Sammelsurium der Zweifel

In Frankreich hält sich ein stiller Film über sieben französische Mönche, die in Algerien zwischen die Fronten von Terroristen und korrupter Armee geraten waren, seit drei Wochen an der Spitze der Kinohitlisten. Von Susan Vahabzadeh

​​ Der gallische Widerspruchsgeist macht sich im Kino oft bemerkbar. Mancher amerikanische Film, der überall auf der Welt die Hitlisten anführte, hat es in Frankreich nicht auf Platz eins geschafft, weil der gerade belegt war von etwas, was dem französischen Filmgeschmack besser entsprach.

2008 blockierte wochenlang "Willkommen bei den Sch'tis" den Spitzenplatz, eine französische Komödie – das ist eigensinnig, aber noch lange nicht so erstaunlich wie das, was im Moment passiert: Am 8. September kam in Frankreich "Von Menschen und Göttern" ins Kino, ausgezeichnet mit dem Grand Prix des Filmfestivals in Cannes in diesem Jahr, ein Film über eine Gruppe von französischen Mönchen, die in Algerien lebten bis zu ihrer Ermordung durch islamistische Terroristen im Jahr 1996.

In einer wunderschönen Sequenz sitzen die Mönche zusammen, ein letztes Abendmahl, sie hören eine CD von "Schwanensee". . . alles in allem nicht gerade ein Actionfilm.

Stille Schönheit

"Von Menschen und Göttern" kickte den Thriller "Salt" mit Angelina Jolie vom Box-Office-Thron und ist nun, mit inzwischen 1,4 Millionen Besuchern, in der dritten Woche auf Platz eins der französischen Kinocharts.

Nur mal zum Vergleich: Länger hat sich auch "Inception" nicht an der Spitze gehalten. Die Haltung zum Kino ist in Frankreich eine andere: Filme sind nicht nur zur Zerstreuung da, sie sind einem Theaterbesuch gleichwertig. "Von Menschen und Göttern", das steht schon fest, wird für Frankreich ins Rennen um die Oscar-Nominierungen gehen – ob die Academy viel Sinn haben wird für die stille Schönheit von Xavier Beauvois' Klosterfilm ist aber natürlich die Frage.

​​ Die Mönche von Tibéhirine hat es tatsächlich gegeben, sie lebten in Einigkeit mit der muslimischen Dorfbevölkerung um sie herum, sie missionierten nicht, aber sie sorgten für ihre andersgläubigen Schafe – einer, Michael Lonsdale spielt ihn im Film, war der Dorfarzt, die Mönche verteilten Kleiderspenden.

Beauvois schaut ihnen im Film eine Weile bei ihrem bescheidenen Leben zu, lässt langsam die Bedrohung von außen in die ärmliche Idylle sickern – die Islamisten werden stärker in Algerien, terrorisieren die Dorfbewohner und die Mönche.

Ohne Ressentiments

Die weigern sich, nach Frankreich zurückzugehen – sie werden entführt und ermordet, Gerüchte, die algerische Regierung sei darin verstrickt gewesen, halten sich bis heute. Wie das nun zum Kassenknüller wurde? Es handelt sich bei Beauvois nämlich keineswegs um einen Verwandten im Geiste von Thilo Sarrazin – es geht um urchristliche Werte in "Von Menschen und Göttern", ohne jedes Ressentiment.

​​ "Von Menschen und Göttern" hat ein religiöses Thema, aber es ist kein religiöser Film, keine Predigt, da führt Beauvois die Tradition von Carl Theodor Dreyers "Jeanne d'Arc" fort. Was aber wohl kaum der alleinige Grund sein dürfte für den Erfolg. Eher schon, dass sich das Publikum mit ganz unterschiedlichen Ängsten und Sorgen hier wiederfindet. "Von Menschen und Göttern" hat ein Sammelsurium der Zweifel zu bieten, an der Konsumgesellschaft, am Missionieren, am Imperialismus, am Islamismus.

Es geht um ein Aufeinandertreffen von Christentum und Islam, aber die Mönche handeln anders als die Politik. Sie exportieren ihre Werte nicht, sie bieten sie nur an, sie treten den Islamisten und der algerischen Armee entgegen, bleiben aufrecht, weichen nicht – sie empfinden das Kloster als ihre Heimat und die Fürsorge für das Dorf als den Sinn ihrer Existenz.

Im Grunde sind diese Mönche klassische Kinohelden, die sich weigern, sich den Gesetzen der Wirklichkeit unterzuordnen, auch wenn sie dafür mit dem Leben bezahlen. Das ist natürlich schon ein Erfolgsrezept – wenn man im Kino betrauern darf, dass die Welt so ist, wie sie ist.

Susan Vahabzadeh

© Süddeutsche Zeitung 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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