Zwischen Fiktion und Realität

Esmahan Aykol ist eine der populärsten Schriftstellerinnen der Türkei. Aber auch in Deutschland hat sie eine treue Leserschaft, denn ihre Heldin ist eine deutsche Buchhändlerin, die in Istanbul auf Mördersuche geht. Aygül Cizmecioglu hat ihren neuen Roman, 'Goodbye Istanbul', gelesen.

Esmahan Aykol; Foto: Samuel Mizrachi / Diogenes Verlag.
Türkische Bestsellerautorin Esmahan Aykol; Foto: Samuel Mizrachi / Diogenes Verlag.

​​Seit acht Jahren pendelt Esmahan Aykol zwischen zwei Polen: Istanbul und Berlin. Sie kam nach Berlin, um Jura zu studieren. Inzwischen wohnt die junge Frau mit der braunen Lockenmähne die Hälfte des Jahres in Istanbul, die andere Hälfte in Berlin-Kreuzberg. Kriminalromane sind ihre große Leidenschaft. Mit ihren Krimis 'Bakschisch' und 'Hotel Bosporus' landete sie in der Türkei auf den Bestsellerlisten.

In Aykols neuen Roman 'Goodbye Istanbul' geht es dieses Mal jedoch nicht um Mord, sondern vielmehr um Fernweh. "Man vermisst immer die andere Stadt", erzählt Aykol. "Ich sage immer, in Istanbul lebe ich und in Berlin schreibe ich!"

Ein Leben zwischen Ländern und Kulturen verbindet die Autorin auch mit Ece, ihrer Romanheldin aus 'Goodbye Istanbul'. Eine junge Frau flieht vor enttäuschter Liebe in die Ferne nach London.

Zerplatzte Träume

Ein Neuanfang soll es werden, losgelöst von familiären Zwängen und dem Schmerz der Vergangenheit. Doch das Land der Träume entpuppt sich als Mogelpackung. Die Fotos, die ihr Freunde geschickt hatten, um ihr luxuriöses Leben in England zu dokumentieren, erweisen sich als Lüge. Sie ließen sich vor Villen ablichten, die gar nicht ihnen gehören. Und so landet Ece schließlich als Tellerwäscherin in einem billigen Grillrestaurant.

"In allen meinen Büchern ist Migration das eigentliche Thema", so Aykol. "Vielleicht liegt das daran, dass meine Eltern Emigranten sind." Aykols Vater stammt aus Mazedonien, ihre Großmutter aus Bulgarien. "Die Emigranten sehen ein Land anders als diejenigen, die dort aufgewachsen sind. Diese Aussenseiterposition in beiden Kulturen interessiert mich!"

Vielleicht kreiert Esmahan Aykol ihre Heldin deswegen nicht als designierte Verliererin, sondern stattet sie mit einem messerscharfen Blick aus. Ece ist eine Beobachterin, die die Welt um sie herum seziert, filtert und einordnet. Fast nüchtern beschreibt sie, wie junge Türkinnen sich in viel zu enge Hosen zwängen, um "englischer" zu werden. Oder wie es ist, mit seinen Gedanken eingesperrt in einer fremden Sprache zu sein.

Kontrastwelt zum grauen Alltag

Um dieser Rauheit zu entfliehen, beginnt Ece eine Zeitreise: Wundersame Märchen, die ihr Großvater ihr einst erzählte, reihen sich aneinander, bilden eine schillernde Kontrastwelt zu dem grauen Alltag in London.

"Im Osmanischen Reich war diese Erzähltradition ein wichtiger Bestandteil der Kultur, die mündliche Literatur", erklärt die Krimi-Autorin und fügt hinzu: "Bei den Kurden und Armeniern gibt es das immer noch. Die reisen von einem Dorf zum anderen und erzählen Geschichten. Ich wollte diese Erzähltradition in meinem Buch wiederbeleben."

Und so kreiert Esmahan Aykol eine Welt, in der die Grenze zwischen Fiktion und Realität ganz allmählich verschwindet. Was ist wahr und was ist gelogen? Genau in dieses Spannungsfeld streut die Autorin gängige Vorurteile ein – von unterdrückten Frauen, sozialschmarotzenden Ausländern, um unsere Gewissheit im nächsten Moment ad absurdum zu führen.

"Als ich angefangen habe hier zu studieren, bin auch ich mit solchen Klischees konfrontiert worden", berichtet Aykol, "zum Beispiel an der Uni bei meinen Gesprächen mit Professoren. Als sie mich am Anfang gesehen haben, dachten sie nicht, das ich Türkin bin, weil ich kein Kopftuch trage. Und sie waren geschockt. Dann kamen blöde Fragen wie: Ja, Sie sind Türkin, aber bestimmt gehören Sie der christlichen Minderheit in der Türkei an, nicht wahr?! Das war sehr verletzend."

Für Esmahan Aykol ist Schreiben eine Möglichkeit, mit solchen vorgefertigten Bildern aufzuräumen. Ihre Sprache ist unprätentiös, klar, manchmal umweht sie ein Hauch von Beliebigkeit. Den temporeichen Witz und die Warmherzigkeit ihrer vorherigen Bücher vermisst man in ihrem neuen Roman jedoch ein wenig.

Aygül Cizmecioglu

© DEUTSCHE WELLE 2008

Esmahan Aykol: "Goodbye Istanbul", Diogenes Verlag, Zürich 2007

Qantara.de

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