn fast ausgetilgt. Das tut in der Seele weh.

Heute ist es extrem schwierig für Autoren, im Iran zu arbeiten. Was können Sie für verfolgte Schriftsteller tun?

Said: In meiner Zeit als Pen-Präsident habe ich Gelder der Bundesregierung zur Verfügung bekommen, mit denen wir Schriftsteller aus anderen Ländern, auch aus dem Iran, raus geholt haben, damit sie hier mit einem Stipendium versehen arbeiten können. Mein Nachfolger führt diese Arbeit weiter. Dadurch ist die Sensibilität in Deutschland für das Thema auf jeden Fall gewachsen. Abgesehen davon, versucht jeder von uns, die Bücher dieser Autoren zu publizieren, was sehr schwierig ist. Wenn der deutsche Außenminister im Gespräch mit iranischen Politikern konkrete Namen erwähnt, dann bedeutet das schon einen gewissen Schutz. Wenn jemand in Deutschland publiziert, dann kann man auf indirektem Wege etwas für ihn tun.

Hat sich die Lage Kulturschaffender im Iran verbessert?

Said: Sie hat sich im Gegenteil radikal verschlimmert seit dem Amtsantritt von Ahmedinejad. Er hat zwar die Gesetze nicht verändert, wohl aber die Praxis verschärft. Jeder, der ein Buch verlegen will, musste auch bisher zur Zensurstelle, aber nach dem neuen Präsidenten ist ein einziger Mann für alles zuständig, ein Hilfsbuchhändler. Er hält jeden Montag Audienz. Sie geben Ihr Buch ab und dann hören sie nichts mehr. Wenn er nach acht Monaten oder drei Jahren zustimmt, dann druckt der Verleger das Buch. Ist das Buch gedruckt, dann kommt die Regierung erneut und sagt, wir müssen noch mal kontrollieren.

Was passiert dann?

Said: Man findet eine Stelle, die nicht passt und der Verleger muss die ganze Auflage einstampfen. Das machen Sie zweimal als Verleger, dann sind sie pleite. Die Autoren versuchen dem zu entkommen, indem sie fertige Romane ins Ausland an kleine Exilverlage mailen. Jetzt kommt die Arabeske. Ein paar Monate später taucht der Roman dann als Raubdruck in Teheran auf.

Ist das nicht riskant für die Autoren?

Said: Das hängt von den Beamten ab, es ist total willkürlich. Die Verleger sagen inzwischen den Autoren, ich gehe nicht zur Zensurbehörde, geh du hin.

Bei Übersetzungen ist der Maßstab nicht so streng. Ein Freund hat zwei Kriminalromane ins Persische übersetzt, in denen der Detektiv Whiskey trinkt. Der Zensor ruft den Übersetzer an, und weil man sich kennt, schlägt er vor, in einem Buch solle der Detektiv Fanta trinken, im anderen Whiskey. Der Übersetzer lässt sich darauf ein, damit das Buch erscheint. Man schachert halt ein bisschen. Die iranischen Leser verstehen sofort, was gemeint ist. Das schärft den Sinn der Leser ungemein. Sie sind sehr wach.

Haben Sie Hoffnung auf Veränderung?

Said: Nicht so bald, es wird noch schlimmer.

Warum?

Said: Ahmedinejad gerät immer mehr unter Druck, weil er die Alltagsprobleme des Landes nicht in den Griff bekommt. Deshalb agitiert er gegen Israel und für die Hisbollah, denn das kostet ihn nichts. Beim Preis für Tomaten müsste man etwas tun. Die Hauptnahrungsmittel im Iran sind staatlich subventioniert, es ist die Frage, wie lange sich der Staat das noch leisten kann. Seine ganzen Wahlversprechen sind absolut leer, weshalb er von den eigenen Leuten angegriffen wird.

Die entscheidende Frage ist die nach der Demokratie. Fünf Millionen Iraner leben im Ausland und die Unzufriedenheit ist sehr groß. Die Menschen verlieren die Furcht vor dem Apparat, aber dennoch sitzt die Regierung fest im Sattel. Die Lage erscheint als ziemlich aussichtslos. Aber meine langfristige Hoffnung ist, dass vor allem die iranischen Frauen äußerst wach sind.

Interview: Claudia Mende

© Qantara.de 2008

SAID, 1947 in Teheran geboren, verließ mit 17 Jahren seine Heimat. Seit 1965 lebt er in München. Für sein literarisches Werk und sein Engagement für politisch verfolgte und inhaftierte Schriftsteller wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis und der Hermann-Kesten-Medaille. 2006 erhielt er die Goethe-Medaille. Said war in den Jahren von 2000 bis 2002 Präsident des deutschen P.E.N.-Zentrums.

Qantara.de

Interview SAID:
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Buchtipp SAID
Erinnerungen aus dem Exil
In seinem neuen Buch "In Deutschland leben" beschreibt SAID, iranischer Lyriker und ehemaliger Präsident des PEN-Zentrums, seine persönlichen Eindrücke über das gesellschaftliche und politische Leben in Deutschland. Gleichzeitig nimmt er Stellung zum problematischen Verhältnis zwischen islamischer Welt und dem Westen. Von Arian Fariborz